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Kommentar: Marx' Stellungnahme zum Missbrauchsgutachten enttäuscht

Kommentar

Marx' Stellungnahme zum Missbrauchsgutachten enttäuscht

Daniel Wirsching
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    Kardinal Reinhard Marx äußerte sich in einer Pressekonferenz zum Gutachten zu sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche im katholischen Erzbistum München und Freising.
    Kardinal Reinhard Marx äußerte sich in einer Pressekonferenz zum Gutachten zu sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche im katholischen Erzbistum München und Freising. Foto: Sven Hoppe, dpa

    Hätte der Münchner Erzbischof Reinhard Kardinal Marx doch 2010 schon so gesprochen. Oder in jedem anderen folgenden Jahr, in dem sich der Missbrauchsskandal der katholischen Kirche ausweitete. Er tat es nicht.

    Erst an diesem Donnerstag fand Marx auf einer Pressekonferenz zumindest teilweise angemessene Worte und rückte die Perspektive der Missbrauchsbetroffenen in den Vordergrund – und man sollte ihm einen ehrlichen Willen, sich und seine Kirche verändern zu wollen, nicht von vornherein absprechen. War es mutig von ihm, das Missbrauchsgutachten für sein Erzbistum München und Freising in Auftrag zu geben und veröffentlichen zu lassen? Vielleicht. Nur: Es kommt zu spät. Wie viele seiner Worte an diesem Donnerstag.

    Er klebe nicht an seinem Amt, sagte Marx. Und doch bleibt er, weil er sich nicht „aus dem Staub machen“ wolle. Ist das die Perspektive der Betroffenen? Wie lange und auf welcher Vertrauensgrundlage im Verhältnis zu Opfern aber wird er Münchner Erzbischof sein können? Auch aus seiner Trierer Bischofszeit rühren massive Vorwürfe gegen ihn und seinen Umgang mit Missbrauchsfällen. Er räumte hierzu bereits Fehler ein. Und auch das: Welches Gewicht hat Marx überhaupt noch in der Deutschen Bischofskonferenz und innerhalb der Weltkirche, um echte Reformen voranzutreiben, wie er das am Donnerstag abermals beteuerte?

    Wie lange sollen Opfer der Kirche und Vertretern wie Marx denn noch Zeit zum „Lernen“ geben?

    Letztlich blieb Marx wieder fatal im Vagen. Kein kritisches Wort zu den viel diskutierten Äußerungen eines seiner Vorgänger, Joseph Ratzinger – dem jetzigen emeritierten Papst Benedikt XVI. Kein kritisches Wort zum Verhalten seines Kirchengerichtsleiters Lorenz Wolf, der – immerhin – „alle seine Ämter und Aufgaben ruhen lassen“ werde. Keine weiteren personellen und „persönlichen“ Konsequenzen, sondern nur die Aufforderung an im Missbrauchsgutachten Genannte und Nichtgenannte, sich selbst zu prüfen. Das ist dürftig und verkennt den Ernst der Lage.

    Kardinal Reinhard Marx äußerte sich in einer Pressekonferenz zum Gutachten zu sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche im katholischen Erzbistum München und Freising.
    Kardinal Reinhard Marx äußerte sich in einer Pressekonferenz zum Gutachten zu sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche im katholischen Erzbistum München und Freising. Foto: Sven Hoppe, dpa

    Marx selbst sagte, er wolle ein „lernender Bischof“ sein. Auch das mag ehrlich sein, doch wie muss das in den Ohren von Missbrauchsbetroffenen klingen? Wie lange sollen sie der Kirche und hohen und höchsten Vertretern wie ihm denn noch Zeit zum „Lernen“ geben?

    Das Versagen des „Systems katholische Kirche“ drückt sich so auch einmal mehr im Versagen seiner Kommunikation aus. Ungezählte Male haben Marx und andere Amts- und Würdenträger in den vergangenen Jahren ja ihre „Scham“ bekundet über das allgegenwärtige Verbrechen des Kindesmissbrauchs in Reihen der Kirche. In den vergangenen Jahren entstand dabei regelrecht eine Scham-Bekundungs-Routine.

    Zu oft haben sich die Worte der Bischöfe von „Scham und Schmerz“ als leere Worte erwiesen

    Wie oft bat „man“ um Entschuldigung – aber nur auf öffentlichen Druck hin oder wenn es unausweichlich schien? Wie oft bat „man“ um Entschuldigung für „Versehen“ und angebliche Missverständnisse? Wie oft bat „man“ um Entschuldigung „im Namen“ der Kirche? So oft, dass wohl die wenigsten, die diese Beteuerungen hörten, sie noch glauben wollten. Zu oft haben sich die Worte von „Scham und Schmerz“ als leere Worte erwiesen.

    Genauso wie Kirchenvertreter Schuld in einem Nebel des Ungefähren aufzulösen versuchten, hielten und halten sie es mit der Übernahme echter, persönlicher Verantwortung. Selbst als Reinhard Marx Papst Franziskus im vergangenen Sommer um den Rücktritt als Erzbischof bat, tat er dies, „um Mitverantwortung zu tragen für die Katastrophe des sexuellen Missbrauchs durch Amtsträger der Kirche in den vergangenen Jahrzehnten“. Ein glaubwürdiges „Ich bitte um Entschuldigung“ – für dieses oder jenes ganz konkrete Verhalten – kam jedenfalls den wenigsten Männern Gottes über die Lippen. Missbrauchsbetroffene sind da zu Recht misstrauisch bei den kirchlichen Scham-Bekenntnissen – und nehmen Bitten um Entschuldigung nicht an.

    Missbrauchsopfer reagieren zu Recht verletzt und wütend auf Predigten wie die von Bischof Voderholzer

    Und sie reagieren zu Recht verletzt und wütend auf Predigten wie der des Regensburger Bischofs Rudolf Voderholzer, dem als Kommentar zur Veröffentlichung des Münchner Missbrauchsgutachtens nichts anderes einfiel, als auf die in der Kriminalitätsstatistik geführten Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung hinzuweisen. Die Kirche werde „zum Sündenbock für ein gesamtgesellschaftliches Problem gemacht“ und der Missbrauch werde instrumentalisiert. Whataboutismus nennt man das, eine rhetorische Ablenkungsstrategie.

    Damit nicht genug: Voderholzer schloss daran eine Verschwörungserzählung an. „Die Empörung über den Missbrauch ist das Feuer, auf dem die Suppe des synodalen Weges gekocht wird“, predigte er im Regensburger Dom – wohlwissend, dass der Gesprächsprozess „Synodaler Weg“ zwischen deutschen Bischöfen und engagierten Katholikinnen und Katholiken eine Antwort auf den Missbrauchsskandal der Kirche sein soll, dass es bei ihm um die Prävention sexualisierter Gewalt geht.

    Was Opfern nicht hilft, ist das bischöfliche Sprechen über „Reformen“, die vielleicht nie kommen

    Matthias Katsch von der Betroffenen-Initiative „Eckiger Tisch“ forderte an diesem Donnerstag vor der Pressekonferenz von Kardinal Marx in München, dieser solle konkret werden. Er solle erklären, was er getan habe, um den damaligen Papst Benedikt XVI. – einst wie er Münchner Erzbischof – vor den Konsequenzen dessen nun gutachterlich festgestellten Fehlverhaltens zu schützen. Er wolle hören, wie jetzt Verantwortung für die Missbrauchsopfer übernommen werden solle, so Katsch. Was ihm und anderen Betroffenen nicht hilft, ist das bloße bischöfliche Sprechen über „Reformen“, die dann vielleicht doch nie kommen.

    Marx blieb Katsch und allen anderen Betroffenen nicht nur diese Antworten schuldig. Katsch kommentierte direkt im Anschluss an die Pressekonferenz des Erzbischofs: „Das war für Betroffene schwer erträglich.“ Marx sei offensichtlich der Meinung, ohne ihn gehe es nicht. Er sei mit seinem Latein am Ende, sagte Katsch ernüchtert. Immer noch gebe es kein „Opfergenesungswerk“, immer noch gebe es keine faire Entschädigung für Betroffene. Marx‘ Aussagen bezeichnete er als „selbstzentriertes Gerede“.

    Wieder einmal hat Marx, hat die katholische Kirche an diesem Donnerstag eine Chance vertan

    Wieder einmal ist an diesem Donnerstag eine Chance vertan worden. Und das fortgesetzte Versagen der Kirchenspitze – auch der Spitze der Weltkirche im Vatikan – fällt zurück auf jeden einzelnen Priester, jede Kirchenbeschäftigte, alle Ehrenamtlichen. Viele von ihnen bemühen sich nach Kräften darum, der Frohen Botschaft gerecht zu werden und ihr Gehör zu verschaffen. Kardinal Marx hatte das Wort vom „toten Punkt“ in die öffentliche Debatte eingebracht, an dem die katholische Kirche sei. Dass Marx diesen "toten Punkt" überwunden habe, lässt sich an diesem Donnerstag nicht sagen. Zu einem Wendepunkt ist dieser Tag nicht geworden.

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