Die Entführung und der Tod der kleinen Ursula Herrmann hat die Menschen bewegt wie kaum ein anderes Verbrechen der vergangenen Jahrzehnte. Das Mädchen war 1981 am Ammersee in eine Kiste gesperrt worden. Ursula erstickte. Erst 29 Jahre später wurde ein Mann für die Tat verurteilt. Werner Mazurek saß 15 Jahre im Gefängnis. In wenigen Wochen wird er aller Voraussicht nach freikommen. Doch es gibt immer noch starke Zweifel, ob er wirklich der Täter war. Auch der 73-Jährige selbst bestreitet, der Entführer zu sein.
Ursula Herrmann wurde 1981 in eine Todeskiste gesperrt
Die zehnjährige Ursula war am 15. September 1981 auf dem Heimweg in einem Waldgebiet bei Eching vom Rad gerissen und in eine eigens dafür gebaute Holzkiste gesteckt worden. Die Kiste wurde in den Boden eingegraben. Der oder die Entführer hatten Lebensmittel in das Verlies gelegt und sogar eine Art Lüftung eingebaut. Doch die funktionierte nicht. Das Mädchen starb in dem Gefängnis und wurde erst 19 Tage später gefunden.
Die Ermittlungen in den ersten Monaten waren von etlichen Pannen geprägt. Letztlich schafften es die Fahnder nicht, nach dem Verbrechen hinreichend Indizien zu finden, die für eine Anklage gegen irgendeinen der in Verdacht geratenen Menschen gereicht hätten. Der Fall landete für Jahrzehnte bei den Akten. Für die Familie des Mädchens war es ein Albtraum.
Gefängnis, Gericht und Gutachter sind für Mazureks Freilassung
Erst im Mai 2008 nahm die Polizei Werner Mazurek fest. Knapp zwei Jahre später wurde er in einem aufwendigen Indizienprozess am Landgericht Augsburg wegen erpresserischen Menschenraubs mit Todesfolge verurteilt. Das Urteil lautete zwar „lebenslange Haft“, doch nach dem Strafgesetzbuch kann ein Häftling unter bestimmten Umständen nach 15 Jahren vorzeitig auf Bewährung entlassen werden. Diese 15 Jahre sind bei Mazurek am 28. Mai abgelaufen. Nach Informationen unserer Redaktion sprechen sich sowohl die JVA Lübeck wie auch Gutachter für eine vorzeitige Entlassung Mazureks aus. Auch das zuständige Gericht neigt offenbar dazu, den 73-Jährigen auf freien Fuß zu setzen.
Gutachten erschüttern die Hauptindizien aus dem Strafprozess
Damit könnte der spektakuläre Fall abgeschlossen sein. Doch neue Gutachten erschüttern die Hauptindizien aus dem Strafprozess. Und Werner Mazurek beharrt auf seiner Unschuld. Es gibt nicht wenige Menschen, die ebenfalls glauben, dass der falsche Mann lange im Gefängnis gesessen haben könnte. Auch Mazureks Augsburger Anwalt Walter Rubach hält dies nicht für ausgeschlossen: „Es gibt inzwischen eine ganze Reihe gewichtiger Indizien, die gegen meinen Mandanten als Täter sprechen“, sagt Rubach.
Ursulas Bruder Michael Herrmann glaubt nicht an die Schuld des Verurteilten
Eine echte Besonderheit in diesem Fall: Selbst Ursulas Bruder Michael Herrmann glaubt nicht, dass der Verurteilte tatsächlich der Entführer war. Er hat vor Jahren sogar eine Zivilklage gegen Mazurek eingereicht, um den Fall wieder in Gang zu bringen. Erfolglos. Herrmanns Anwalt Joachim Feller aus Landsberg kämpft dennoch weiter. Ein Wiederaufnahmeverfahren hat das Landgericht Augsburg bisher abgelehnt. Die rechtlichen Hürden dafür sind hoch. Es müssen neue Tatsachen oder Beweismittel vorliegen, die beim Prozess noch nicht bekannt waren. Wiederaufnahmeverfahren sind daher sehr selten.
Aber es gibt aufsehenerregende Beispiele dafür. Das aktuellste ist der „Badewannen-Mord“ vom Tegernsee. Manfred Genditzki war zweimal wegen Mordes an einer 87-jährigen Frau verurteilt worden. Er saß bislang 13 Jahre lang im Gefängnis. Unschuldig womöglich? Aufgrund eines neuen Gutachtens wird der Fall zurzeit vor dem Landgericht München I neu aufgerollt. Seine Anwältin spricht von einem „Justizskandal sondergleichen“.
Hören Sie sich dazu auch unseren Podcast "Augsburg, meine Stadt" mit dem Strafverteidiger Walter Rubach an – unter anderem zu der Frage: "Warum verteidigen Sie Mörder und Sexualstraftäter?" Die Folge können Sie sich hier anhören: