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Kirche: Missbrauchsopfer sind von Bischof Bertram Meier enttäuscht

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Missbrauchsopfer sind von Bischof Bertram Meier enttäuscht

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    Recherchen unserer Redaktion mit dem ARD-Politikmagazin „report München“ führten dazu, dass mit Bertram Meier erstmals ein deutscher katholischer Bischof vor Kameras mit Missbrauchsopfern sprach.
    Recherchen unserer Redaktion mit dem ARD-Politikmagazin „report München“ führten dazu, dass mit Bertram Meier erstmals ein deutscher katholischer Bischof vor Kameras mit Missbrauchsopfern sprach. Foto: Ulrich Wagner

    Martha Stark hatte in der Nacht einen „Flashback“. Alles komme gerade wieder hoch, sagt sie. Sie sagt Sätze wie: „Ich brauche dringend Therapie.“ Oder: „Ich will nicht immer darum betteln müssen, dass mir die Kirche das zahlt.“ Sie sagt: „Ich werde mir keinen anderen Therapeuten nehmen, ich habe doch Vertrauen zu meinem.“ Und sie sagt: Der Bischof habe zwar eine weitere Therapiekostenübernahme prüfen lassen und das habe sie gut gefunden – jetzt aber sei sie zutiefst enttäuscht.

    In jenem Gespräch – wie in vielen anderen – klingt Martha Stark verzweifelt. Auch wenn sie nur über ihren konkreten Fall spricht, so geht es doch um deutlich mehr. Im Kern um die Fragen: Wie ist der Umgang der katholischen Kirche mit Missbrauchsbetroffenen? In welcher Weise lässt sie ihnen Unterstützung zukommen?

    Bischof bat ehemalige Heimkinder aus Feldafing um Entschuldigung

    Martha Stark und Robert Waldheim (Namen zu ihrem Schutz geändert, die Red.) sprachen im Januar mit dem Augsburger Bischof Bertram Meier vor laufenden Fernsehkameras über das, was ihnen angetan worden war. Sie hatten sich eine Entschuldigung erhofft und sich zu diesem Treffen bereit erklärt – vielleicht ermutigt es ja den einen oder die andere, die eigene Leidensgeschichte zu erzählen und damit die Aufarbeitung voranzutreiben?

    Tatsächlich bat Meier die ehemaligen Heimkinder des Sonderschul-Kinderheims „Haus Maffei“ im oberbayerischen Feldafing – dessen Träger war der Paritätische Wohlfahrtsverband Bayern – um Entschuldigung. Es tue ihm leid, dass auch Vertreter der Kirche sich so benommen hätten, sagte er. Er wolle die Struktur der Kirche so ändern, dass „solche Dinge“ nicht mehr vorkämen. Stark, heute 65, erlitt schwerste sexualisierte Gewalt, unter anderem missbrauchte sie der

    Die Unterstützung endete einen Tag vor Ausstrahlung der Sendung

    Nun erklärte ein Bistumssprecher auf Anfrage: Der Bischof habe angeordnet, dass „auch nach Überschreiten der festgelegten Obergrenze von 50 Therapiestunden die Diözese Augsburg alle Therapiekosten übernimmt“ – allerdings lediglich bis zum 10. Januar. Einen Tag später war das TV-Gespräch ausgestrahlt worden. Sprich: Man übernahm im Falle Starks bis Herbst 2021 50 Therapiestunden und will für zusätzliche aufkommen – seit Ausstrahlung des Gesprächs ist damit aber Schluss. Zudem habe man Frau Stark, so der Sprecher weiter, geraten, einen Wechsel zu einem von der Krankenkasse anerkannten Psychotherapeuten vorzunehmen. Das hatte ihr der Diözesanrechtsdirektor nach Recherchen unserer Redaktion in einem Schreiben im März zum wiederholten Male mitgeteilt. In erschütternden Mails hatte sie ihm zuvor ihre Situation geschildert.

    Ein insgesamt angemessenes Vorgehen? Das Bistum verweist auf die vom Ständigen Rat der Deutschen Bischofskonferenz beschlossene „Ordnung für das Verfahren zur Anerkennung des Leids“. In der heißt es: „Auf der Grundlage eines von einem approbierten Psychotherapeuten vorgelegten Behandlungsplans werden Behandlungskosten (max. 50 Sitzungen) bis zur Höhe des Stundensatzes erstattet, der bei einer verhaltenstherapeutischen Behandlung entsprechend der Gebührenordnung für Psychotherapeuten (GOP) gezahlt wird, sofern die Krankenkasse oder ein anderer Kostenträger diese nicht übernimmt.“

    Der Therapeut, dem Stark und Waldheim vertrauen, Jörg Jaegers, jedoch hat als „Heilpraktiker für Psychotherapie“ keine Approbation einer Krankenkasse, wie der Bistumssprecher erklärt. Die Kostenübernahme sei „freiwillig“.

    Plätze in der Psychotherapie sind schwer zu bekommen

    Damit geht es um Grundsätzliches – und nicht nur Jaegers übt entsprechend Grundsatzkritik. Der Therapeut aus Mainz, der die beiden Missbrauchsbetroffenen zum TV-Gespräch begleitet hatte und davor und danach intensiv betreute, spricht von einer „problematischen Regelung, weil seit Jahren – und nochmals verschärft durch die Folgen der Corona-Pandemie – die Wartezeiten für gesetzlich Versicherte auf Therapieplätze bei Psychotherapeuten lang sind. Betroffene wie Frau Stark brauchen aber schnell Hilfe“. Außerdem würden viele qualifizierte Traumatherapeutinnen und -therapeuten von der Arbeit mit Klienten ausgeschlossen.

    „Aus meiner Sicht wird die katholische Kirche mit dieser Regelung ihrer Verantwortung gegenüber Missbrauchsbetroffenen nicht gerecht.“ Sie wolle sich mit ihr vor der Übernahme hoher Therapiekosten schützen und diese auf die öffentlichen Kassen abwälzen, findet Jaegers – zumal man in 50 Sitzungen Schwertraumatisierte nicht adäquat begleiten könne.

    Matthias Katsch von der Betroffenen-Initiative „Eckiger Tisch“ gibt ihm recht. „Die Bistümer machen es letztlich so, wie sie meinen – es hängt jeweils vom guten Willen ab, was sie zu zahlen bereit sind. Erst recht, wenn ein Therapeut keine Kassenzulassung hat.“ Die „Ordnung für das Verfahren zur Anerkennung des Leids“ sei nicht im Austausch mit Betroffenen entstanden und müsse geändert werden, „damit endlich ein für alle einheitlicher Zugang zu Unterstützungsleistungen geregelt wird“, sagt der für seinen Kampf gegen sexuellen Missbrauch mit dem Bundesverdienstkreuz Geehrte. Alltag sei, dass es eine Vielzahl von Hilfen gebe, die Betroffenen oft willkürlich zuteil würden. „Die Begrenzung der Zahlungen für eine bestimmte Stundenzahl halte ich grundsätzlich nicht für angemessen, fachlich vertretbar ist sie erst recht nicht.“

    Aktivist Katsch: "Therapeutenwechsel ist Blödsinn"

    Vor allem, so Katsch: „Nicht der Geldgeber sollte über die Zahl der Sitzungen entscheiden, sondern die Betroffenen und ihre Therapeuten.“ 50 Sitzungen „als Regelversorgung“ hält auch Benedikt Waldherr für „etwas kurz gesprungen“. Dem Vorsitzenden des Bundesverbands der Vertragspsychotherapeuten zufolge sollten Betroffene gemäß ihrer individuellen Notwendigkeiten und Bedarfe mehr von der Kirche erstattet bekommen können.

    Matthias Katsch fordert seit langem schon ein „Opfergenesungswerk“, an das sich Betroffene wenden können und das ihre Unterstützung koordiniert. Zum angeratenen Therapeutenwechsel sagt er: „Ein

    Martha Stark hat in den vergangenen Monaten in Gesprächen mit unserer Redaktion immer wieder betont, wie sehr ihr ihr Therapeut Jaegers helfe. Seit einem Jahr ist sie bei ihm – unter anderem, weil sie keinen Therapeuten mit Kassenzulassung und kurzen Wartezeiten gefunden habe. Auf Jaegers Anraten hin befindet sie sich mittlerweile zudem in psychiatrischer Begleitung.

    Enttäuschung bei Opfern über Bischof ist groß

    Jaegers gehört auch zu einer von der Stadt München eingesetzten Expertenkommission unter Leitung des ehemaligen Kriminalbeamten Ignaz Raab. Sie soll die Missstände in Heimen der Landeshauptstadt und in den von ihr belegten Heimen – darunter das in Feldafing – unabhängig aufarbeiten. In einem Beschluss des Kinder- und Jugendhilfeausschusses heißt es, das Sozialreferat erachte ihn als ein Kommissionsmitglied, das sich stark und glaubwürdig für die Interessen der Betroffenen einsetzen werde. Er selbst spricht von einer intensiven Anfangsphase, in der sich die Expertenkommission befinde.

    Die Enttäuschung Starks und Jaegers über den Umgang mit ihr seitens des Bistums Augsburg nach dem TV-Gespräch ist inzwischen enorm. Auch, weil der Bischof auf einen Brief nicht geantwortet habe, so Jaegers. In dem habe er ihn darauf hingewiesen, wie problematisch es war, dass er beim Gespräch ein großes Brustkreuz trug: Es erinnerte Stark an ihren Peiniger, den Dorfpfarrer, der während der Missbrauchshandlungen ein Holzkreuz bei sich hatte. Meier antwortete in dem Gespräch auf die Frage Starks, ob das Kreuz sein müsse: „Wenn es Sie jetzt nicht zu stark stört, dann würde ich es schon dran lassen. Ich bin ja auch als Bischof da. Jeder hat ja auch eine Rolle im Leben.“

    Martha Stark bat ihn kürzlich per Mail um ein neues Treffen – dieses Mal ohne Kameras.

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