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Kommentar: Der gesellschaftliche Umgang mit der jungen Generation ist zynisch

Kommentar

Der gesellschaftliche Umgang mit der jungen Generation ist zynisch

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    Die Jugend ist politisiert und engagiert wie nie zuvor. Und sie hat viel verzichtet in letzter Zeit. Mit der Debatte um die Dienstpflicht gibt man ihr dennoch zu verstehen: Ihr tut zu wenig für die Gesellschaft. Das ist falsch.
    Die Jugend ist politisiert und engagiert wie nie zuvor. Und sie hat viel verzichtet in letzter Zeit. Mit der Debatte um die Dienstpflicht gibt man ihr dennoch zu verstehen: Ihr tut zu wenig für die Gesellschaft. Das ist falsch. Foto: Fernando Gutierrez-Juarez, dpa

    Der erhobene Zeigefinger kann eine effektive Geste sein. Wenn man mit Kindern spricht. Da wirkt dieses unausgesprochene Du-Du-Du! noch konditionierend. Ab der Pubertät aber verliert der Finger seine belehrende Wirkkraft. Denn zum Heranwachsen gehörte schon immer auch, sich an der älteren Generation zu reiben, Konventionen zu hinterfragen, 1968 gegen den Vietnamkrieg zu sein, zwei Jahrzehnte später vielleicht mit einem Irokesenschnitt oder bunten Haaren zu provozieren und nun eben, für das Klima auf die Straße zu gehen. Trotz alledem sprechen viele der heute Lebensreifen so, als wären sie selbst nie jung gewesen. Der Zeigefinger, er regiert allenthalben.

    Nichts versinnbildlicht das so sehr wie der Blick, nein das Schielen auf die Jugend während der Corona-Pandemie. Als in Ministerpräsidentenkonferenzen um Inzidenzwerte gefeilscht wurde, ging komplett unter, welchen Tribut junge Menschen in diesen Zeiten eigentlich zollen mussten. Der erste Urlaub allein: gestrichen, die Abiturfeier: abgesagt, das Studentenleben: eine Videokonferenzendauerschleife. Keine Partys, kein Kennenlernen. Der Esprit eines Lebensabschnitts: einfach wegradiert. Die Jugend verzichtete, um die Älteren, um die Vulnerablen zu schützen. Das war richtig, das war wichtig.

    Wer im ersten Lockdown 18 war, steuert jetzt auf die 21 zu

    Der Dank? Während Psychologen schon Alarm schlugen angesichts der Ängste und Sorgen der jungen Bevölkerung, waren Luftfilter in Schulen noch die absolute Ausnahme, lag der Fokus auf Schimpftiraden über flaumbärtige Biertrinker in Parks, drehte die Bundesregierung einen zynischen Werbeclip mit dem Tenor: Liebe junge Leute, bleibt zu Hause, auf der Couch, vor der Glotze – und rettet die Welt.

    Wer im ersten Lockdown 18 war, steuert jetzt, hoffentlich in der Endphase dieser Pandemie, schon auf die 21 zu. Wäre das Leben ein Film, man hätte bei der aufregendsten Szene einfach vorgespult. Und genau in diesem Moment wärmt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die lauwarme Debatte um eine Dienstpflicht wieder auf. Der Sinn dahinter mag wohlfeil sein. Soziale Arbeit verbreitert den Horizont. Eine Kaserne schärft die Disziplin. Die Botschaft aber ist einmal mehr: Tut doch ihr auch mal was für unsere Gesellschaft!

    Für eine Gesellschaft wohlgemerkt, die individuelle Freiheit sonst auch gern über das Kollektiv stellt und für jede Lebenssituation inzwischen eine passgenaue Lösung sucht. Homeoffice, flexible Arbeitszeiten. Alles gewünscht. Doch wenn die Gerade-erst-Abiturientin mit dem Interrail durch Europa reisen will, oder mit dem Rucksack durch Südamerika, oder – ganz schlimm – einfach kurz planlos tun, worauf sie jetzt, nach Jahren des Paukens, eben Lust hat und das nicht die Altenpflege ist, dann soll das eine Kampfansage der Generation Ich an das Gemeinwohl sein? „Aus der eigenen Blase“ sollen die jungen Leute kommen, sagte Steinmeier. Rein physikalisch hält eine Blase ihr Innerstes zusammen. Und vielleicht ist das nicht die schlechteste Sache in einer Zeit, in der zuletzt so viele Träume und Gewissheiten einfach so platzten.

    Man muss die Methoden der Jugend nicht mögen. Aber man sollte sie ernst nehmen

    Gut die Hälfte der 14- bis 25-Jährigen engagiert sich nach einer Umfrage des Bundesfamilienministeriums ehrenamtlich. Die Jugend ist so politisiert wie lange nicht. Zu Tausenden geht sie für die Ukraine auf die Straße, gegen Sexismus und zum Wohle der Zukunft dieses Planeten. Und doch treffen sie Ignoranz, Spott und herabschauende Blicken.

    Natürlich darf man die Methoden der Straßenblockierer verabscheuen und die Hysterie des Fridays-for-Future-Gesichts Luisa Neubauer befremdlich finden. Jede junge Kohorte war laut und unperfekt. Nur: Damit diese Gesellschaft nicht auch noch zwischen den Generationen auseinanderbricht, wäre es angemessen, den Jungen zumindest einmal zuzuhören, ihre Anliegen ernst zu nehmen, den erhobenen Zeigefinger einzustecken und vielleicht auch einfach mal die Hand zu reichen.

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