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Krieg in Nahost: Ein Palästinenser, sein Berliner Theater und der Kampf gegen Judenhass

Krieg in Nahost

Ein Palästinenser, sein Berliner Theater und der Kampf gegen Judenhass

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    Wie kann Verständigung hier nur gelingen? Berliner Polizisten begleiten eine propalästinensische Demonstration in Berlin-Neukölln.
    Wie kann Verständigung hier nur gelingen? Berliner Polizisten begleiten eine propalästinensische Demonstration in Berlin-Neukölln. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Jeden Montagabend spürt Mohammad Eliraqui, 25, dass er süchtig ist. Nach der Schauspielerei, danach, mit anderen jungen Menschen etwas zu erschaffen. Sein Herz poche auch nach mehreren Jahren noch schneller, wenn er auf die Bühne trete, sagt er. Was wohl passieren wird? Wird er lachen? Schreien? Weinen? Ob kleine oder große Bühne, kleines oder großes Publikum – was für ihn zählt: Raus mit den Emotionen. Den schönen, aber vor allem den belastenden. Er sagt, es gehe ihm bei der Schauspielerei nicht um Ruhm oder Bekanntheit. Für ihn ist sie vor allem eines: ein mächtiges Ventil, besser als jede Therapie. Und ein verbindendes Element.

    Eliraqui wurde im Libanon geboren, hat palästinensische Wurzeln und ist mit seiner Familie im Alter von neun Jahren nach Deutschland gekommen. Im Berliner Stadtteil Neukölln – dort, wo der Terror der Hamas gegen Israel auf den Straßen gefeiert wurde – leitet er mit seinem Bruder am Theater Heimathafen immer montags das Jugendensemble "Active Player". Er möchte vermitteln, was ihm wichtig ist: für ein gemeinsames Stück auf der Bühne stehen, sich gegenseitig achten, und das unabhängig vom Geschlecht, vom religiösen oder familiären Hintergrund. Diesen Wunsch trägt Mohammad Eliraqui auch in Berliner Schulklassen, wenn er mit Schülerinnen und Schülern an Theater- und Filmprojekten arbeitet. Oder, teils gemeinsam mit einem jüdischen Freund, vor Klassen über ein respektvolles Miteinander spricht. Und da gibt es viel, über das gesprochen werden muss.

    Der palästinensische Schauspieler Mohammad Eliraqui.
    Der palästinensische Schauspieler Mohammad Eliraqui. Foto: Sercan Sevindik

    In Berlin zogen "propalästinensische" Demonstranten an einer Starbucks-Filiale vorbei, Teilnehmende beleidigten Kunden, spuckten an die Wand – der Gründer des Unternehmens wuchs in einer jüdischen Familie auf. Unbekannte schleuderten Molotow-Cocktails auf eine

    Seit dem Angriff der Hamas kommt es in Deutschland zu etwa 29 antisemitischen Taten pro Tag

    Seit dem Terror-Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober ist die Zahl antisemitischer Straftaten in Deutschland in die Höhe geschossen. Der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS) verzeichnete in den ersten Wochen danach 994 solcher und ähnlicher Vorfälle bis hin zu körperlicher Gewalt. Im Schnitt sind es 29 Straftaten pro Tag. Zum Vergleich: Im Vorjahr waren es sieben Fälle täglich. Viele Jüdinnen und Juden haben Angst davor, aus dem Haus zu gehen. Die Kette mit dem Davidstern ablegen? Besser eine Basecap über die Kippa ziehen?, fragen sie sich. Sie fragen sich, ob sie Deutschland verlassen sollten. Für manche ist das nur noch eine Frage der Zeit. 

    Antisemitismus ist ein ideologischer Klebstoff: Gerade vereint er unterschiedliche, extremistische Gruppen in ihrem Israelhass. Der Verfassungsschutz warnte bereits vor solchen Allianzen.

    Im Neuköllner Theater-Ensemble Active Player spielen keine Jüdinnen und Juden, sagt Mohammad Eliraqui. Sie hätten womöglich Vorbehalte und Angst, weil sein Bruder und er Palästinenser sind; weil Menschen mit palästinensischen oder türkischen Wurzeln teilnehmen. Oder auch, weil sie sich vor rechtsradikalen Deutschen fürchten. Zumindest habe jemand so etwas einmal angedeutet – vor dem Terrorangriff der Hamas. Dabei biete die Theatergruppe doch Raum für Austausch und Gemeinsamkeiten, nicht für Spaltung, sagt er. Die Schauspielerinnen und Schauspieler bringen persönliche Erlebnisse ein und für sie wichtige Themen. Daraus entwickeln sie mit Eliraqui ein Theaterstück. Jeweils im Sommer ist Premiere, dann sitzen sogar namhafte Schauspiel-Scouts im Publikum und suchen nach Talenten.

    Ein Bild des Theater-Ensembles "Active Player" aus dem vergangenen Jahr.
    Ein Bild des Theater-Ensembles "Active Player" aus dem vergangenen Jahr. Foto: Friederike Faber

    Die Bild machte Mohammad Eliraqui einen schweren Vorwurf

    So wurde auch Eliraqui 2020 entdeckt und für den Kinofilm "Ein nasser Hund" gecastet. Der Staat förderte den Film, der muslimischen Antisemitismus thematisiert und im Berliner Stadtteil Wedding spielt. Eliraqui hat eine der Hauptrollen – er verkörpert Husseyn, einen radikalen Muslim. "Ein nasser Hund", der im Herbst 2021 in die Kinos kam, basiert auf der Geschichte des deutsch-israelischen Autors Arye Sharuz Shalicar. Der musste sich als Jude in dem muslimisch geprägten Kiez durchbeißen, war Mitglied einer türkischen Gang. Darüber schrieb Shalicar in seinem Buch "Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude". Inzwischen ist er einem weitaus größeren Publikum bekannt – aus Nachrichtensendungen oder Talkshows. Als Sprecher der Israel Defence Forces ist er zu Gesicht und Stimme der israelischen Armee geworden.

    Arye Sharuz Shalicar ist Sprecher der israelischen Armee und Autor. Auf seinem Buch basierte ein Film, in dem Mohammad Eliraqui mitspielte.
    Arye Sharuz Shalicar ist Sprecher der israelischen Armee und Autor. Auf seinem Buch basierte ein Film, in dem Mohammad Eliraqui mitspielte. Foto: IDF

    Mohammad Eliraquis Leistung im Film brachte ihm eine Nominierung zum besten deutschen Nachwuchsschauspieler ein. Und eine Überschrift in der Bild-Zeitung: "Nachwuchsstar machte bei Judenhetze mit". Das Blatt schrieb, Eliraqui lebe seine Filmrolle auch im echten Leben. Der Beweis: ein Video von einer pro-palästinensischen Demonstration. Auf die Frage, was sich dort ereignet habe, sagt er: Ein Fan habe ein Video von ihm gemacht. Währenddessen hätten sich verschiedene Menschen hinter ihm antisemitisch geäußert. Er habe sich ihnen allerdings nicht angeschlossen. Im Gegenteil, gestritten habe er mit ihnen und diskutiert. Er sei Palästinenser, gehe auf pro-palästinensische Demos, doch das bedeute nicht, dass er antisemitische Hetze unterstütze.

    "Seit Jahren kämpfe ich dafür, zwischen Juden und Muslimen zu vermitteln, habe viele jüdische Freunde, gehe auf jüdische Filmfestivals. Diese Freundschaften geben mir so viel und dann das", sagt Mohammad Eliraqui. "Das hat mich total geschockt." Er berichtet von Morddrohungen auf Instagram, von zig Kontrollanrufen seiner Eltern aus Angst um ihn und von massiven Schlafproblemen.

    Eliraqui sagt, an Schulen sollten Fachleute über den Nahen Osten sprechen

    Zurück in den Proberaum des Theater-Ensembles. Adnan, 16, hat türkische Wurzeln. Er wünscht sich die Themen Antisemitismus und Nahostkonflikt als Szenen im neuen Stück. Manuel, 13, möchte weitverbreitetes Schubladendenken aufbrechen. Er fragt: "Warum ist es so schwierig, mich als Jungen zu akzeptieren?" Er bindet seine langen dunkelblonden Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen und zupft an seinem Pullover: pink, lila, blau, grün. Auf dessen Rückseite ist Jesus aufgedruckt, der Krone trägt und Augenklappe.

    Hanna, 18, Deutsch-Palästinenserin, steigt langsam die zwei Stufen zur Bühne hoch. Sie schließt kurz die Augen, öffnet sie wieder. Es scheint, als wisse sie nicht, wie sie ihre Szene beginnen soll; ob sie überhaupt etwas mit den Anwesenden teilen möchte. Schließlich spricht sie über Erlebnisse aus der Schulzeit, die sie bis heute prägten, wie sie erzählt. "Ich war acht Jahre alt, als in Berlin ein Terroranschlag verübt wurde. In der Schule sollten dann alle Kinder sagen, welche Religion sie haben. Muslimische Kinder mussten die Frage beantworten, ob ihre Mutter ein Kopftuch trägt." Sie schüttelt den Kopf, neue Szene.

    Das Neuköllner Theater-Ensemble Active Player. Die jungen Leute sollen ihre Emotionen rauslassen – und über Probleme reflektieren.
    Das Neuköllner Theater-Ensemble Active Player. Die jungen Leute sollen ihre Emotionen rauslassen – und über Probleme reflektieren. Foto: Friederike Faber

    Eliraqui hört allen, im Ensemble oder in Schulen, vor allem zu, ohne zu bewerten. Er erklärt aber auch, dass Kritik an Israels Regierung legitim sei, anders als judenfeindliche Äußerungen oder Hetze gegen Israel allgemein. Er kritisiert, dass an vielen Schulen keine Fachleute mit den Schülerinnen und Schülern über den Nahostkonflikt sprächen. Im besten Fall, schlägt er vor, sollten das Menschen mit israelischen und palästinensischen Wurzeln tun – als Team.

    An manchen Tagen sei Vermittlung nicht möglich

    Immer wieder, sagt er, laute sein Mantra: zuhören und miteinander sprechen statt aufgeschnappte Phrasen, etwa auf TikTok, nachplappern. Teilweise erreiche er damit die jungen Leute. An manchen Tagen sei seine Arbeit aber nur eines: der pure Frust. Vermittlung? Unmöglich. "Die Rückmeldungen sind oft erschütternd", erzählt Mohammad Eliraqui nun. Er spricht von jüdischen Jugendlichen, deren Eltern sie nicht mehr in die Schule schickten, und von muslimischen Jugendlichen, die ihn fragten: "Sind wir Tiere? Monster?"

    Auch das ist Teil der Realität: Für viele Palästinenserinnen und Palästinenser ist das Klima in Deutschland seit dem brutalen und verstörenden Angriff der Hamas auf Israel rauer geworden. Für Muslime allgemein. Der Zentralrat der Generalverdacht, unter dem Muslime seit dem Terror-Angriff der Hamas stünden. Worauf er damit vermutlich anspielte: auf eine Rede des Bundespräsidenten Anfang November, in der dieser sich "an die palästinensische Gemeinschaft in unserem Land" wendete und sagte, palästinensische und andere Muslime dürften sich von der Hamas nicht benutzen lassen: "Sprechen Sie für sich selbst! Erteilen Sie dem Terror eine klare Absage!" Muslime fanden, damit würden ihnen Sympathien für die Hamas unterstellt.

    Eliraquis Vision: ein friedliches Leben von Juden und Muslimen in Deutschland

    Mohammad Eliraqui sagt, er habe sich vor ein paar Jahren die Bühne zur Heimat gemacht, weil er oft gespürt habe: Viele Menschen wollten ihn in Deutschland nicht, akzeptierten ihn nicht. Falscher Name, falsches Aussehen, falsche Religion. Vor allem momentan habe er nicht das Gefühl, besonders willkommen zu sein. "Da geht es mir wie meinen jüdischen Freunden." Aktuell arbeitet er an einem jüdisch-palästinensischen Schulprojekt. Er hat eine Vision: Juden können in Berlin ohne Angst mit Kippa auf dem Kopf oder Davidstern um den Hals durch die Straßen schlendern – und Muslime können beten und sich zum Islam bekennen, ohne verdächtigt zu werden, Terroristen zu unterstützen.

    Pause im Proberaum des Theater-Ensembles. Die jungen Schauspielerinnen und Schauspieler lassen sich auf Stühle plumpsen. Einer von ihnen hält einen Kaffeebecher in der Hand. Eine andere ruft ihm zu: "Du trinkst Kaffee von Starbucks? Der kommt doch aus Israel!" Es ist einer der Momente, in denen Mohammad Eliraquis Ziel einer Verständigung noch sehr fern erscheint.

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