Acht Tage lang saß Leo Elgas in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim. Der 23-Jährige ist kein Mörder, Räuber oder Betrüger, der in Bayerns wohl bekanntestem Gefängnis untergebracht wurde. Elgas ist Klimaaktivist und saß ein, weil er eine Straße in München blockiert hatte, um für mehr Klimaschutz zu demonstrieren.
Elgas und mehr als 30 seiner Mitstreiterinnen und Mitstreiter wurden in den vergangenen Wochen aus diesem Grund von der Polizei in Gewahrsam genommen. Um weitere Straftaten zu verhindern, wie es heißt. Seither überschlagen sich die Debatten darüber, ob das rechtens, gerechtfertigt und angemessen oder übertrieben ist. Am Mittwoch verbreitete sich die Nachricht, dass einer der Aktivisten inzwischen in einen Hungerstreik getreten ist.
Für ihn sei der Gewahrsam okay gewesen, berichtet Elgas im Gespräch mit unserer Redaktion: „Es ließ sich aushalten. Ich fand es nicht schlimm.“ Für andere sei es schwieriger gewesen. Immer wieder langes Warten, medizinische Checks, Briefe und Gefängnistagebuch schreiben, so ließen sich die Tage zusammenfassen.
Wie verhältnismäßig sind 30 Tage Gewahrsam für eine Straßenblockade der "Letzten Generation"?
Bis zu 30 Tage Präventivgewahrsam – das gibt es so nur in Bayern. In Berlin können demonstrierende Klimaaktivisten derzeit lediglich 48 Stunden lang festgehalten werden. Innensenatorin Iris Spranger (SPD) plädierte daher unlängst dafür, die Zeitspanne zu verlängern. Aber 30 Tage wie in Bayern finde sie verfassungsrechtlich bedenklich. Aktuell wird auch politisch darüber gestritten, ob so ein langer Gewahrsam verhältnismäßig ist.
Christoph Safferling hat dazu eine klare Meinung. Er ist Jurist und Professor für Strafrecht an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und sagt: Mit 30 Tagen Gewahrsam verlasse Bayern die demokratischen Fundamente der Verfassung. „Ich kann mir kaum Situationen vorstellen, in denen 30 Tage Gewahrsam zur Gefahrenverhinderung jemals verhältnismäßig sind. Für Sitzblockaden sowieso nicht. Polizeirecht soll immer nur der unmittelbaren Gefahrenabwehr dienen, da kann ein kurzfristiger Gewahrsam schon einmal erforderlich sein, aber nicht 30 Tage.“
Bayerns Staatsregierung ist derweil von der Richtigkeit der Maßnahme, die im Polizeiaufgabengesetz so festgeschrieben ist, überzeugt. Ein Sprecher des Innenministeriums schreibt auf Anfrage unserer Redaktion: „In Einzelfällen kann auch ein Gewahrsam von bis zu 30 Tagen notwendig sein, um die Begehung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung zu verhindern.“ Das Ministerium verweist darauf, dass es sich bei den jüngsten Aktionen der Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ um Nötigung und Sachbeschädigung, also Straftaten handle, es also nicht auf eine Erheblichkeit ankomme.
„Die sogenannten Klimaaktivisten haben es selbst in der Hand, Protestformen zu wählen, die nicht strafbar sind oder andere gefährden“, sagt Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Straßenblockaden seien „nicht nur eine Zumutung für betroffene Bürger und schädigen durch kilometerlange Staus das Klima zusätzlich. Es können dadurch auch andere gefährdet werden, sei es durch eine erhöhte Unfallgefahr am Stauende oder weil beispielsweise Rettungskräfte nicht schnell genug zum Einsatzort kommen. Wenn die Täter dann auch noch selbst ankündigen, zeitnah weitere Aktionen durchzuführen, müssen sie mit einer Gewahrsamnahme rechnen, um Wiederholungstaten zu verhindern. Der Rechtsstaat darf sich nicht von den Klima-Chaoten an der Nase herumführen lassen.“
Kritik am Gewahrsam für die "Letzte Generation" kommt unter anderem von den Grünen
Kritik an der harten bayerischen Linie kommt unter anderem von den Grünen. Katharina Schulze, Fraktionsvorsitzende im Landtag, erklärt auf Anfrage: „Eine Inhaftierung mit der Dauer von 30 Tagen auf der Basis eines polizeilich angeordneten Präventivgewahrsams – also ohne Verhandlung und ohne Urteil – für die Durchführung von angekündigten Straßenblockaden stellt aus meiner Sicht einen Verstoß gegen jede Verhältnismäßigkeit dar.“ Sie sei daher gespannt, ob Innenminister Herrmann mit gleicher Härte gegen die Proteste bayerischer Landwirte vorgehen wird, falls diese – wie 2019 geschehen – wieder mit bis zu 1000 Traktoren große Teile der Münchner Innenstadt für Stunden lahmlegen sollten. „Im Rechtsstaat müssen Konsequenzen für alle gleich gelten und nicht nur dann, wenn einem die Meinung und das Ziel nicht passen“, fordert Schulze.
Leo Elgas hat sich von seinem Aufenthalt in Stadelheim nicht sonderlich beeindrucken lassen. Er hat vor, erneut an Straßenblockaden teilzunehmen – notfalls gehe er auch wieder in Gewahrsam, schon „aus Prinzip“. Der Student räumt ein, dass sein Verhalten „eine Herausforderung an den Rechtsstaat“ sei. „Man testet die rechtlichen Institutionen an dieser Stelle.“ Gleichzeitig sei er davon überzeugt, dass es moralisch richtig sei, was er tue.