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Kirche: Opfer müssen nach sexuellem Missbrauch um eine Therapie kämpfen

Kirche

Opfer müssen nach sexuellem Missbrauch um eine Therapie kämpfen

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    Viele Missbrauchsbetroffene erhalten zwar Hilfen. Um diese müssen sie oft aber regelrecht kämpfen. Sie berichten von schweren Rückschlägen – und einem Umgang etwa von Kirchenvertretern mit ihnen, der sie wütend macht.
    Viele Missbrauchsbetroffene erhalten zwar Hilfen. Um diese müssen sie oft aber regelrecht kämpfen. Sie berichten von schweren Rückschlägen – und einem Umgang etwa von Kirchenvertretern mit ihnen, der sie wütend macht. Foto: Nicolas Armer, dpa (Symbolbild)

    Die Person will nicht länger schweigen, sie will, dass öffentlich stärker über etwas gesprochen wird, das für sie und ungezählte andere Missbrauchsbetroffene von zentraler Bedeutung ist: die Schwierigkeit, einen Therapieplatz zu finden, und die Probleme, die es bei der Übernahme von Therapiekosten geben kann. Sie will, dass sich etwas verbessert. Und nachdem sie einen Artikel zu dem Themenkomplex kürzlich in unserer Zeitung gelesen hatte, nahm sie ihren Mut zusammen und meldete sich. Um zu zeigen, dass es nicht um Einzelfälle und um nichts Abstraktes geht.

    Die Person, die anonym bleiben möchte, erlitt als Kind schwere sexualisierte Gewalt – durch mehrere Geistliche, in kirchlichen Räumen. Sie erzählt erstmals einem Journalisten davon. Zum Beispiel von jenem Pfarrer, der sich ihr Vertrauen erschlich, sie beschenkte und schließlich warnte, nur ja niemandem etwas zu sagen. Noch Jahrzehnte später kämpft die Person mit dem, was ihr angetan wurde.

    Das Bistum Augsburg zahlte Missbrauchsopfer nur 50 Stunden Therapie

    Von der katholischen Kirche erhielt sie „Leistungen in Anerkennung des Leids“. Auch Therapiekosten wurden vom Bistum Augsburg übernommen – für 50 Stunden; gemäß der vom Ständigen Rat der Deutschen Bischofskonferenz beschlossenen „Ordnung für das Verfahren zur Anerkennung des Leids“ – für den Fall „sofern die Krankenkasse oder ein anderer Kostenträger“ die Behandlungskosten nicht übernimmt.

    Es ist eine freiwillige Leistung des Bistums, denn die Person ist nicht, wie es die „Ordnung“ ebenfalls regelt, in verhaltenstherapeutischer Behandlung bei einem approbierten Psychotherapeuten. Sie fand keinen, obwohl sie es versuchte. Vertrauen fasste sie letztlich zu Therapeuten, die nicht mit der Krankenkasse abrechnen können. Immer wieder habe sie das Bistum um Kostenübernahme anbetteln müssen, immer wieder habe sie nachfragen müssen, sagt sie. Dann sei Schluss gewesen.

    Für die Person bedeutet das, dass sie nun erst einmal selbst für ihre Therapiekosten aufkommen muss. Und Therapie brauche sie jetzt, sagt sie, und verweist unter anderem auf die langen Wartezeiten für gesetzlich Versicherte.

    Nach sexuellem Missbrauch fällt Betroffenen die Therapeuten-Suche schwer

    Der Person geht es ähnlich wie Martha Stark (Name geändert), die vom einstigen katholischen Pfarrer der oberbayerischen Gemeinde Feldafing und anderen missbraucht worden war, und die unserer Redaktion vor wenigen Wochen über ihr verzweifeltes Ringen um die Therapiekostenübernahme erzählte.

    Auch Stark wird von einem Therapeuten begleitet, der „Heilpraktiker für Psychotherapie“ ist. Das Bistum Augsburg kam auch in ihrem Fall für Therapiekosten bis zur bistumsübergreifend festgelegten Obergrenze von 50 Sitzungen und bei ihr sogar etwas mehr auf – obwohl eben auch ihr Therapeut keine Approbation einer Krankenkasse hat, was normalerweise Voraussetzung für die Kostenübernahme ist, wie das Bistum erklärte. Auch Stark hatte keinen kassenzugelassenen Therapeuten in ihrer Nähe gefunden, der sie in dem für sie nötigen Umfang behandeln hätte können, und, vor allem, dem sie vertraut.

    Auf dem Land ist es schwierig, eine Therapie zu bekommen

    Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs reagierte auf Starks Schilderungen, kritisierte die 50-Stunden-Begrenzung und wies auf die 2019 veröffentlichte Studie „Erwartungen Betroffener sexuellen Kindesmissbrauchs an die gesellschaftliche Aufarbeitung“ hin. In der heißt es, Betroffene machten die Erfahrung, dass sie es schwer hatten, eine für sie passende Unterstützung in erreichbarer Nähe zu finden. Es bestehe eine Unterversorgung in ländlichen Regionen und ein konzeptionell eingeschränktes Angebot kassenfinanzierter Therapie.

    Betroffenenvertreterinnen und -vertreter kennen die Problematik, die Missbrauchsbetroffene in eine schwierige Lage bringt, zumal in der Studie festgestellt wird: „Sowohl der Zugang zu einer passenden Traumatherapie als auch eine Entschädigungszahlung und eine Rente können den Ausschlag für eine Verbesserung geben. Pauschale Angebote ergeben keinen Sinn.“ An anderer Stelle heißt es in der Studie kritisch, von Betroffenen werde nach wie vor verlangt, „dass sie sich an die Regeln des Unterstützungssystems anpassen“ und „Unterbrechungen von Therapien wegen fehlender Kassenfinanzierung irgendwie überbrücken“.

    Die Korrespondenz des Bistums Augsburg ist teils barsch im Ton

    In dieser Situation ist die Person. Sie zahlt ihre Therapie aus eigener Tasche – und hofft, dass sich das noch ändert. Sie wird wütend, wenn sie vom Umgang mit ihr durch Bistumsvertreter erzählt. Beispielsweise davon, wie man ihr das Ende der Therapiekostenübernahme mitteilte. Die Korrespondenz von Bistumsseite – auch in anderen der Redaktion bekannten Fällen – kann als formell und teils wenig empathisch beschrieben werden. Stellenweise ist sie barsch im Ton. Der Eingang ihrer Schreiben wurde der Person regelmäßig nicht bestätigt, auf Antworten musste sie mitunter lange warten. Sie hat das Gefühl, sich vor Bistumsvertretern fortwährend erklären und rechtfertigen zu müssen.

    Den Hinweis darauf, dass die Krankenkasse weitere Therapiekosten übernehme, empfindet die Person als Schlag ins Gesicht. Auch all das ähnelt den Erfahrungen, die Martha Stark machte.

    Die Person, die sich an unsere Redaktion wandte, hat bereits manches erreicht in der Therapie, gerade arbeitet sie daran, mit ihren Selbstzweifeln umzugehen, versucht, ihren Alltag in den Griff zu bekommen, sich nicht unterkriegen zu lassen von Rückschlägen. Wie auch der gescheiterte Versuch, mit dem Augsburger Bischof Bertram Meier persönlich zu sprechen, ein Rückschlag für sie war. „Meine Kraft ist nun am Ende“, sagt sie.

    Kritik eines Betroffenen am Augsburger Bischof Bertram Meier

    In einem TV-Gespräch mit Stark und Robert Waldheim (Name geändert), einem weiteren Betroffenen, hatte der Bischof im Januar gesagt, er sei ein „Lernender“, was das ganze Thema Missbrauch anbelange. Das nimmt ihm die Person, die sich an unsere Redaktion gewandt hat, nicht mehr ab. Statt einem Gespräch mit ihm wurde ihr eines mit dem Diözesanrechtsdirektor angeboten, das sie ablehnte. „Handelt so ein Lernender?“, fragt sie enttäuscht.

    Das Bistum erklärte zur Kritik an seinem Umgang mit Betroffenen, dass das Bischofshaus täglich Anfragen mit der Bitte um ein persönliches Gespräch mit dem Bischof erreichten. „Alle diese Anfragen werden sorgfältig geprüft und bewertet.“ Diözesanbischof Meier habe sich in der Vergangenheit immer wieder, auch als Seelsorger, mit Missbrauchsbetroffenen zu Vier-Augen-Gesprächen getroffen, so ein Sprecher weiter. „Fälle, in denen sich die absehbare Thematik solcher Gesprächswünsche überwiegend um Fragen der Höhe der Anerkennungsleistungen sowie der Therapiekostenübernahme dreht, bearbeitet der Diözesanrechtsdirektor, da die Frage der Übernahme von Therapiekosten wie auch die Frage nach Zahlungen in Anerkennung erlittenen Leids nicht in den Händen der Diözesanbischöfe liegt.“

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