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Komponist: 75. Geburtstag: So verbringt Ralph Siegel den Herbst seines Lebens

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75. Geburtstag: So verbringt Ralph Siegel den Herbst seines Lebens

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    Ralph Siegel in seiner Villa. Er arbeitet gerade an neuen Stücken.
    Ralph Siegel in seiner Villa. Er arbeitet gerade an neuen Stücken. Foto: Marcus Merk

    In Solln am Rande des Isartals leben die Münchner, die es im Leben, wie man so schön sagt, geschafft haben. Ralph Siegel würde bestreiten, dass das auf ihn zutrifft. Denn für den Komponisten, Produzenten und Musikverleger gibt es kein Zurücklehnen, kein Ruhen. Siegel steht immer unter Strom. Er ist so eine Art Mensch gewordenes New York, ein Zampano, ein Macher. „Ein paar Stunden Schlaf, das muss reichen“, meint der Mann, der am Mittwoch 75. Geburtstag feiert.

    Das Alter sieht man ihm inzwischen ein wenig an. Doch in seinen Augen funkelt noch die Glut des jungen Mannes voller Tatendrang, der er einst war. Vor allem, wenn es um seine aktuellen Projekte geht. Siegel kommt mit kleiner Verspätung vom Arzt, am Arm klebt ein Pflaster. Er erzählt von einer Nervenentzündung, er sei nicht einmal mehr in der Lage, am Flügel die Oktave zu greifen. Und das ist überhaupt nicht gut für einen, dessen berufliches Werkzeug das Piano ist.

    Ralph Siegels Villa: Empfangshalle und Musikstudio

    Durch die Eingangshalle seines Hauses wuseln Tontechniker. Siegel arbeitet an neuen Stücken. Das Innere der Siegel-Villa: eine Empfangshalle mit einer Bar, gegenüber ein Musikstudio, dahinter der Wohn- und Essbereich, von dem man Blickkontakt ins Studio hat. Dort ein wuchtiger Schreibtisch aus Mahagoni, darüber ein Glas-Lüster. Hier, im Wohnzimmerschrank, seine Preise – vom Bambi bis zum Echo fürs Lebenswerk. Und das ist nicht nur quantitativ umfangreicher, als die meisten es annehmen.

    Denn Ralph Siegel hat mehr geleistet, als „Ein bisschen Frieden“ zu komponieren. Er hat mehr getan, als die Popgruppe Dschinghis Khan zu produzieren. Und das würden nicht einmal seine Neider und Feinde bestreiten, von denen er eine ganze Menge hat. Ralph Siegel selbst sieht das entspannt: viel Feind, viel Ehr’. Doch zurück zu seiner beruflichen Bilanz. Die veranschaulichen zwei Zahlen, zwar mangelhaft, aber dennoch eindrucksvoll: Er hat mit den unterschiedlichsten Künstlern als Komponist oder Produzent oder beides zusammengearbeitet. Rund 150 Hits stehen zu Buche; insgesamt hat er mehr als 2000 Lieder und einige Musicals geschrieben.

    Eigentlich reicht das für zwei Leben. Aber Siegel macht weiter, immer weiter. Eine seiner Regeln lautet: „Erst kommt die Inspiration, dann die Transpiration.“

    An den Wänden seiner Villa hängen zahlreiche goldene Schallplatten.
    An den Wänden seiner Villa hängen zahlreiche goldene Schallplatten. Foto: Marcus Maerk

    Komponist Ralph Siegel erlitt mehrere Hörstürze

    Weil er wegen mehrerer Hörstürze nicht mehr gut hört, und der Tinnitus seit einem offenbar ziemlich lauten Elton-John- und Billy-Joel-Konzert stetig pfeift, dreht er sich beim Sitzen unauffällig so, dass er einem sein besseres Ohr zuwendet. Er erzählt gerne. Auch das kann er. Als Sohn eines berühmten Komponisten und Musikverlegers sowie einer gefeierten Operettensängerin hat er im Wortsinne Musik im Blut. Alle Stationen seiner Karriere aufzählen zu wollen, das wäre müßig. Sein erster internationaler Erfolg datiert bereits auf das Jahr 1967. Mit „It’s a long long way to Georgia“ gelang ihm in Nashville eine kleine Sensation: Don Gibson schaffte es damit bis auf Platz acht der US-Hitparade.

    Mitte der 1970er Jahre stellte sich der Textdichter Bernd Meinunger bei dem aufstrebenden Komponisten und Musikverleger vor. Es war der Beginn einer Freundschaft, wie Siegel es in seiner Autobiografie „Mehr als ein bisschen Frieden“ formuliert, die er zum anstehenden Geburtstag aktualisiert auf den Markt bringt.

    Es entstanden Songs, die man früher mit dem schönen Wort „Evergrveen“ adelte: „Babicka“ für Karel Gott, „Moskau“ für Dschinghis Khan, oder eben „Ein bisschen Frieden“ für Nicole. Für den Großmeister des Schlagers, Udo Jürgens, produzierte er Hits wie „Der Teufel hat den Schnaps gemacht“ oder „Griechischer Wein“. Und er arbeitete auch, man glaubt es kaum, mit dem frühen Gerhard Polt, dem Kabarettisten. Dass ihn manche als Schlager-Siegel gering schätzen, hält der Mann, der mehrere Instrumente spielt und auch in der Musiktheorie zu Hause ist, aus.

    Ralph Siegel und der Grand Prix: Das gehört zusammen

    Irgendwann kommt das Thema in der Siegel-Villa auf den Eurovision Song Contest, den „Grand Prix“. Der Münchner und der europäische Musikwettbewerb waren über Jahrzehnte sozusagen untrennbar, fast wie siamesische Zwillinge miteinander verbunden.

    Was hat ihn an diesem Spektakel so gereizt? Siegel zieht sich eine Marlboro aus der Schachtel: „Wenn man zu Hause ein Lied schreibt, dann möchte man, dass es gehört wird“, sagt er. „Die Chance, sich international vor Millionen zu zeigen, ist gigantisch.“ In seiner Vorstellung ist das so, als wäre eine Frau „weltweit auf dem Cover des Playboy“. Nachdem er das gesagt hat, wartet er auf die Reaktion seines Gegenübers.

    Siegel: „Ich bin der einzige deutsche Komponist, der diesen Grand Prix gewonnen hat“

    Nochmals ein paar Zahlen: 24 Teilnahmen am Eurovision Song Contest zählen zu seiner Bilanz, acht Mal kam er unter die ersten vier. „Ich bin der einzige deutsche Komponist, der diesen Grand Prix gewonnen hat“, sagt er jetzt. Das war mit Nicole, mit „Ein bisschen Frieden“, 1982. Darauf ist er noch heute ziemlich stolz.

    Das ist der Eurovision Song Contest

    Der ESC ist ein jährlicher Wettbewerb von Komponisten und Songschreibern. Der erste Contest fand 1956 statt.

    Bis 1992 war der Eurovision Song Contest unter dem Namen Grand Prix Eurovision de la Chanson bekannt.

    Am Eurovision Song Contest dürfen alle Länder teilnehmen, die Mitglied der Europäischen Rundfunkunion sind.

    Organisiert wird der Song Contest immer von dem Land, aus dem der Vorjahressieger kam.

    Sieger wird, wer die meisten Punkte aus den teilnehmenden Ländern erhält.

    Die meisten Siege beim Eurovision Song Contest konnte Irland für sich verbuchen - bis jetzt sieben.

    Deutschland schaffte immerhin zwei Siege beim Eurovision Song Contest: Nicole gewann mit "Ein bisschen Frieden", Lena mit "Satellite".

    Mit besonderem Interesse wird in Deutschland immer verfolgt, wie viele Punkte wir von unseren österreichischen Nachbarn bekommen haben. Umgekehrt ist es allerdings genauso.

    Die Gruppe, die am häufigsten beim Grand Prix auftrat, war die Schweizer Formation Peter, Sue & Marc. Sie vertrat gleich viermal ihr Land.

    Auch Deutschland schickte "Wiederholungstäter" an den Start. So traten Katja Ebstein und die Gruppe Wind jeweils dreimal für uns an. Lena Meyer-Landrut trat nach ihrem Sieg auch ein weiteres Mal an.

    Die Interpreten beim Song Contest müssen mindestens 16 Jahre alt sein - und sie müssen live singen.

    Einige Künstler schafften es durch den ESC zu Weltruhm. So natürlich die Gruppe ABBA, die 1974 mit dem Song Waterloo gewann.

    Genauso stolz wie auf seine verstorbene Mutter Ingeborg, die er zärtlich Mama nennt. Die beiden schienen ein inniges Verhältnis gehabt zu haben. „Egal, wo ich auf der Welt unterwegs war, wenn ich in mein Hotelzimmer kam, stand da schon immer ein Blumenstrauß von ihr“, verrät der Komponist. Er vermisst seine Mutter. Überhaupt die Frauen. „Ich lebe nicht gerne alleine“, räumt Siegel in erstaunlicher Offenheit ein. Vier Mal war er verheiratet. Seine Kinder: Giulia und Marcella aus erster Ehe.

    Alana, die gerade bei ihrem Vater ist, aus der zweiten. „Ich habe im Großen und Ganzen Glück mit meinen Frauen gehabt“, erzählt Siegel und betont, während der Ehezeit immer treu gewesen zu sein. Jetzt ist er mit Laura, einer 38 Jahre jüngeren Schweizerin, verheiratet. Er sagt auch: „Ich finde es okay, wenn sich Menschen nach vielen Jahren auseinanderleben.“ Das passiere leichter, wenn der Altersunterschied groß ist. Seine aktuelle Frau ist im Musikgeschäft tätig. Das verbindet.

    Ralph Siegel musste Tiefschläge verkraften

    Ralph Siegel, so mag das bis hierher klingen, war immer obenauf. Doch so war es nicht. Beruflich wie privat musste er empfindliche Tiefschläge einstecken. „Mein Leben war immer eine Achterbahn“, philosophiert er nun. Unten war er, als die Erfolge in den großen Musikwettbewerben ausblieben und er für Länder wie San Marino antrat, nur um überhaupt dabei zu sein. Als er 2002 beim ESC mit dem Song „I can´t live without music“, gesungen von Corinna May, abgeschlagen auf Platz 21 landete, hat er das schlechte Abschneiden als „persönliches Waterloo“ bezeichnet.

    Im Grunde sind das aber alte Kamellen. Genau wie die Geschichte um seinen ersten Rolls-Royce. Siegel sagt, es müsse noch in der 1960er Jahren gewesen sein. Damals habe der Angestellte der Beatles, Ron Kass, später Chef von Apple Records, seinen Vater und ihn vom Flughafen London-Heathrow abgeholt. „Wir saßen hinten in einem Rolls-Royce, und ich meinte: Papi, so einen Wagen möchte ich mir später auch einmal kaufen – der ist ja wunderschön.“ Worauf der Vater weise geantwortet habe: „Mein Junge, das kannst du vergessen, oder du musst mindestens 60 Jahre alt werden, bis du so einen Wagen kaufen darfst. Bei uns in Deutschland ist der Neid so groß, dass dir die Leute so ein Auto nicht gönnen!“

    Als der Vater mit 61 starb, schlug der Sohn seinen Rat in den Wind und besorgte sich für 38000 Mark spontan einen gebrauchten Rolls-Royce. „Manche Dinge darf man nicht zu lange aufschieben“, sagt Ralph Siegel. Sonst könne es zu spät sein. Auf die Erfüllung eines anderen, lange gehegten Wunschtraumes musste er indes jahrzehntelang warten. Bereits seit den 1980er Jahren hatte er vergeblich versucht, mit „Winnetou“, „Corrida“ oder „Clownstown“ ein Musical auf die Bühne zu bringen. Im März 2015 glückte es, allerdings nur im vergleichsweise unbedeutenden tschechischen Brünn. Hier wurde zu Siegels Freude „Johnny Blue“ uraufgeführt, ein Musical, das so manchen seiner Welthits eine Bühne bietet.

    Ralph Siegel will im Grab seiner Familie begraben werden

    Ernst wird Siegel, als die Sprache aufs Lebensende kommt. Im Grab seiner Familie will er begraben werden. Doch so richtig an sich heranlassen mag er das Thema nicht. „Ich habe noch keine Zeit zum Sterben“, meint er. Lieber plaudert er über sein jüngstes Projekt, das Musical „Zeppelin“, das eigentlich am 26. September Premiere haben sollte – hätte nicht Corona alle Pläne durcheinandergewirbelt. Die Premiere soll nun im kommenden Frühjahr im Schauspielhaus Füssen stattfinden. Fünf Jahre hat Siegel an dem Musical gearbeitet. „Ich glaube, das ist sehr, sehr gut gelungen,“ sagt er. Doch er bangt um das Projekt, in dem er sich mit der Katastrophe um das Luftschiff Hindenburg befasst. Musicals, das weiß Siegel ganz genau, werden nur erfolgreich, wenn der Vorverkauf bestens läuft. Er hofft, dass in den nächsten Monaten „möglichst viele Karten als Weihnachtsgeschenk verkauft“ werden.

    Wie er so erzählt, über sein Musical, da wirkt er wie der junge Mann, der er einst war, voller Tatendrang, experimentierfreudig, risikofreudig. Er will dieses Projekt, das finanziell Risiken birgt, unbedingt zum Erfolg führen, träumt sogar vom nächsten Schritt, den Broadway. Dass er jetzt, wie er selbst bestätigt, „im Herbst des Lebens“ angekommen ist, wo jeder Tag der letzte sein kann, blendet er aus. Dabei ist Ralph Siegel dem Tod schon von der Schippe gesprungen. 2007 beispielsweise habe ihm ein Mediziner mit der Aussicht konfrontiert, nur mehr sechs Monate zu leben zu haben: Prostatakrebs. Der hat ihm gleich mehrere Male zugesetzt. Aber bitte: Siegel hat gesiegt.

    Und wenn dann doch einmal der letzte Tag gekommen ist? Ralph Siegel sagt: „Mögen unsere Werke weiterleben!“ Im Spaß fügt er hinzu: „Ich hoffe allerdings, dass der liebe Gott mich noch nicht so schnell in seine Band aufnimmt.“ Zuvor will er ja noch feiern. 75 Freunde erwartet er an seinem 75. Geburtstag im Festspielhaus Füssen. Und man ahnt, dass es an Schampus nicht fehlen wird.

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