Die 82-seitige Stellungnahme des emeritierten Papstes Benedikt XVI. im Münchner Missbrauchsgutachten zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen des Fehlverhaltens im Umgang mit Missbrauchsfällen ist jeder und jedem zur Lektüre empfohlen. Wer sie gelesen hat, versteht, warum der Jahrhundertskandal des Missbrauchs innerhalb der katholischen Weltkirche systemische Gründe hat. Der und dem wird bewusst, wie weit sich die „moralische Institution“ von ihrem eigenen, auf Jesus gründenden Wertefundament entfernt hat. Ja, wie einige ihrer bekanntesten Vertreter es pervertiert haben. Vertreter einer Institution zumal, die stets unnachgiebig versuchte, ihre Moralvorstellungen und ihre politische Agenda durchzusetzen.
Statt für die Opfer beten zu wollen, sollte Benedikt sie um Entschuldigung bitten
Diese 82 Seiten, abgefasst in einem kalten, selbstgerechten Ton, sind entlarvend – sie fügen der Kirche weiteren Schaden zu und stellen die beispiellose Selbstdemontage eines ehemaligen Kirchenoberhaupts dar, das noch dazu offenbar der Lüge überführt wurde. Benedikt zeigt nicht nur ein taktisches Verhältnis, was sein Erinnerungsvermögen angeht - er zeigt auch ein erschütterndes (Nicht-)Verständnis, was sexualisierte Gewalt ist und welches Leid sie anrichtet.
Was ist zu halten von einem ehemaligen Papst, der argumentiert, ein geistlicher Missbrauchstäter habe als Privatmann gehandelt? Was ist zu halten von einem ehemaligen Papst, der sein einstiges Nichthandeln in einem Fall damit begründet, dass "ein vollendetes auf die Erregung der Geschlechtslust gerichtetes Delikt vorliegen" hätte müssen, um ein kirchenrechtliches Verfahren einzuleiten? "Geschlechtslust" - mit Blick auf ein missbrauchtes Kind! Statt für die Opfer beten zu wollen, sollte Benedikt sie um Entschuldigung bitten. Es wäre das Mindeste.