Nachdem das Medium Correctiv ein Treffen von Rechtsextremen in Potsdam aufgedeckt hatte, blieb vor allem ein Wort hängen: Remigration. Ein Begriff, der 2023 zum Unwort des Jahres gewählt wurde und dessen Umsetzung nicht weniger als die Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland zur Folge hätte. Die bundesweiten Demonstrationen gegen Rechtsextremismus sind für alle Demokratinnen und Demokraten ein Grund zur Freude, zeigen sie doch, wie vielen Menschen etwas an der freiheitlichen Grundordnung des deutschen Staates liegt. Vereinzelt hallt jedoch leise ein anderes Wort nach: "aber". Im Sinne von: Rechtsextremismus ist schlimm, aber vergessen wir den Linksextremismus und die Islamisten nicht.
Der Begriff "Whataboutism" bezeichnet eine sprachliche Technik, bei der ein Missstand relativiert wird, indem ein anderer aufgebracht wird. Im Gespräch über die Gefahren des Rechtsextremismus stellen Politiker oder Medienvertreter immer wieder klar, dass keine Form des Extremismus tolerabel sei. Das sollte eigentlich selbstverständlich sein. Dass es dennoch ständig betont wird, lenkt den Fokus weg von der Tatsache, dass vom Rechtsextremismus aktuell die größte Gefahr für die Demokratie in Deutschland ausgeht.
Rechtsextremisten begehen mehr Straftaten als Linksextremisten
Dafür sprechen zum einen die Zahlen. Jedes Jahr begehen Rechtsextremisten deutlich mehr Straftaten als Linksextremisten. 2022 waren es laut dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) knapp 21.000 im Gegensatz zu knapp 4000 von linksextremer Seite. Ein Großteil rechtsextrem motivierter Straftaten entfällt auf Volksverhetzung oder sogenannte Propagandadelikte, also die Verbreitung von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen und die Verwendung von Kennzeichen wie dem Hitlergruß. Unter den linksextrem motivierten Straftaten machen Sachbeschädigungen den größten Teil aus.
2022 begangen Rechtsextremisten knapp dreimal häufiger Körperverletzung als Linksextremisten (879 zu 301 Fälle). Und: Immer wieder töten Rechtsextremisten andere Menschen. Die Anschläge in München, Halle und Hanau sind nur ein paar Beispiele. Von linksextremer Seite gab es ein vergleichbares Gewaltpotenzial seit der Auflösung der linksextremistischen, terroristischen Vereinigung "Rote Armee Fraktion" 1998 nicht mehr. Der letzte Fall, in dem ein Mensch in Deutschland durch linke Gewalt starb, liegt zehn Jahre zurück.
Laut aktuellen Wahlumfragen wäre die AfD zweitstärkste Kraft in Deutschland
Zum anderen reicht ein Blick in die derzeitige politische Landschaft, um zu erkennen, dass der Linksextremismus – zumindest aktuell – keine unmittelbare Gefahr für die Demokratie darstellt. Im Bundestag sitzt, abgesehen von der neuen Gruppe "Bündnis Sahra Wagenknecht" und den verbliebenen Abgeordneten der Linken, keine linksorientierte, geschweige denn linksextreme Partei. Auf der anderen Seite steht die AfD. In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen stufte das BfV diese schon jetzt als "gesichert rechtsextreme Bestrebung" ein. Laut Medienberichten arbeiten die Verfassungsschützer daran, sogar die gesamte Partei so einzustufen.
Glaubt man Wahlumfragen, so wäre die AfD derzeit trotzdem zweitstärkste Kraft in Deutschland. Laut einer YouGov-Studie würde momentan jeder Fünfte die rechtsradikale Partei in den Bundestag wählen. Eine politische Kraft, gegen deren Mitglieder teilweise wegen Volksverhetzung ermittelt wird und zu deren Spitzenleuten ein Mann namens Björn Höcke gehört, der es als Problem bezeichnete, "dass Hitler als das absolut Böse dargestellt wird".
Die NSDAP erreichte nur 13 Jahre nach Parteigründung knapp 44 Prozent
Noch nie in der deutschen Geschichte standen Linksextremisten an der Spitze einer Regierung. Im Gegensatz dazu war vor nicht einmal hundert Jahren die NSDAP stärkste politische Kraft, gewählt von Millionen von Menschen, die zumindest mit rechtsextremem Gedankengut sympathisierten. Zur Erinnerung: Bei der Reichstagswahl 1930 stand die NSDAP bei 18,3 Prozent. Drei Jahre später war die Partei mit 43,9 Prozent unangefochten an der Spitze – gerade mal 13 Jahre nach Parteigründung.
Wer in diesen Tagen ein lautes "Aber" dazwischenruft, um eine Gefahr gegen die andere auszuspielen, hat den Ernst der Lage nicht verstanden. Ja, selbstverständlich sind grundsätzlich alle Arten von Extremismus eine Bedrohung, da sie eines gemeinsam haben: Sie zielen darauf ab, den demokratischen Staat, unsere freiheitliche Form des Zusammenlebens abzuschaffen. Doch es ist der Rechtsextremismus, der erneut salonfähig zu werden droht, dessen Vertreter in politischen Ämtern sitzen, dessen Anhänger sich treffen, um gemeinsam die Vertreibung von Menschen zu planen. Kein Aber.