Hätte Papst Franziskus das Rücktrittsgesuch des Münchner Erzbischofs Reinhard Kardinal Marx am 10. Juni vor einem Jahr angenommen statt ihm mitbrüderlich ein Weiter-so ans Herz zu legen, hätte das ein wichtiges Zeichen der Verantwortungsübernahme sein können. Marx hatte seinen aufsehenerregenden und überraschenden Schritt damit begründet, dass auch er im Umgang mit Missbrauchsfällen versagt habe.
Er verband ihn mit einem Werben für den innerkirchlichen Reformprozess "Synodaler Weg". Was seine Worte konkret bedeuten sollten, ließ er offen. Ein paar Monate später attestierte ihm dann das Missbrauchsgutachten für sein Bistum Fehlverhalten in zwei Fällen. Aus seiner Trierer Bischofszeit rühren weitere Vorwürfe.
Wie ernst er es mit seiner Verantwortungsübernahme und seinem Eintreten für Reformen meint, kann jeder an seinem Tun ablesen
Und nun? Zum von Marx erhofften Wendepunkt ist es nicht gekommen, Papst Franziskus selbst hat mit seinen Entscheidungen jegliches Aufbruchs-Signal ins Gegenteil verkehrt. Er beließ neben Marx den Hamburger Erzbischof Heße oder – zumindest bislang – den Kölner Kardinal Woelki im Amt. Im Falle Woelkis ist inzwischen eine kirchenrechtliche Frist abgelaufen, in der sein Angebot eines Amtsverzichts hätte angenommen werden müssen. Auch das ist ein Signal, das einmal mehr den Eindruck bestätigt: Immer wenn man denkt, es gehe kaum verheerender, kommt es noch verheerender.
Marx jedenfalls ist nach seinem glaubhaft vorgetragenen Rücktrittsgesuch (und dessen Nichtannahme) eine große Handlungsfreiheit zugewachsen, von der er nach wie vor nicht zu wissen scheint, für was er sie genau verwenden möchte. Und die er besser hätte nutzen können. Er hätte zum Beispiel wesentlich aktiver das Gespräch mit Missbrauchsopfern suchen müssen. Diese werfen ihm weiterhin vor, dass er dies kaum tue; dass zwischen seinen Betroffenheitsbekundungen und Reformforderungen und seinen Taten eine Kluft besteht.
Andererseits kann Marx durchaus handeln: Sein erstmaliger Besuch eines Queer-Gottesdienstes im vergangenen März zeugt davon. Wie ernst er es mit seiner persönlichen Verantwortungsübernahme und seinem Eintreten für Reformen meint, kann jede und jeder an seinem Tun ablesen. Vieles steht ganz allein in seiner Macht und lässt sich nicht mit Verweis auf Rom wegschieben. Die Zeit des Zögerns und Zauderns sollte vorbei sein. Was also hindert Marx noch daran, eine Wende für seine von Krisen schwer getroffene Kirche tatkräftig mitzugestalten und mit eigenem Beispiel stärker voranzugehen?