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Kirche: Nach Beifall für Woelki: Ist Maria Vesperbild ein Hort der "Antimodernisten"?

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Nach Beifall für Woelki: Ist Maria Vesperbild ein Hort der "Antimodernisten"?

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    In Maria Vesperbild wurde der umstrittene Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki mit Beifall empfangen. Neben ihm: Wallfahrtsdirektor Erwin Reichart (rechts).
    In Maria Vesperbild wurde der umstrittene Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki mit Beifall empfangen. Neben ihm: Wallfahrtsdirektor Erwin Reichart (rechts). Foto: Bernhard Weizenegger

    In den vergangenen Wochen gab es kaum einen Tag, an dem nicht über den Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki berichtet worden wäre. Nicht zuletzt sorgte sein Besuch im schwäbischen Wallfahrtsort Maria Vesperbild im Landkreis Günzburg vor kurzem überregional für Befremden - das weiter anhält. In wegen seines Umgangs mit Missbrauchsfällen und Betroffenen viel kritisierte Erzbischof mit Beifall empfangen worden. Die katholisch-konservative Zeitung Die Tagespost schrieb von einem „Heimspiel“ und einem „glanzvollen Comeback“. Wallfahrtsdirektor Erwin Reichart berichtete nach Woelkis Besuch, dass diesem zugerufen worden sei: „Halten Sie durch!“ oder „Geben Sie nicht auf!“ Ein Priester habe den Kardinal regelrecht dahingehend angefleht. Ausgerechnet zum Fest Mariä Himmelfahrt in Vesperbild, so Reichart weiter, seien in den Medien wieder neue Vorwürfe gegen Kardinal Woelki hochgekocht.

    Was der Wallfahrtsdirektor von ihnen hält? Seine Antwort ist unmissverständlich: Hierbei gehe es „viel mehr als um die Fehler von Kardinal Woelki“ um einen innerkirchlichen Richtungskampf. „Sehr mächtige modernistische Kreise“ führten diesen gegen katholisch-konservative Gläubige. „Sie instrumentalisieren die Missbrauchs-Schandtaten einer Minderheit von Priestern, um die Kirche zu protestantisieren.“ Auch mit Medienschelte sparte Reichart nicht.

    Wollen "modernistische" Kräfte in der Kirche Woelki stürzen?

    In einer „Presse Info“ der Wallfahrtsdirektion wird dann noch nachgelegt: Ein Bericht unserer Redaktion habe den Eindruck vermittelt, „als ob Maria Vesperbild ein Ort ist, wo sich merkwürdige Antimodernisten treffen und sogar noch einem schlechten Bischof Beifall spenden“. Man lasse sich aber „nicht in eine finstere Ecke stecken“, Maria Vesperbild sei „mitten in der Kirche“.

    Was folgt, ist eine Selbstbeschreibung und Standortbestimmung – in der sich Sätze finden wie dieser: „Wir sind nicht gegen die Errungenschaften der Moderne, aber wir sind gegen den Modernismus.“ Diese „Ideologie der radikalen Aufklärer des 18. und 19. Jahrhunderts“ sei von der katholischen Kirche längst als Irrlehre entlarvt worden, heute jedoch sei sie „mehr oder weniger bis in höchste Kreise in die Kirche eingedrungen“. Typisch hierfür sei gewesen, "dass man angesichts der Corona-Epidemie sogar innerhalb der Kirche kaum auf die Hilfe Gottes, sondern vielmehr auf rein weltliche Maßnahmen setzte".

    Als ein weiteres Beispiel für Modernismus wird Klimaschutzaktivistin Luisa Neubauer angeführt, die im Berliner Dom verkündet habe: „Gott wird uns nicht retten.“ Über den Kölner Erzbischof heißt es: Die Gläubigen hätten mehrmals starken Beifall geklatscht, „weil sie Kardinal Woelki im Kampf für den Glauben bestärken wollten“. Innerkirchlichen modernistischen Kräften gehe es darum, mit ihm „einen treukatholischen Bischof zu stürzen“.

    Maria Vesperbild – ein Ort der „Antimodernisten“, ein Sammelbecken von katholisch-konservativen bis reaktionären Kirchenvertretern und Gläubigen? Professor Matthias Reményi, Lehrstuhlinhaber für Fundamentaltheologie und vergleichende Religionswissenschaft an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, sagt: „Eine lebendige, traditionsbewusste Volksfrömmigkeit ist ein hohes Gut. Wo immer sie noch vorhanden ist, ist sie wertzuschätzen und zu pflegen. Das gilt natürlich auch für Maria Vesperbild.“ Gerade der ländliche, kulturell verwurzelte und alltäglich gelebte Katholizismus mit seinem Brauchtum und seiner Marienfrömmigkeit biete nach wie vor vielen Menschen Halt und Heimat.

    Maria Vesperbild ist ein weit über den Landkreis Günzburg und Deutschland hinaus bekannter Marienwallfahrtsort.
    Maria Vesperbild ist ein weit über den Landkreis Günzburg und Deutschland hinaus bekannter Marienwallfahrtsort. Foto: Bernhard Weizenegger

    Professoren kritisieren die Äußerungen der Wallfahrtsdirektion über Kardinal Woelki

    Fragwürdig werde es allerdings dann, „wenn Frömmigkeit, Tradition und Brauchtum nicht – wie so oft in der Geschichte – Mut und Selbstbewusstsein zum ideologiefreien, kritischen Blick auf die Wirklichkeit geben, sondern umgekehrt nur durch eine partielle Abblendung dieser Wirklichkeit aufrechterhalten werden können“, so Reményi. Vor diesem Hintergrund nehme es „zumindest in der Außenbetrachtung schon wunder, dass die desaströse Bilanz des Kölner Kardinals an diesem Mariä-Himmelfahrtstag im August 2022 so gar keine Rolle gespielt zu haben scheint“.

    Professor Martin Kaufhold, Lehrstuhlinhaber für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Augsburg, teilt diese Einschätzung: „Orte wie Vesperbild, die ein traditionalistisches Kirchenbild verkörpern, sind völlig legitim.“ Aber, ergänzt er, „sollte es nicht auch und verstärkt um die Frage gehen: Wie kann man die Generation von Frau Neubauer für die Kirche gewinnen?“ Mit dem von der Wallfahrtsdirektion formulierten Modernitätsverständnis werde das sicher nicht gelingen. Im Gegenteil würden deren Äußerungen bedeuten, „eine Vielzahl von Jugendlichen zu verlieren“. Er lese aus ihnen eine Absage an eine moderne Vorstellung von Gesellschaft heraus, so Kaufhold, und fürchte, man verweigere sich hier der Gegenwart.

    In diesem Jahr kamen schätzungsweise rund 4000 Menschen am Mariä-Himmelfahrt-Abend nach Vesperbild - auch, um den Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki zu erleben.
    In diesem Jahr kamen schätzungsweise rund 4000 Menschen am Mariä-Himmelfahrt-Abend nach Vesperbild - auch, um den Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki zu erleben. Foto: Bernhard Weizenegger

    Zu der von der Wallfahrtsdirektion kritisierten „Irrlehre“ des „Modernismus“ führt Kaufhold aus, dass damit wahrscheinlich das Erste Vatikanische Konzil des späten 19. Jahrhunderts angesprochen werde, bei dem sich die Kirche gegen die damalige Moderne wandte und die Unfehlbarkeit des Papstes zum Dogma wurde. „Es ging unter anderem um die Frage, wie viel Platz die Kirche auch den sich ändernden menschlichen Bedürfnissen und den sogenannten Laien einräumt. Im Ergebnis verfestigte sich ein konservativ-katholischer Kurs der Kirche. Zementiert wurde, dass die Macht in ihr bei den Klerikern liegt. Zudem wurde der Blick auf die reiche Geschichte der Kirche deutlich verengt.“

    Theologe Reményi: Einflussnahme auf die Presse nicht "treukatholisch"

    "Modernismus" sei, erklärt Kaufholds Würzburger Kollege Reményi, zu einem Kampfbegriff geworden – der vor allem dazu gedient habe, eine akademische Theologie in Schranken zu weisen, die sich um eine Öffnung hin zu den modernen Wissenschaften bemühte. „So wurde Modernismus schnell zu einem Schlagwort, mit dem sich verschiedenste Reformbestrebungen in Kirche und Theologie unter Häresie-Verdacht stellen ließen.“ Reményi spricht von einer „plumpen Etikettierung“, die damals schon nicht besonders hilfreich gewesen sei.

    Auch zu den Passagen über den Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki werden die beiden Professoren deutlich: „Woelki hat – nach allem, was wir wissen – PR-Spezialisten dafür eingesetzt, um seinen eigenen Betroffenenbeirat auf Linie zu bringen. Und so soll ein ‚treukatholischer‘ Bischof handeln? Das kann doch nicht ernst gemeint sein“, sagt Martin Kaufhold. Er habe zudem „erhebliche Zweifel, inwieweit es einer normalen kirchlichen Institution zusteht, darüber zu befinden, was ‚treukatholisch‘ ist - und was nicht“.

    Matthias Reményi fügt an, dass Woelki offenbar versucht habe, den Journalisten Daniel Deckers von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit dem Versprechen exklusiver Informationen zu einer gefälligen Berichterstattung zu bewegen. Und dies seien „ja keine bösartigen Mutmaßungen linker Kirchenaktivisten, sondern sauber recherchierte und dokumentierte, öffentlich nachlesbare Fakten“.

    Reményi: „Dass die Indienstnahme von Betroffenen sexueller Gewalt oder die versuchte Einflussnahme auf die freie Presse treukatholisch genannt zu werden verdient, ist mir ebenso neu wie der Umstand, dass kritischer Journalismus irgendwie schlecht, weil modernistisch sei.“

    Immer wieder umstrittene Kirchenvertreter in Maria Vesperbild

    Seit Jahren bereits macht der Wallfahrtsort Maria Vesperbild, in dem nach eigenen Angaben unter anderem die Feier der Heiligen Messe am Hochaltar „zum Herrn hin“ und die kniende Mundkommunion gepflegt werden, Schlagzeilen. Gerade auch wegen der prominenten konservativ-katholischen Kirchenvertreter, die regelmäßig zum Hochfest Mariä Aufnahme in den Himmel zur Mariengrotte kommen. Wie 2013 der damals ebenfalls umstrittene und als „Protz-Bischof" von Limburg betitelte Franz-Peter Tebartz-van Elst – der wenig später, wie nun Woelki, dem Papst seinen Amtsverzicht anbieten musste.

    Der damalige Limburger Bischof Tebartz-van Elst (links) und der damalige Wallfahrtsdirektor Imkamp am 15. August 2013 in Maria Vesperbild.
    Der damalige Limburger Bischof Tebartz-van Elst (links) und der damalige Wallfahrtsdirektor Imkamp am 15. August 2013 in Maria Vesperbild. Foto: Bernhard Weizenegger

    Der damalige Wallfahrtsdirektor Wilhelm Imkamp hatte noch Mitte Oktober 2013 davon gesprochen, dass Tebartz-van Elst ins Kreuzfeuer der Kritik geraten sei, „weil ihm verschiedene innerkirchliche Kreise nicht wohlgesonnen“ und Medien „von kirchlichen Funktionären instrumentalisiert worden“ seien. Der Papst nahm schließlich das Rücktrittsangebot von Tebartz-van Elst vom 20. Oktober 2013 an. Über das von Woelki ist noch nicht entschieden.

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