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Interview: Holetschek über Krankenhausreform: "Leicht wird der Strukturwandel nicht"

Interview

Holetschek über Krankenhausreform: "Leicht wird der Strukturwandel nicht"

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    Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek versteht die Hektik bei der Gesundheitsreform nicht: "Eine so wichtige Reform kann man nicht einfach durchpeitschen."
    Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek versteht die Hektik bei der Gesundheitsreform nicht: "Eine so wichtige Reform kann man nicht einfach durchpeitschen." Foto: Armin Weigel, dpa

    Herr Minister Holetschek, sehen Sie es wie Minister Lauterbach, dass sich die deutschen Krankenhäuser in der schlimmsten Lage seit 25 Jahren befinden?

    Klaus Holetschek: Die deutschen Krankenhäuser befinden sich tatsächlich in einer sehr, sehr schwierigen Lage. Aufgrund der steigenden Kosten für Energie und andere Sachleistungen sowie in Folge der Corona-Pandemie hat sich die Situation massiv zugespitzt.

    Die Krankenhausreform soll einige Probleme grundsätzlich lösen. Einigkeit gibt es aber nur darüber, dass man etwas tun muss – über den Inhalt herrscht großer Streit. Gibt es aus Ihrer Sicht die Chance, dass man in der kurzen Zeit bis Jahresende zu einem großen Wurf kommt?

    Holetschek: Die Frage ist, ob der Zeitdruck so überhaupt sein muss. Es ist nicht entscheidend, wenn wir für die Krankenhausreform ein halbes Jahr länger brauchen. Entscheidend ist vielmehr, dass wir die Krankenhäuser jetzt stabilisieren. Deswegen bin ich auch froh, dass der Bund nun zur Einsicht gekommen ist und mit Blick auf die mittelbar durch den Anstieg der Energiepreise verursachten Kostensteigerungen der Krankenhäuser noch einmal 2,5 Milliarden für Ausgleichszahlungen zur Verfügung stellt. Denn ehrlicherweise bräuchten wir über manche Kliniken sonst gar nicht mehr zu reden.

    Weil sie schließen müssten...

    Holetschek: So ist es. Und ich verstehe die Hektik bei der Krankenhausreform nicht. Ich würde sagen, man sollte etwas den Fuß vom Gas nehmen zugunsten einer wirklich gut gemachten Reform, die im Kern von den Patientinnen und Patienten her gedacht werden muss. Außerdem wurden bisher viele wichtige Akteure einfach am Wegesrand stehen gelassen, die man aber mit einbinden muss, wenn man am Ende ein gutes Ergebnis haben will. Daher haben wir in Bayern jetzt ein eigenes Begleitgremium, bei dem weitere wichtige Gruppen wie beispielsweise niedergelassene Fachärzte, Hausärzte, Rettungsdienste in die Gespräche mit eingebunden werden. Was für mich aber auch ganz entscheidend ist, das ist die Kommunikation mit den Menschen vor Ort. 

    Die Reform soll aber 2024 in Kraft treten. Ist der Zeitplan zu halten?

    Holetschek: Eine so wichtige Reform kann man meines Erachtens nicht einfach durchpeitschen. Mir ist eine gute medizinische Versorgung wichtiger als ein Zeitplan. 

    Was gilt es vor allem zu klären?

    Holetschek: Zunächst muss man auch klären: Ist eine Entgeltreform das Ziel oder eine Strukturreform, an deren Ende Deutschland einfach nur noch 500 Krankenhäuser haben darf? Eine Entgeltreform könnte der Bund sofort durchziehen. Aber die Länder müssen entscheiden können, wo welche Versorgung sinnvoll und richtig ist. Wovor ich eindringlich warne, ist zu sagen: Wenn Deutschland nur noch 500 Krankenhäuser hätte, wären alle Qualitätsprobleme gelöst. Es ist zwar richtig, dass man komplizierte Krebsoperationen am besten in darauf spezialisierten Kliniken macht, falsch ist es aber zu sagen, dass kleine Krankenhäuser keine gute Qualität bieten und daher wegkönnen. Das ist mir zu platt.

    Sie wollen also keine Strukturreform?

    Holetschek: Ich glaube schon, dass sich die Strukturen ändern werden. Das tun sie auch schon: Es kommt ja bereits an Standorten zu Veränderungen, wie jüngst in Roding in der Oberpfalz, wo ein medizinisches Versorgungszentrum entstanden ist. Aber die Strukturveränderungen können positiv und konstruktiv sein, vorausgesetzt, man findet gemeinsam vor Ort Lösungen. Das wird die Herausforderung, denn wir brauchen die Akzeptanz der Bevölkerung für nötige Strukturveränderungen. Der Bund wiederum muss, wie es im Grundgesetz steht, die Finanzierung und die betriebswirtschaftliche Auskömmlichkeit gewährleisten.

    Ist man sich denn in der Grundidee einig, dass man viele kleinere Krankenhäuser zu ambulanten Zentren umbaut, und wie würde das in Bayern dann aussehen?

    Holetschek: Sie sprechen die verschiedenen Level-Versorgungsstufen an, in die Kliniken künftig unterteilt sein sollen, je nachdem, was sie anbieten. Ich glaube, dass wir diese Level gar nicht brauchen. Ich halte von diesen Zuordnungen nichts. Denn entscheidend ist doch die Frage, welche konkrete Versorgung ein Krankenhaus in der jeweiligen Region leisten muss? Das kann man aber nicht pauschal in Berlin festlegen. Und ein ganz zentraler Punkt wird meines Erachtens bisher viel zu wenig berücksichtigt: Wo kommen die Menschen her, die in den Krankenhäusern oder ambulanten Zentren arbeiten sollen?

    Der Fachkräftemangel wird also zu wenig berücksichtigt?

    Holetschek: Ja. Der Personalmangel ist das zentrale Problem und wird bisher zu wenig berücksichtigt. Bei jeder bisherigen Reform, bei allen Krisen im Gesundheitsbereich haben wir doch gesehen, dass das Problem das fehlende Personal ist. Klar ist zudem: Wir brauchen keine Revolution im Krankenhauswesen, sondern eine Revolution vor allem in der Pflege.

    Die Revolution in der Pflege haben Sie aber auch schon vor langem gefordert.

    Holetschek: Hier muss die Bundesregierung noch mehr tun, ganz klar. Ein Patentrezept gibt es zwar nicht. Aber es könnten beispielsweise sofort alle Zuschläge steuerfrei gestellt werden. Das wäre ein wichtiges Signal. Wir hatten dies im Bundesrat auch beantragt. Das könnte der Bund schnell umsetzen. Auch müssten sogenannte Springerkonzepte im Krankenhaus mehr etabliert und genutzt werden. Dabei springen Menschen ein, wenn Pflegekräfte ausfallen, damit die Arbeitszeiten für alle verlässlicher sind. Und wir müssen größer denken: Wir brauchen beispielsweise mehr bezahlbaren Wohnraum sowie Kinderbetreuungsmöglichkeiten speziell für Pflegekräfte. Und wir brauchen wieder mehr Einsteigerprogramme und müssen die Förderprogramme, die wir haben, besser bekannt machen. Bayern wirbt zudem im Ausland um Personal und versucht mit schnellen Einreise- und Anerkennungsverfahren, dass ausländische Pflegekräfte rascher bei uns arbeiten können. 

    Bei der Krankenhausreform geht es auch um eine bessere Finanzierung. Studien haben ergeben, dass viele Operationen nur des Geldes wegen gemacht werden. Hilft aus Ihrer Sicht die Reduzierung der Fallpauschalen?

    Holetschek: Zwischen 40 und 60 Prozent der Betriebskosten sollen künftig durch sogenannte Vorhaltepauschalen finanziert werden, der Rest weiter über Fallpauschalen und das sogenannte Pflegebudget. Ich glaube schon, dass dies ein Ansatz ist, um ein Stück weit den wirtschaftlichen Druck zu reduzieren. Man wird es beobachten müssen. Ich teile aber die Forderungen aus der Regierungskommission, wonach wir eigentlich 100 Milliarden Euro für einen guten Transformationsprozess unserer Krankenhauslandschaft bräuchten. Aber ich fürchte, der Bundesfinanzminister wird diese Forderung ebenso abweisen wie höhere Zuschüsse für die Pflegeversicherung.

    Bei der Finanzierung spielen im Gesundheitsbereich auch Finanzinvestoren eine zunehmende Rolle. Ist nicht zu befürchten, dass ihr Einfluss gerade bei ambulanten medizinischen Zentren steigt?

    Holetschek: Einer weiteren, übermäßigen Ausdehnung von investorengetragenen medizinischen Versorgungszentren müssen wir in der Tat einen Riegel vorschieben. Gerade auf bestimmte Facharztgruppen – etwa Zahnärzte, Augenärzte – haben Finanzinvestoren ein Auge geworfen und übernehmen vermehrt Sitze. Die Bundesländer sind sich mehrheitlich einig, dass hier Handlungsbedarf besteht. Bayern hatte von den Ländern den Auftrag, entsprechende Forderungen an den Bund zu formulieren. Wir bereiten gerade eine Bundesratsinitiative vor, um Eckpunkte festzuschreiben. Denn es muss garantiert werden, dass die Rendite nicht die Versorgungslandschaft dominieren und entscheiden darf, welche Behandlungen angeboten und gemacht werden.

    Aber grundsätzlich soll es also auch in Bayern künftig anstelle kleiner Kliniken mehr ambulante medizinische Versorgungszentren geben, oder?

    Holetschek: Grundsätzlich wollen wir mehr Zusammenarbeit zwischen Kliniken und niedergelassenen Ärzten, also sektorenübergreifende Lösungen. Wir wollen insbesondere auch von Kommunen getragene medizinische Versorgungszentren unterstützen, weil viele Ärztinnen und Ärzte heute lieber in einer Anstellung denn als Unternehmer und Verwaltungschef in einer eigenen Praxis arbeiten wollen. Viele wollen ihren ärztlichen Beruf zwar ausüben, nicht aber auch noch viele Verwaltungsaufgaben haben. Vor allem Medizinerinnen legen großen Wert auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Und der Arztberuf wird weiblicher: 70 Prozent der Studienanfänger sind Frauen.

    Welche Auswirkung hat das auf die Notfallversorgung? Eine ältere Patientin mit Oberschenkelhalsbruch beispielsweise kann man schlecht ambulant versorgen. Braucht man nicht auch gut erreichbare Betten für eine stationäre Versorgung und für Notfälle?

    Holetschek: Genau über solche Kernfragen ringen wir bei der Krankenhausreform mit dem Bund in den Verhandlungsrunden. Natürlich brauchen wir eine gute Versorgung, die unmittelbare Notfallversorgung muss unbedingt in der Fläche erhalten bleiben. Genau deshalb fordere ich, dass die Länder mehr Einfluss haben müssen. 

    Gibt es Eckpfeiler bei der Versorgung, bei denen Sie versprechen, dass daran nicht gerüttelt wird?

    Holetschek: Man kann nur versprechen, was man halten kann. Ich kann jedoch zusagen, dass wir weiter eine gute wohnortnahe Versorgung im ganzen Land wollen. Eine gute medizinische Versorgung darf kein Privileg der Metropolen und Großstädte sein. Allerdings gibt es vor Ort oft unterschiedliche Ansichten darüber, wie eine gute wohnortnahe Versorgung aussieht. Im Landkreis Weilheim-Schongau war die Politik und auch ich als Minister für den Bau eines modernen Zentralkrankenhauses, aber die Bevölkerung entschied in einem Bürgerentscheid an den alten beiden Klinikstandorten festzuhalten. Leicht wird der Strukturwandel also nicht.

    Der Freistaat will eine Milliarde Euro in den Neubau der Augsburger Uniklinik investieren. Was bedeutet das für die umliegenden Krankenhäuser?

    Holetschek: Das Uniklinikum ist für die gesamte Region eine Chance und alle Beteiligten machen sich jetzt schon Gedanken, wie die umliegenden Krankenhäuser miteinbezogen werden. Wir haben mit den Kliniken, Landräten, Bürgermeistern und Wissenschaftsminister Markus Blume schon die erste Gesprächsrunde, wie man die Uniklinik, den Medizincampus und die Krankenhäuser am besten im Sinne aller verzahnen kann. Hier entsteht für die Region eine exzellente Versorgung. 

    Zur Person: Klaus Holetschek, 58, ist seit 2021 bayerischer Gesundheitsminister. Der CSU-Politiker ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt mit seiner Familie in Memmingen.

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