Startseite
Icon Pfeil nach unten
Bayern
Icon Pfeil nach unten

Kommunalwahl 2020: Warum CSU und SPD in Bayerns Großstädten vor der Wahl zittern müssen

Kommunalwahl 2020

Warum CSU und SPD in Bayerns Großstädten vor der Wahl zittern müssen

    • |
    Qual der Wahl: Bei der Kommunalwahl 2020 ist der Ausgang in vielen bayerischen Städten völlig offen.
    Qual der Wahl: Bei der Kommunalwahl 2020 ist der Ausgang in vielen bayerischen Städten völlig offen. Foto: Ulrich Wagner

    „Näher am Menschen“ geht eigentlich gar nicht mehr. Eva Weber, die Oberbürgermeisterkandidatin der CSU in Augsburg, lebt das Motto ihrer Partei. Sie hat ihr „Camp Eva“ mitten hinein gesetzt in die Augsburger Innenstadt, direkt in die Maximilianstraße. Passanten können hier rein wie in einen Laden: Tür auf. „Grüß Gott! Was darf's denn sein?“ Niederschwelliger könnte der Zugang zur Politik kaum sein. Er ist hier quasi barrierefrei. Die Nachfrage aber hält sich in den Wochen vor der Kommunalwahl dennoch in engen Grenzen. Auch an diesem sonnigen Spätnachmittag im Februar.

    Konkrete Anliegen, nicht selten verbunden mit einer Drohung

    Knapp zwei Dutzend Leute sind zum „Chancentalk“ mit der Kandidatin gekommen. Etwa die Hälfte sind Wahlhelfer der CSU. Sie tragen die Fragen der Bürger vor, die sie in den Stadtteilen in mühsamer Kleinarbeit eingesammelt haben. Wo fährt künftig die Straßenbahn der Linie 5? Warum kommt der Bus bei uns draußen nur alle halbe Stunde? Warum soll die Langemarckstraße im Stadtteil Kriegshaber umbenannt werden? Es sind konkrete Anliegen, nicht selten verbunden mit einer Drohung nach dem Motto: Wenn ihr das nicht genau so macht, wie ich es will, dann wähle ich euch nicht.

    Die Kandidatin hängt sich rein. Sie erläutert Hintergründe, Verfahren, Entscheidungswege. Sie erklärt, wie sie zur Linie 5, zum Bus-Takt in Außenbezirken und zur Langemarckstraße steht. Der Nutzen für die Wahlkämpferin aber ist minimal. Anders als in kleinen Städten und Gemeinden Bayerns erreichen die Kommunalpolitiker in Augsburg, München oder Nürnberg nur die wenigsten ihrer Wähler direkt. Weber weiß das.

    „Einen richtigen Bezug zu den Kandidaten gibt es in der Großstadt nicht wirklich.“ Und sie weiß, dass das längst nicht ihr einziges Problem ist. Die bisher dominanten Parteien in Bayerns großen Städten – die CSU wie auch die SPD – stehen einem Megatrend gegenüber. Die Stimmungslage, so sagt Weber, sei „im Moment eher gut für die Grünen“.

    Kommunalwahl 2020 in Bayern: Bei der CSU geht die Angst um

    Gut möglich, dass das noch eine Untertreibung ist. In der CSU jedenfalls geht vor dieser Kommunalwahl die Angst um. „Wir werden unser grünes Wunder erleben“, orakeln sie im Parteivorstand. CSU-Chef Markus Söder ist vorsorglich schon mal auf Distanz gegangen. Für die Grundstimmung ist nach seinem Verständnis in erster Linie die Bundespolitik verantwortlich. Will heißen: er nicht. Der Rest entscheidet sich nach Söders Auffassung durch Besonderheiten vor Ort: die Verankerung der Partei in der Bevölkerung, die Persönlichkeiten und die politischen Leistungen oder Fehler in jüngster Vergangenheit.

    Dass seine Partei ihr Gesamtergebnis aus dem Jahr 2014 wieder erreichen könnte, glaubt Söder nicht. Schon damals brachte es die CSU, die unter Horst Seehofer im Landtag im Jahr zuvor noch die absolute Mehrheit zurückerobert hatte, nur mehr auf 39,7 Prozent. Aber damals spielte der Klimawandel eine deutlich geringere Rolle und die AfD gab´s auch noch nicht. Alte Gesetzmäßigkeiten sind ins Wanken geraten. Alles ist ungewisser geworden.

    In München könnte OB Reiter wiedergewählt werden - CSU droht ein Debakel

    Beispiel München: Die Landeshauptstadt ist unter den drei größten Städten Bayerns die einzige, in der der Amtsinhaber, Oberbürgermeister Dieter Reiter, sich erneut zur Wahl stellt. Der SPD-Mann regiert seit sechs Jahren in einer Koalition mit der CSU, sucht sich aber von Fall zu Fall auch andere Mehrheiten im Stadtrat. Er ist beliebt. Er hat nicht wirklich etwas falsch gemacht. Sein Motto kommt an bei den Bürgern: „Erst zu sagen, was man tut – und dann zu tun, was man sagt.“ Deshalb gilt es als wahrscheinlich, dass er sein Amt spätestens in der Stichwahl verteidigt. Gleichzeitig werden seiner Partei weitere Verluste, den Grünen weitere Gewinne vorhergesagt.

    Recht viel weiter aber wagen sich auch Kenner der Situation in München mit ihren Prognosen nicht vor. Ob Kristina Frank (CSU) oder Katrin Habenschaden (Grüne) ihn in die Stichwahl zwingt, ist offen. Spätestens seit dem Wahlsieg von Rot-Grün in Hamburg halten sie es jedoch sogar in der CSU für möglich, dass ihre junge Kandidatin, die mit dem seltsam rückwärtsgewandten Slogan „Wieder München werden“ antritt, schon in der ersten Runde scheitern könnte. Die jüngste Umfrage scheint das zu bestätigen. Der CSU-Kandidatin droht ein Debakel, ihrer Partei – zuletzt gleichauf mit der SPD im Stadtrat – möglicherweise auch.

    Kommunalwahl 2020: Situation in Nürnberg ist völlig unklar

    In Nürnberg, der einstigen SPD-Hochburg, ist die Situation noch viel unklarer. Oberbürgermeister Ulrich Maly, der 2014 im ersten Wahlgang 67 Prozent geholt und dabei seine Partei (44 Prozent) deutlich hinter sich gelassen hatte, hört nach 18 Jahren auf. Dass die SPD ohne den „unbesiegbaren“ Maly ihr Ergebnis auch nur einigermaßen wird halten können, gilt als unwahrscheinlich.

    Die Kandidaten der CSU und der Grünen, Marcus König und Verena Osgyan, dürfen hoffen. König liegt angeblich vorne. Der Kandidat der SPD, Thorsten Brehm, dagegen muss zittern. Die drohende Fallhöhe ist für ihn am höchsten. Wie der CSU in München muss es der SPD in Nürnberg angst und bange werden. Und noch etwas kommt in der fränkischen Metropole hinzu: SPD, CSU und Grüne haben in Nürnberg die vergangenen sechs Jahre gemeinsam regiert. Ihre Programme unterscheiden sich nur marginal. Wer sollte da wissen, wie es kommt?

    Mit Eva Weber will die CSU wenigstens Augsburg verteidigen

    Auch in Augsburg gibt es nach dem Rückzug von Kurt Gribl (CSU) keine Gewissheiten. Auch hier gab es zuletzt ein Dreierbündnis. Zwar kann Eva Weber – unter OB Gribl schon Bürgermeisterin – mit einem kleinen Amtsbonus rechnen. Dass sie es gleich im ersten Wahlgang über 50 Prozent schaffen könnte, glauben sie aber bestenfalls in der CSU. Sowohl Dirk Wurm (SPD) als auch Martina Wild (Grüne) rechnen sich die Chance aus, in die Stichwahl zu kommen. Wenn Weber, die es mit zwölf Gegenkandidaten zu tun hat, unter 50 Prozent bleibt, reicht dafür der zweite Platz dahinter. In der Parteizentrale der CSU in München ist Weber dennoch die größte Hoffnungsträgerin in den Großstädten. Wenigstens Augsburg, so heißt es dort, müsse verteidigt werden.

    Verschärft wird die Ungewissheit in den drei Großstädten noch dadurch, dass es kaum irgendwo echte lokale Kontroversen gibt. Am ehesten noch prallen die Parteien in München aufeinander. „SPD und Grüne wollen dem Fahrrad den Vorrang vor allem anderen geben. Das geht auf Kosten von Fußgängern, ÖPNV-Fahrern und all jenen, die auf das Auto angewiesen sind. Das ist mit der CSU nicht zu machen“, lässt CSU-Kandidatin Frank die Wähler in einem Rundbrief wissen.

    Gleichzeitig warnt sie vor einem „Linksbündnis“ aus Grünen, SPD und Linkspartei. „Was solche Bündnisse anrichten können“, betont Frank, „zeigen die Beispiele Berlin und Bremen.“ Ihr Wählerbrief liest sich, als wäre er von den alten Herren in der Münchner CSU geschrieben worden und nicht von der Kandidatin, die im Wahlkampf mit einer blumengeschmückten Fahrradrikscha unterwegs war und eigentlich alle Eigenschaften hätte, die Parteichef Söder sich wünscht: jung, weiblich, modern und weltoffen.

    Ihre grüne Gegenkandidatin Habenschaden nimmt den CSU-Wählerbrief als Steilvorlage. „Es gibt keinen Anlass, in München vor einem Linksbündnis zu warnen. In München hat Rot-Grün 24 Jahre lang sehr erfolgreich regiert“, sagt Habenschaden. „Was mir bei Frau Frank fehlt, ist eine klare Abgrenzung gegen Rechtsaußen und ein klares Bekenntnis zum Klimaschutz.“ Habenschaden weiß, dass der Klimaschutz in München noch mehr Anhänger hat als anderswo. Und beim Thema Verkehr kontert sie: „Die CSU spielt die verschiedenen Verkehrsteilnehmer gegeneinander aus und schürt völlig unbegründet Ängste unter Autofahrern.“

    Kommunalwahl 2020: Noch nie wusste man Bayern vorher so wenig wie dieses Mal

    Im Kern freilich geht es – wie überall in den Großstädten – auch in München mehr ums Lebensgefühl denn um die Sache. CSU-Generalsekretär Markus Blume spricht gar von einem „Gefühlswahlkampf“. Die große Frage, wer am Ende davon profitiert, stellt auch Wahlforscher und Wissenschaftler vor Rätsel. „Leider“, sagt Ursula Münch, die Direktorin der Akademie für politische Bildung in Tutzing, „beschäftigen sich viele meiner Kollegen lieber mit der großen Politik und weniger mit den Besonderheiten von Kommunalwahlen.“

    Nur einige grundsätzliche Dinge seien aus der Vergangenheit bekannt: dass die Wahlbeteiligung in den Großstädten oft auffallend niedrig sei, dass insbesondere die Volksparteien CSU und SPD Probleme hätten, ihre Wählerklientel zu mobilisieren und dass sozial schwächere Milieus weniger zur Wahl gehen als Besserverdiener mit höherem Bildungsniveau oder Studenten. „Daraus ziehe ich den Schluss, dass die Sorgen der CSU vor dieser Kommunalwahl durchaus berechtigt sind“, sagt Münch.

    Ein kurzer Blick auf andere große Städte in Bayern zeigt, dass die Ungewissheiten in diesem Kommunalwahlkampf offenbar der Normalfall sind. In der Universitätsstadt Würzburg, wo es in der Vergangenheit immer wieder Überraschungen gab, wagt kaum jemand eine Prognose, ob Oberbürgermeister Christian Schuchardt – ein CDU-Mann! – sein Amt wird verteidigen können. In Regensburg und Ingolstadt ist völlig offen, welche Auswirkungen die Korruptionsskandale der jüngsten Vergangenheit haben werden. Erst bei deutlich kleineren Städte, werden die Prognosen mutiger. In Neu-Ulm etwa, so heißt es bei der CSU mit dem Brustton der Überzeugung, sei Katrin Albsteiger klare Favoritin. Umgekehrt rechnen sich die Christsozialen kaum Chancen aus, in Passau den SPD-Oberbürgermeister Jürgen Dupper vom Thron zu stoßen.

    Doch das sind Ausnahmen. Im Grundsatz gilt für die Kommunalwahlen in den bayerischen Städten im Jahr 2020: Noch nie wusste man vorher so wenig über den Ausgang wie dieses Mal.

    Lesen Sie dazu auch: Fragen und Antworten zur kompliziertesten Wahl Bayerns

    Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden