Kurz vor Weihnachten gibt es massive Kritik am Augsburger Bischof Bertram Meier: Dem WDR zufolge drohe erstmals ein deutscher katholischer Bischof, die Entscheidung einer eigens eingesetzten, unabhängigen Entschädigungskommission zu blockieren. Die Begründung laute unter anderem, dass die aktuelle Lage des heute 62-jährigen Missbrauchsbetroffenen gar nicht so schlecht sei, wie der WDR den Mann in dessen eigenen Worten zitiert. Die von den Bischöfen erst vor wenigen Jahren eingesetzte "Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen" (UKA) hatte entschieden, dass ihm das Bistum Augsburg 150.000 Euro zahlen soll. "Die UKA sieht hier einen besonders schweren Härtefall", zitiert der WDR einen Brief der Kommission an das Bistum. Der Mann sei als Kommunionkind erstmals Opfer sexualisierter Gewalt durch einen Priester im Bistum Augsburg geworden, anfänglichem "Streicheln" seien Vergewaltigungen gefolgt.
"Mich macht das fassungslos", kritisiert Uli Spindler von Maria 2.0 den Augsburger Bischof
Recherchen unserer Redaktion bestätigen den WDR-Bericht. In einem Schreiben an die UKA, in dem das Bistum seine ablehnende Haltung begründet und von dessen Wortlaut auch unsere Redaktion Kenntnis hat, heißt es: Es falle auf, dass dem Betroffenen anscheinend keinerlei Blick auf das Positive an seinem früheren Leben (Ehe, Kinder, Erfolg im Beruf) mehr möglich sei, vielmehr führe er seine gesamte heutige Situation ausschließlich auf den Missbrauch zurück. Der Mann hat mehrere Herzinfarkte und Schlaganfälle erlitten und sitzt im Rollstuhl. In Übereinstimmung mit zahlreichen anderen Missbrauchsbetroffenen berichtet er von Angstzuständen, die immer noch, Jahrzehnte später, aufträten.
Uli Spindler von der katholischen Reform-Initiative Maria 2.0 im Bistum Augsburg sagte unserer Redaktion über den geschilderten Vorgang: "Mich macht das fassungslos. Was treibt Bischof Meier dazu, die Entscheidung der UKA abzulehnen? Welche christlichen Werte sollen das sein?" Sie spricht von einem "moralischen Offenbarungseid". Die Angaben des Mannes waren vom Bistum Augsburg als plausibel eingeschätzt und an die UKA weitergeleitet worden. Der Jurist Andreas Hatzung, einer von drei unabhängigen Missbrauchsbeauftragten der Diözese Augsburg, zeigte sich auf Anfrage "überrascht" über die Ablehnung der Zahlung von 150.000 Euro.
Nach Informationen unserer Redaktion traf die UKA ihre Entscheidung über die Höhe dieser "Anerkennungsleistungen" im Widerspruchsverfahren. Seit dem Frühjahr dieses Jahres ist es möglich, dass Betroffene Widerspruch einlegen können gegen eine von der UKA, zu deren Mitgliedern (ehemalige) Richter und Psychologen gehören, getroffene Festsetzung. Das Geld zahlt die Kirche "ohne Anerkennung einer Rechtspflicht" freiwillig, da die Taten in zahlreichen Fällen verjährt sind.
Das Bistum Augsburg erklärt, dass das Verfahren aus seiner Sicht noch nicht abgeschlossen sei
Die Ablehnung der Zahlung durch das Bistum Augsburg hat bundesweite Bedeutung: Es argumentiert, dass sich 150.000 Euro in Richtung "Schmerzensgeldzahlungen" bewegen, anders formuliert also das System der "Anerkennungsleistungen" sprengen würden. Doch geht die Summe über den einst beschlossenen Zahlungsrahmen hinaus? Über die oft als "Obergrenze" beschriebenen 50.000 Euro?
Die UKA hat hierzu mehrfach eindeutig Stellung genommen: Eine derartige Leistungsobergrenze existiere nicht. Man "orientiert sich vielmehr durchgehend am oberen Bereich dessen, was staatliche Gerichte in vergleichbaren Fällen an Schmerzensgeldern zuerkannt haben", erklärte sie. Dass das Landgericht Köln im Sommer einem früheren Messdiener, der schwer sexuell missbraucht worden war, 300.000 Euro Schmerzensgeld zusprach, wirkt sich folgerichtig auf die "Anerkennungsleistungen" aus. Das Bistum Augsburg sieht dennoch offenbar einen Paradigmenwechsel – und bedarf der Rücksprache mit der Deutschen Bischofskonferenz. Ab einer Summe von 50.000 Euro hängt die Zahlung von der Zustimmung des jeweils zuständigen Bischofs ab.
Das Bistum Augsburg erklärte am Freitag auf Anfrage unserer Redaktion, dass es mit der UKA in Kontakt stehe. Das Verfahren sei aus Sicht des Bistums noch nicht abgeschlossen. "Telefonisch wurde mit der UKA am vergangenen Mittwoch abgestimmt, dass alle noch offenen inhaltlichen Fragestellungen Anfang Januar 2024 besprochen werden."