Es ist ein bisschen wie das Sortieren der Linsen im Aschenputtel-Märchen. Die Tierwelt wird gerne aufgeteilt, in die Guten und die Schlechten. Welche Art auf welcher Seite landet, welche also geschützt werden soll und welche nicht, das entscheidet der Mensch, oft aus egoistischen Motiven.
Erst vor wenigen Tagen kochte die Debatte wieder hoch. Im Zentrum stand ein Tier, das wohl wie kein anderes polarisiert: der Wolf. Während sich die einen freuen, dass das Raubtier nach Bayern zurückgekehrt ist, wollen ihm die anderen das Fell über die Ohren ziehen – so geht das seit Jahren. Dieses Mal folgte der Diskussion aber etwas Bemerkenswertes: Die Regierung von Oberbayern erlaubte es tatsächlich, den Wolf, der in mehreren Landkreisen Nutztiere gerissen hatte, zu töten. Diese Entscheidung wurde dann von einem Gericht zwar wieder kassiert – wogegen schon wieder Rechtsmittel angekündigt wurden–, sie markiert dennoch einen Umbruch im Umgang mit dem Tier. Schließlich wurde in Bayern seit 140 Jahren kein Wolf mehr getötet.
Die grundsätzliche Frage lautet: Wie viel Wildnis wollen wir eigentlich?
Wenn man sich mit den Argumenten der beiden Lager befasst, denen der Naturschützer und denen der Tierhalter, dann kommt man schnell zu dem Schluss: Es wäre falsch, den Wolf zu töten. Das Tier war und ist keine Gefahr für den Menschen – so argumentierte ja auch das Gericht. Dass Wölfe Tiere fressen, liegt in deren Natur und rechtfertigt per se keinen Abschuss – schon gar nicht, wenn man sich einmal die Zahlen anschaut und in Relation setzt. Seit dem ersten Auftauchen eines Wolfes in Bayern im Jahr 2006 wurden nach Angaben des Landesamtes für Umwelt 144 getötete Nutztiere dokumentiert. Nur zum Vergleich: In Bayern werden mehr als fünf Millionen Masthühner, rund 3,2 Millionen Rinder, über drei Millionen Schweine und 210.000 Schafe – davon wurden in 15 Jahren 102 gerissen – gehalten.
Diese Fakten sollte man berücksichtigen, wenn man wegen einzelner Vorfälle – die natürlich für die Besitzer ärgerlich sind, keine Frage – gleich zur Flinte greifen möchte. Hinzu kommt: Es existieren ja Schutzmaßnahmen, etwa Herdenschutzzäune. Und: Für betroffene Landwirte gibt es Entschädigungszahlungen.
Es muss ohnehin eine ganz grundsätzliche Frage gestellt werden: Wie viel Wildnis wollen wir eigentlich? Die Antwort wird unterschiedlich ausfallen, je nachdem, mit wem man spricht. Und je nachdem, um welches Tier es sich handelt. Die meisten freuen sich, dass es wieder mehr Steinadler gibt oder dass Bartgeier im Nationalpark Berchtesgaden ausgewildert wurden. Aber wenn ein Wolf durch die Wälder streift oder sich ein Bär blicken lässt – Stichwort: Problembär Bruno –, dann dauert es nicht lange, bis die ersten Menschen fordern, ihnen den Garaus zu machen. Diese Kluft gibt es schon lange, der Zwist ist mehrere Jahrhunderte alt. Denn damals war jedes Nutztier, das verloren ging eine existenzbedrohende Katastrophe.
Längst ist von einem epochalem Artensterben die Rede
Das ist heute anders. Und deswegen muss auch der Umgang mit der Problematik eine andere sein. Auch vor dem Hintergrund, dass in den vergangenen Jahren immer deutlicher wurde, was der Mensch der Natur angetan hat. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sprechen längst vom größten Artensterben seit dem Verschwinden der Dinosaurier. Dass es trotzdem Tiere wie den Wolf gibt, die nach Bayern zurückkehren, ist ein Erfolg des Naturschutzes. Expertinnen und Experten haben sich lange die Köpfe darüber zerbrochen, wie man mit dem Raubtier umgehen soll und einen Managementplan erarbeitet. Der ist aber nur wenig wert, wenn sich die Politik zu schnell dem Druck – der vor allem vom Bauernverband kommt – beugt.