Auch nach dem Tod des emeritierten Papstes Benedikt XVI. ist dessen Umgang mit dem Missbrauchstäter Peter H. noch ein Fall fürs Gericht. In einem Zivilverfahren vor dem Landgericht Traunstein will ein heute 38-Jähriger aus dem oberbayerischen Garching an der Alz nicht nur die Schuld seines Peinigers H. feststellen lassen, sondern zudem die Mitverantwortung der katholischen Kirche und zweier hochrangiger Vertreter. Neben Benedikt XVI., der als Joseph Ratzinger von 1977 bis 1982 Münchner Erzbischof war, zählen sein fast 95-jähriger damaliger Nachfolger in dem Amt, Friedrich Kardinal Wetter, und das Erzbistum München und Freising zu den Beklagten. Der Anwalt des Klägers sprach von „gesamtschuldnerischer Haftung“.
Die Traunsteiner Feststellungsklage ist ein juristischer Kniff – ist sie erfolgreich, dürfte sie einen Präzedenzfall darstellen
Die Traunsteiner Feststellungsklage ist ein juristischer Kniff; ist sie erfolgreich, dürfte sie einen Präzedenzfall darstellen: Obwohl die Taten in zahlreichen Fällen verjährt sind, können sie auf diese Weise vor einem weltlichen Gericht verhandelt werden. Und dort zu Schadensersatz- oder Schmerzensgeldansprüchen führen, die weitaus höher liegen als die freiwilligen kirchlichen „Anerkennungsleistungen“. Um diese zu erhalten, genügt zwar eine Plausibilitätsprüfung – das Verfahren wird von Betroffenen jedoch als intransparent kritisiert. Die Höhe der Leistungen von zuletzt durchschnittlich um die 20.000 Euro gilt vielen überdies als unangemessen.
Mit Spannung verfolgen Betroffene und Kirchenvertreter auch ein Verfahren, in dem das Opfer eines bereits verstorbenen Priesters vor dem Kölner Landgericht 805.000 Euro vom Erzbistum Köln fordert – wegen Amtspflichtverletzung durch Unterlassen. Es läuft dort auf einen Vergleich hinaus, der Richter schlug einen Betrag im unteren sechsstelligen Bereich vor. Das Erzbistum Köln hätte das Verfahren mit Verweis auf Verjährung möglicherweise abwenden können, das hätte das Image des umstrittenen Kölner Kardinals Woelki aber weiter beschädigt: Will sich die Kirche nicht der staatlichen Justiz stellen?, hätte es geheißen.
Das Erzbistum München und Freising erklärte am Mittwoch, dass es das dem Kläger widerfahrene Leid "zutiefst" bedauere
Im Fall des Betroffenen aus Garching an der Alz erhebt das Erzbistum München und Freising ebenfalls die „Einrede der Verjährung“ nicht, wie am Mittwoch Bistum und Landgericht Traunstein erklärten. Die Erzdiözese bedauere das dem Kläger widerfahrene Leid zutiefst und sei bereit, „ein angemessenes Schmerzensgeld zu leisten und für darüber hinausgehende Schadensersatzbegehren eine angemessene Lösung zu finden“.
Das Landgericht teilte mit, dass die Klageerwiderungen von drei der Beklagten eingegangen seien und keiner von ihnen auf Verjährung poche. Lediglich hinsichtlich der Rechtsnachfolger des verstorbenen emeritierten Papstes liege noch keine Klageerwiderung vor. Nach dem Tod Benedikts am 31. Dezember hatte das Gericht das Ruhen des Verfahrens in seiner Sache angeordnet – dennoch hält es am Termin für die mündliche Verhandlung am 28. März fest. Auf Nachfrage hieß es, man gehe davon aus, dass bis dahin ein Rechtsnachfolger Benedikts bekannt sei.
Benedikt XVI. hatte dem Landgericht Traunstein erst im November mitgeteilt, dass er sich in dem Verfahren verteidigen wolle
Der hatte eine Kanzlei als Prozessbevollmächtigten eingesetzt und dem Gericht im November seine Verteidigungsbereitschaft mitgeteilt. Zu seinem Nachlass zählt nun das Zivilverfahren. Die Katholische Nachrichten-Agentur erklärte: „Haben die Erben kein Interesse, sich an diesem Verfahren zu beteiligen, können sie das Erbe jedoch nur im Ganzen ausschlagen.“ Der Anwalt des Klägers sagte, er erwarte, dass Papst Franziskus das Verfahren für Benedikt fortführe. Auch die „Initiative Sauerteig“, die sich 2020 im Pfarrverband Garching-Engelsberg gebildet hatte, um „Licht in die Zeit von Pfarrer H. zu bringen“, forderte dies.
Der inzwischen aus dem Klerikerstand entlassene H. ist ein Wiederholungstäter. Der kirchliche Umgang mit ihm gilt als symptomatisch für das Komplett-Versagen der Institution. Das vor einem Jahr vorgestellte Münchner Missbrauchsgutachten widmete H. einen Sonderband mit knapp 400 Seiten. Er war 1980 nach sexuellen Übergriffen gegen Kinder aus dem Bistum Essen nach München gekommen; Ratzinger soll seine Vorgeschichte gekannt haben. Immer wieder wurde H. dann als Seelsorger eingesetzt – selbst nach einem Urteil von 1986 wegen mehrfachen Kindesmissbrauchs. Erst 2010 wurde er suspendiert.