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Krieg in Nahost: Mit Markus Söder am Ort des Hamas-Terrors

Krieg in Nahost

Mit Markus Söder am Ort des Hamas-Terrors

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    Ein Besuch inmittten der Zerstörung: Markus Söder, Staatskanzleichef Florian Herrmann  und  Ayre Shallkar, Sprecher der israelischen Armee, im Kibbuz Nir Oz in einem zerstörten Haus.
    Ein Besuch inmittten der Zerstörung: Markus Söder, Staatskanzleichef Florian Herrmann und Ayre Shallkar, Sprecher der israelischen Armee, im Kibbuz Nir Oz in einem zerstörten Haus. Foto: Karl-Josef Hildenbrand, dpa

    Fassungslos starrt die junge Frau auf den fingerdicken Durchschuss der Metalltür. Die Wand gegenüber zeigt Einschusslöcher, am Boden zeugen Blutflecken von den Menschen, die hier starben. "Crazy", sagt die junge Israelin. Sie kämpft mit den Tränen.

    Das Kibbuz Nir Oz im Süden von Israel muss einmal ein kleines Paradies gewesen sein. Schmucke Häuschen unter schattigen Bäumen, viel Grün und Blumen, Spielzeug vor den Häusern. Doch damit ist es seit dem 7. Oktober vorbei. Rund 1000 Hamas-Terroristen und zivile Plünderer aus dem nur gut einen Kilometer entfernten Gazastreifen überfielen das 400 Bewohner zählende Dorf. Rund 100 von ihnen wurden getötet, verletzt oder entführt. Heute noch sind nicht alle frei. 

    Adina Moshe, 72, lebte im Kibbuz Nir Oz. Die Hamas haben sie verschleppt. Ihr Foto steht in ihrem zerstörten Haus.
    Adina Moshe, 72, lebte im Kibbuz Nir Oz. Die Hamas haben sie verschleppt. Ihr Foto steht in ihrem zerstörten Haus. Foto: Christoph Frey

    Unter den Opfern ist zum Beispiel Adina Moshe, 72. Ihr Häuschen ist ausgebrannt, sie wurde verschleppt. Karmelie Dan und ihre Nichte wurden erschossen und bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Amit Rubin kann viele dieser Geschichten erzählen. Er führt durch den Kibbuz an der Grenze zum Gazastreifen. In den Bäumen zwitschern die Vögel, am Boden schleichen ein paar Katzen umher und an den Wänden der ausgebrannten Gebäude hat die israelische Armee farbige Markierungen hinterlassen. Sie sollten anzeigen, welche Gebäude bereits nach den Angreifern abgesucht wurden und somit als sicher gelten. 

    Am Himmel in Israel rattern Hubschrauber, es wird erbittert gekämpft

    Erst acht Stunden nach dem Angriff kam die Armee den Menschen hier in Nir Oz zu Hilfe. "Keinen Schuss haben sie abgefeuert", sagt Amit Rubin bitter. Überheblich sei die Armee gewesen. "Wir haben sie unterschätzt", sagt Armeesprecher Arye Shalicar. Im Hintergrund ist vereinzelt Artilleriefeuer zu hören, am Himmel rattern Hubschrauber. In wenigen Kilometern Entfernung wird erbittert gekämpft, die Bodenoffensive der israelischen Armee gegen die Terrororganisation ist in vollem Gange. 

    Nir Oz ist ein kleines, Palmen bewachsenes Örtchen, 500 Meter vom Gazastreifen entfernt. Am 7. Oktober wurde daraus binnen weniger Stunden ein Schlachtfeld.
    Nir Oz ist ein kleines, Palmen bewachsenes Örtchen, 500 Meter vom Gazastreifen entfernt. Am 7. Oktober wurde daraus binnen weniger Stunden ein Schlachtfeld. Foto: Karl-Josef Hildenbrand, dpa

    Genau in dieser Situation stattet Bayerns Ministerpräsident Markus Söder Israel mit einer kleinen Delegation einen zweitägigen Besuch ab. Söder steht hier, im Kibbuz Nir Oz, inmitten der Zerstörung, einen Helm auf dem Kopf und eine schusssichere Weste über dem hellblauen Hemd. Er wirkt bestürzt und bewegt. "Extrem bedrückend" sei das alles, sagt Söder. Schon, weil die Idee von einem Kibbuz ja Frieden, Gemeinsamkeit und Ausgleich sei. Und dass ein solcher Kibbuz dann zerstört werde, mit einer solchen Gewalt belegt werde, dass Menschen, die sich um die Aussöhnung mit Palästinensern verdient gemacht hätten, von der Hamas umgebracht würden, "ist einfach so schäbig und schändlich". Deshalb brauche es nicht nur gute Worte, sondern auch Taten. 

    Immer wieder wiederholt Söder seine Botschaften bei seiner Hast von Termin zu Termin im Heiligen Land, spricht sie in Kameras und Mikrofone. Er betont, dass er Verständnis dafür habe, dass Israel sein Recht auf Selbstverteidigung in Anspruch nehme und diesen Terrorismus ahnde. Und er sagt: "Hier ist der Beleg dafür, was brutaler

    Noch immer sind Deutsche in der Hand der Hamas

    Söder ist der erste deutsche Ministerpräsident, der nach dem Angriff vom 7. Oktober nach Israel kommt. Bundespolitische Prominenz war schon reichlich da – Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Außenministerin Annalena Baerbock, Verteidigungsminister Boris Pistorius, am Wochenende werden Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze und Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger erwartet. Nach wie vor sind Deutsche in der Hand der Hamas. An die zehn Geiseln mit deutschem und israelischem Pass werden nach Angaben aus Botschaftskreisen von der Hamas festgehalten. An die 14 deutsche Staatsbürger befinden sich außerdem in dem umkämpften Gebiet. Schon deshalb sind die Besuche der Deutschen wichtig. Auch den Israelis bedeuten die Treffen einiges, heißt es aus Botschaftskreisen. Sie werden als Solidaritätsbekundungen verstanden.

    Söder spricht im zerstörten Kibbuz Nir Oz mit einem Angehörigen eines Kibbuz-Bewohners.
    Söder spricht im zerstörten Kibbuz Nir Oz mit einem Angehörigen eines Kibbuz-Bewohners. Foto: Karl-Josef Hildenbrand, dpa

    Der Sicherheitsaufwand für diese Missionen ist jedes Mal enorm. An diesem Donnerstag bewachen mehrere bewaffnete Personenschützer der Polizei den Ministerpräsidenten und seine Delegation auf Schritt und Tritt. Diese rollt im gepanzerten Bus durchs Land. Für Söder selbst steht ein gepanzerter Audi A8 bereit, hinzu kommen weitere Fahrzeuge für den Begleittross.

    Nahezu alle Israelis betrifft der Hamas-Angriff

    Israel ist im Krieg und es gibt nahezu niemanden in diesem Land, der nicht davon betroffen ist. Sei es, weil er oder sie Angehörige unter den Opfern hat oder im Militär an der Front. Auch Söhne von Staatspräsident Izchak Herzog, den Söder am Donnerstagabend trifft, sind an der Front. Der Kampf gegen die Hamas, so erzählen es Beobachter immer wieder, hat die tiefen innenpolitischen Gräben in dem Land vorerst überbrückt. In dem Ziel, die Terrororganisation auszuschalten, seien sich die meisten Israelis einig. Sie glauben, keine andere Wahl zu haben.

    Der Schutzraum dieses Hauses im Kibbuz Nir Oz in einem zerstörten Haus ist ausgebrannt.
    Der Schutzraum dieses Hauses im Kibbuz Nir Oz in einem zerstörten Haus ist ausgebrannt. Foto: Karl-Josef Hildenbrand, dpa

    Nach dem Massaker vom 7. Oktober wurden die an den Gazastreifen und den Libanon grenzenden israelischen Siedlungen geräumt, rund eine Viertelmillion Israelis sind seitdem Vertriebene im eigenen Land. Zurückkehren werden sie wohl erst, wenn sie glauben, dass ihnen von der anderen Seite der Grenze keine Gefahr mehr droht. Genau das könnte die Grundlage für den nächsten Waffengang werden. Wie lange ist Israel bereit, die feindselige Hisbollah, die als besser bewaffnet als die Hamas gilt, so nah an der eigenen Grenze zu dulden?

    Die Angst vor Krieg und Terror ist Teil des israelischen Alltags

    Die Bedrohung ist Alltag in diesem Land und die Menschen haben gelernt, damit zu leben. Spielgeräte auf Kinderspielplätzen sind so konstruiert, dass sie bei Explosionen Schutz bieten können, Apps auf den Handys warnen vor nahenden Raketen. Aber auf so einen verheerenden, brutalen Angriff wie am 7. Oktober war niemand gefasst. Im Kibbuz Nir Oz liegt noch immer leichter Brandgeruch in der Luft, die meisten Häuser sind unbewohnbar. Die Überlebenden haben die Briefkästen der Entführten und Toten markiert: Schwarz steht für tot, rot für entführt. Es gibt viel schwarz und rot in Nir Oz.

    Die Wand der Briefkästen im Kibbuz Nir Oz. Die schwarzen Aufkleber sind an den Briefkästen ermordeter Bewohner angebracht, die roten an denen verschleppter Bewohner.
    Die Wand der Briefkästen im Kibbuz Nir Oz. Die schwarzen Aufkleber sind an den Briefkästen ermordeter Bewohner angebracht, die roten an denen verschleppter Bewohner. Foto: Christoph Frey

    "Unwirklich" sei das, sagt Ludwig Spaenle. "Zwei Kilometer entfernt herrscht das blühende Leben und hier stehst du mitten in einem Inferno." Der CSU-Politiker ist Beauftragter des Freistaats für jüdisches Leben und als solcher oft in Israel. Doch so verunsichert wie jetzt habe er die Menschen hier noch nie erlebt. 

    Markus Söder stellt sich klar hinter Israels Kurs

    Aus dem Libanon und dem Gazastreifen wird das Land regelmäßig beschossen. Auch das fordert nach wie vor Verletzte und Todesopfer. In den israelischen Medien wird täglich die Zahl der getöteten eigenen Soldaten genannt, werden ihre Namen und Bilder veröffentlicht. Für die Israelis sind sie Helden. Das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung findet dagegen weniger Widerhall in den Medien, vor allem im Fernsehen. Die breite Mehrheit, das wird den Besuchern aus Bayern immer wieder gesagt, will es diesmal bis zum Ende ausfechten. 

    Doch allmählich werden die USA – mit ihren Flugzeugträgern im Mittelmeer und Waffenlieferungen Israels Schutzmacht – zunehmend ungeduldig. US-Präsident Joe Biden mahnt Israel immer eindringlicher, mehr Rücksicht auf die Zivilbevölkerung zu nehmen. Die drängende Frage für die israelischen Kommandeure deshalb: Wie lange haben sie noch Zeit, bevor der Druck der Weltöffentlichkeit zu groß wird?

    Bild der Zerstörung aus Nir Oz.
    Bild der Zerstörung aus Nir Oz. Foto: Christoph Frey

    Auch international bröckelt in diesen Tagen der Rückhalt für die Militäroffensive der israelischen Streitkräfte im Gazastreifen – schon, weil diese bereits jetzt tausende zivile Todesopfer gefordert hat und die humanitäre und medizinische Versorgung der Menschen dort Beobachtern zufolge katastrophal ist. In der UN-Vollversammlung hatten zuletzt mehr als 150 Länder einen sofortigen Waffenstillstand verlangt. Doch Israel will davon nichts wissen: "Wir machen weiter bis zum Ende, bis zum Sieg, bis zur Zerstörung der Hamas, auch angesichts internationalen Drucks", sagt Regierungschef Benjamin Netanjahu am Mittwoch vor Soldaten. "Nichts wird uns aufhalten."

    "Bayern schützt jüdisches Leben für immer", sagt Söder

    Söder stellt sich am Donnerstag klar hinter den Kurs der israelischen Regierung. Für einen Waffenstillstand sei es zu früh, erst müsse die Hamas vollständig besiegt sein, sagt der bayerische Ministerpräsident. "Israel hat das Recht auf Selbstverteidigung, und das nicht nur ein bisschen. Wenn es sich nur ein bisschen verteidigen kann, dann geht es wieder los."

    Es sind Sätze wie diese, die sich die israelische Seite von deutschen Politikern erhoffen. Das Land soll Fürsprecher sein in Europa und der Welt und Söder ist bereit, in diese Rolle zu schlüpfen. Der Franke, daheim ein beinharter Wahlkämpfer mit Gespür für wechselnde Stimmungen, legt sich hier fest. Unzweideutig. Diese Botschaft gerinnt in einem Satz, den Söder an der Gedenkstätte in Yad Vashem im Gästebuch hinterlässt: "Wir stehen fest an der Seite Israels. Bayern schützt jüdisches Leben für immer."

    Und es ist auch eine Ansage nach innen. An den Antisemitismus von rechts und von islamistischer Seite. Er hat auch in Bayern nach dem 7. Oktober deutlich zugenommen. In Israel wird das genau registriert, wie der Vorsitzende der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, Dani Dayan, betont. Es gebe zwar viele Bekenntnisse deutscher Politiker gegen den Antisemitismus, doch das müsse die Bevölkerung in ihrer ganzen Breite erreichen. Der Freistaat hat nun mit der Holocaust-Gedenkstätte Bildungsangebote unter anderem für Lehrer und Polizisten vereinbart.

    Was der blanke Hass auf Juden anrichtet, hat sich am 7. Oktober auch in Nir Oz gezeigt. Als Söder am Nachmittag den Rundgang durch den zerstörten Kibbuz beendet, streift er Helm und Schutzweste ab, der Tross zieht weiter. In ein paar Stunden steht ein Treffen mit Israels Präsident Izchak Herzog in Tel Aviv auf dem Plan, bevor es am Freitag zurück nach München gehen soll. Söder sagt: "Das, was hier passiert, hinterlässt lange Spuren für den Einzelnen, aber ich glaube auch kollektiv für ein Volk." Deshalb müsse man nun zeigen, "dass man an der Seite Israels steht, dass man an der Seite jüdischen Lebens steht, dass man Verständnis hat".

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