Bayerns Ministerpräsident Markus Söder ist – ganz unabhängig davon, wie man politisch zu ihm steht – nicht zu beneiden. Der Ärger fliegt dem CSU-Chef aktuell nur so um die Ohren.
Da ist zum Beispiel dieses Interview, das er Ende Januar der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung gegeben hat. Der entscheidende Satz darin lautete: „Russland ist ein schwieriger Partner, aber kein Feind Europas.“ Schon vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine machte daraufhin die hämische Frage die Runde: War es wirklich Söder oder nicht doch Ex-Kanzler Gerhard Schröder, der da wortreich für die Gaspipeline Nord Stream 2 geworben hat?
Die bayerische Energiepolitik steckte schon vor dem Krieg in einem Dilemma
In seiner Regierungserklärung in dieser Woche vor dem Landtag sah Söder sich dazu veranlasst, den Vorwurf zurückzuweisen, die Staatsregierung habe Bayern in Abhängigkeit von russischem Gas gebracht. So ein Vorwurf sei „im besten Falle falsch, im schlechtesten Falle politisch fragwürdig“, schimpfte er. Das seien immer „nationale Entscheidungen“ gewesen, eingeleitet von den SPD-Kanzlern Willy Brandt und Helmut Schmidt in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Alle seien von der „Gaspartnerschaft“ mit Russland überzeugt gewesen – schon vor und mehr noch nach dem Beschluss über den Atomausstieg.
Das ist alles richtig, was er da sagt, aber halt leider nicht vollständig. Söder unterließ es, darauf hinzuweisen, dass der Freistaat mehr als die meisten anderen Bundesländer die Gaskraft als Brückentechnologie in der Energiewende fest einkalkuliert hatte und deshalb jetzt ganz besondere Probleme hat. Er erinnerte daran, was er in seiner Zeit als Umweltminister für den Umstieg auf erneuerbare Energien getan hat, verschwieg aber, dass es mit dem Aufschwung der erneuerbaren Energien in Bayern schon längst wieder vorbei ist. Er beschwerte sich über die Grünen, die in München lautstark Windräder und Stromtrassen fordern, vor Ort aber nicht selten an der Spitze des Gegenprotests stünden. Noch in derselben Sitzung aber lehnten CSU und Freie Wähler einen Antrag der Grünen zur Beschleunigung des Netzausbaus ab.
Die bayerische Energiepolitik steckte schon vor dem Krieg in einem Dilemma, das die CSU, die bis vergangenen Herbst in Berlin in der Regierung saß, mit zu verantworten hatte. Nun verschärfen sich die Probleme enorm und Söder muss eine Pirouette nach der anderen drehen, um in der Debatte irgendwie zu bestehen.
Die Liste der Widersprüche ließe sich fortsetzen
Hinzu kommt ein starker Verlust an Glaubwürdigkeit auf weiteren Politikfeldern. CDU und CSU müssen sich, wenn sie heute die Lage der Bundeswehr beklagen, die Frage gefallen lassen, wer in den vergangenen 16 Jahren den Bundesverteidigungsminister gestellt hat. Ähnliches gilt für die Steuerpolitik. Kaum in der Opposition, brachte die CSU ihre Forderung nach einer Reform der Erbschaftssteuer wieder auf die Tagesordnung, die sie in den 16 Jahren ihrer Regierungszeit nicht hat durchsetzen können.
Die Liste der Widersprüche ließe sich fortsetzen. Ein besonders illustres Beispiel betrifft noch einmal die Energiepolitik. Söder trat nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima mit guten und nach wie vor überzeugenden Argumenten für den Alleingang Deutschlands beim Atomausstieg ein. Jetzt warb er für eine begrenzte Verlängerung der Laufzeiten mit dem Argument: „Warum glauben wir, dass wir schlauer seien als all unsere europäischen Freunde?“
Der Krieg in Europa ändert aktuell alles. Das muss man Söder zugestehen. Er ist nicht der Einzige, der sich in Russland getäuscht hat. Die Probleme aber, um die er nicht zu beneiden ist, sind zu einem guten Teil selbst gemacht.