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Kirche: Vertuschte der Rundfunkrat-Chef des BR Missbrauch in der Kirche?

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Vertuschte der Rundfunkrat-Chef des BR Missbrauch in der Kirche?

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    Prälat Lorenz Wolf sieht sich Rücktrittsforderungen gegenüber: Er soll sein Amt als Vorsitzender des BR-Rundfunkrats aufgeben.
    Prälat Lorenz Wolf sieht sich Rücktrittsforderungen gegenüber: Er soll sein Amt als Vorsitzender des BR-Rundfunkrats aufgeben. Foto: Felix Hörhager, dpa

    Lorenz Wolfs Umgang mit Missbrauchsfällen wurde zuletzt in Medienberichten kritisch beleuchtet, seit vergangenem Donnerstag aber steigt der Druck auf den Kleriker: Gefordert wird sein Rücktritt als BR-Rundfunkratsvorsitzender.

    Am Donnerstag, 20. Januar, hatte die Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl ihr fast 1900-seitiges Gutachten zu Missbrauchsfällen im Erzbistum München und Freising vorgestellt. Anwalt Martin Pusch erklärte, Wolfs Verhalten sei in zwölf Fällen „kritikwürdig“. Als einziger Angefragter habe Wolf auch die Legitimität der Untersuchung infrage gestellt. Durchsucht man das Gutachten, taucht sein Name 639 Mal auf – der des amtierenden Münchner Erzbischofs Reinhard Kardinal Marx 229 Mal. Und der des ehemaligen Erzbischofs Joseph Ratzinger – des späteren Papstes Benedikt XVI. – 347 Mal.

    Gutachter der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl: Prälat Lorenz Wolf habe Taten "bagatellisiert"

    Wolf, 1955 im oberbayerischen Edersberg geboren, ist ein einflussreicher und bestens vernetzter Kirchenmann. Seit 1997 ist er als Offizial, also Leiter des kirchlichen Gerichts der Erzdiözese München und Freising, in seinen Entscheidungen selbst vom Erzbischof unabhängig. Als Leiter des Katholischen Büros Bayern hält er den Kontakt zum Beispiel zur Staatsregierung. Und als langjähriger Rundfunkratsvorsitzender des Bayerischen Rundfunkssteht er in engem Austausch mit der Senderspitze. Denn das 50 Mitglieder starke Aufsichtsgremium berät nach eigenen Angaben „den Intendanten insbesondere bei der Gestaltung des Programms, aber auch bei allen anderen grundsätzlichen Fragen“.

    Die Gutachter sprechen mit Blick auf Wolf von „vorläufigen Sachverhaltsfeststellungen“ und „vorläufigen“ Bewertungen. In ihrer Gesamtbewertung zu seinem Umgang mit Missbrauchsfällen kommen sie gleichwohl zu einem „weitgehend in sich konsistenten Bild“. Demnach habe Wolf unter anderem die Einleitung förmlicher (kirchen-)rechtlicher Verfahren „eher vermieden“.

    Die Gutachter, so schreiben sie, könnten sich des Eindrucks nicht erwehren, dass für Wolf „die Interessen der des sexuellen Missbrauchs beschuldigten Priester gegenüber denen der mutmaßlichen Geschädigten im Vordergrund standen“. Er habe Taten bagatellisiert und in einem Fall „noch Jahrzehnte nach dem Tatgeschehen sexuell übergriffiges Handeln eines Priesters mit dessen ’künstlerischen Interessen’ verbrämt“.

    Helmut Markwort: Wolf fehle „der notwendige Charakter und die Glaubwürdigkeit, die die Gebührenzahler verlangen können“.

    Renommierte deutsche Kirchenrechtler bescheinigten Wolf dagegen, im öffentlich breit diskutierten Fall des Missbrauchspriesters Peter H. 2016 ein „kirchenrechtlich sorgfältig“ gearbeitetes Strafdekret erstellt zu haben, das eine „Totalvertuschung“ torpediere.

    Die FDP-Fraktion im Bayerischen Landtag forderte „aufgrund der Erkenntnisse des Gutachtens“ den Rücktritt Wolfs als Vorsitzender des BR-Rundfunkrats. Der medienpolitische Sprecher Helmut Markwort – Rundfunkratsmitglied und Gründungschefredakteur des Magazins Focus – sprach von einem „Sumpf“, in dem Wolf eine zentrale Figur sei. In seinen vielen wichtigen Ämtern habe er „wesentlich dazu beigetragen, dass schwere Missbrauchsdelikte vertuscht und verharmlost wurden“. Ein solcher Mensch sei nach Auffassung der FDP-Landtagsfraktion „nicht geeignet für die Position als Rundfunkrats-Vorsitzender“; Wolf fehle „der notwendige Charakter und die Glaubwürdigkeit, die die Gebührenzahler verlangen können“. Auch ein Wechsel in den Verwaltungsrat des Bayerischen Rundfunks komme „selbstverständlich“ nicht infrage.

    Auf die Frage, ob Wolf noch vertrauensvoll mit BR-Intendantin Katja Wildermuth zusammenarbeiten könne, sagte ein BR-Sprecher, man wolle sich „aus Respekt vor der Gremienhoheit“ nicht weiter dazu äußern. Bayerns Medienstaatsminister Florian Herrmann (CSU), der ebenfalls Mitglied des BR-Rundfunkrats ist, wollte sich am Mittwoch auf Anfrage „noch nicht“ äußern. Wie andere Angefragte. Sie möchten abwarten, was Wolf zu den Vorwürfen sagt.

    Grünen-Abgeordnete Sanne Kurz über Lorenz Wolf: "Seine Integrität ist beschädigt, das Vertrauen ist verspielt"

    Ob der die nächste Rundfunkratssitzung am 3. Februar leiten wird, scheint fraglich. Unter anderem die Grünen-Landtagsabgeordnete Sanne Kurz, Mitglied im Rundfunkrat, will ihn bei der Sitzung mit den Inhalten des Missbrauchsgutachtens konfrontieren. Im Gespräch mit unserer Redaktion sagte sie am Mittwoch über Wolf: „Seine Integrität ist beschädigt, das Vertrauen ist verspielt. Es wäre für Herrn Wolf, denBR und das Gremium gut, wenn er, bis die Sache geklärt ist, den Vorsitz ruhen lässt.“ Zudem forderte sie ihn zum Rücktritt auf.

    Der Münchner Erzbischof Reinhard Kardinal Marx. Er bat zuletzt „im Namen der Erzdiözese um Entschuldigung für das Leid, das Menschen im Raum der Kirche in den vergangenen Jahrzehnten zugefügt wurde“.
    Der Münchner Erzbischof Reinhard Kardinal Marx. Er bat zuletzt „im Namen der Erzdiözese um Entschuldigung für das Leid, das Menschen im Raum der Kirche in den vergangenen Jahrzehnten zugefügt wurde“. Foto: Alessandra Tarantino, AP/dpa (Archivbild)

    Lorenz Wolf selbst reagierte auf eine Anfrage bis Mittwochabend nicht. Er wird bei der für diesen Donnerstag terminierten Pressekonferenz der Erzdiözese auch nicht anwesend sein. Ab 11 Uhr werden Kardinal Marx, sein Generalvikar Christoph Klingan und seine Amtschefin Stephanie Herrmann zum Gutachten Stellung nehmen.

    In der vergangenen Woche hatte sich Marx nur in einem vom Blatt abgelesenen, kurzen Statement geäußert, in dem er als der amtierende Erzbischof „im Namen der Erzdiözese um Entschuldigung für das Leid, das Menschen im Raum der Kirche in den vergangenen Jahrzehnten zugefügt wurde“, um Entschuldigung bat. An der Vorstellung des Gutachtens nahm er nicht teil. Beides wurde scharf kritisiert.

    Früherer Münchner Generalvikar Peter Beer: "Diese Kirche kann sich nicht selbst aufklären"

    Der Wochenzeitung Die Zeit sagte der frühere Münchner Generalvikar Peter Beer am Mittwoch: „Was ich selber erlebt habe und was man befürchtete, das ist jetzt objektiv dokumentiert. Diese Kirche kann sich nicht selbst aufklären. Das ist eine bittere Erfahrung.“ Auch aus diesem Grund habe er sein Amt als Generalvikar – „Alter Ego“ des Bischofs – aufgegeben. Er habe alles versucht gegen die Täterschützer. „Aber ich konnte den Apparat letztlich kaum ändern.“

    Eine Figur des emeritierten Papstes Benedikt XVI. an einer Fassade in Altötting.
    Eine Figur des emeritierten Papstes Benedikt XVI. an einer Fassade in Altötting. Foto: Peter Kneffel, dpa

    Beer war von 2010 bis Ende 2019 Generalvikar. Seit 2020 ist er Professor am Kinderschutzzentrum der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom. Die Gutachter schreiben über sein Verhalten zu seiner Münchner Zeit: Soweit er unmittelbar mit Vorgängen betreffend sexuellen Missbrauch Minderjähriger befasst gewesen sei, „lässt sich den diesbezüglichen Akten regelmäßig dessen Forderung nach einem konsequenten Vorgehen gegen Missbrauchsverdächtige im Rahmen des rechtlich Möglichen entnehmen“.

    An diesem Donnerstag wird sich Kardinal Marx ab 11 Uhr in einer Pressekonferenz äußern

    Der päpstliche Mediendirektor Andrea Tornielli verteidigte derweil in einem Leitartikel auf Vatican News am Mittwoch den emeritierten Papst und erinnerte „an den Kampf Benedikts XVI. gegen Pädophilie von Klerikern“ sowie dessen „Bereitschaft, den Opfern zu begegnen, ihnen zuzuhören und sie um Vergebung zu bitten“. Die Rekonstruktionen des Münchner Gutachtens, „das wohlgemerkt keine gerichtliche Untersuchung, geschweige denn ein endgültiges Urteil darstellt“, werden, so Tornielli, „zur Bekämpfung der Pädophilie in der Kirche beitragen können, wenn sie sich nicht auf die Suche nach bloßen Sündenböcken und Pauschalurteilen beschränken“.

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