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Missbrauch: Augsburger Bischof Bertram Meier: "Ich bitte um Entschuldigung"

Missbrauch

Augsburger Bischof Bertram Meier: "Ich bitte um Entschuldigung"

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    Der Augsburger Bischof Bertram Meier (rechts oben) spricht mit den Missbrauchsopfern Robert Waldheim (links oben) und Martha Stark (links unten).
    Der Augsburger Bischof Bertram Meier (rechts oben) spricht mit den Missbrauchsopfern Robert Waldheim (links oben) und Martha Stark (links unten). Foto: Ulrich Wagner

    Robert Waldheim hat einen Wunsch: „Wichtig wäre, dass die hohen Leute zu uns hingehen und sich persönlich entschuldigen.“ So lässt er sich im vergangenen November in einem gemeinsamen Bericht unserer Redaktion mit dem ARD-Politikmagazin „report München“ zitieren. Der Augsburger Bischof Bertram Meier erklärt darin, er schließe jeden und jede der Missbrauchsbetroffenen in seine Gebete ein, „voller Scham für das, was Menschen anderen Menschen antun können“.

    Nun haben sich die ehemaligen Heimkinder von „Haus Maffei“ im oberbayerischen Feldafing – Robert Waldheim, 69, und Martha Stark, 64 (Namen geändert) – im Rahmen des gemeinsamen Recherche-Projekts unserer Redaktion mit dem ARD-Politikmagazin „report München“ mit Bertram Meier im Augsburger Ulrichshaus zu einem rund einstündigen, hoch emotionalen Gespräch getroffen. Es wurde nicht moderiert und vor nur wenigen Anwesenden aufgezeichnet – zum Schutz von Waldheim und Stark. Deren Traumatherapeut Jörg Jaegers begleitete sie.

    Es ist das erste Mal, dass ein deutscher katholischer Bischof vor TV-Kameras mit Betroffenen spricht. Ein Gespräch auf Augenhöhe. Allen drei kostet es Überwindung und Kraft. Es fließen Tränen.

    Martha Stark und Robert Waldheim machen dem Heimpersonal, aber auch dem einstigen katholischen Pfarrer von Feldafing, das zum Bistum Augsburg gehört, schwere Vorwürfe. Er habe sie in den 60er Jahren missbraucht. Sie seien überdies an andere Geistliche weitergereicht worden. Es habe ein „pädophiles Netzwerk“ am Starnberger See gegeben.

    Vor dem Gespräch gehen die beiden Notizen durch, überlegen, was sie dem Bischof unbedingt sagen wollen. Sie sind nervös. Der Bischof ist es auch. Er trägt einen grauen Anzug und eine Kette mit einem großen Kreuz. Wortlaut-Auszüge eines bemerkenswerten Treffens.

    Bischof Bertram Meier: Grüß Gott zusammen, ich freue mich, dass wir uns einmal kennenlernen und dass es zu diesem Gespräch kommen kann.

    Martha Stark: Das Kreuz muss sein?

    Meier: Bitte?

    Stark: Das Kreuz muss sein?

    Meier: Wenn es Sie jetzt nicht zu stark stört, dann würde ich es schon dran lassen. Ich bin ja auch als Bischof da. Jeder hat ja auch eine Rolle im Leben.

    Robert Waldheim: Ich versteh’s.

    Die Schatten der Vergangenheit: Bischof Bertram Meier (links) im Gespräch mit Robert Waldheim und Martha Stark.
    Die Schatten der Vergangenheit: Bischof Bertram Meier (links) im Gespräch mit Robert Waldheim und Martha Stark. Foto: Ulrich Wagner

    *

    Stark: Wir hätten jetzt nur erstmal eine Frage: Wenn wir was erzählen, ob Sie uns das auch glauben?

    Meier: Also, wenn ich es Ihnen nicht glauben würde, hätte ich Sie gar nicht eingeladen zum Gespräch. Ich kenne Sie, Frau Stark und Herr Waldheim, noch zu wenig, aber ich habe von meiner Warte die ganze Causa in Feldafing die letzten Monate mitverfolgt. Mich hat es sehr bewegt. Um von Ihnen zu hören, wie es Ihnen dort gegangen ist, wie Sie gelitten haben – deshalb sitzen wir zusammen. Ich vertraue Ihnen, dass das, was wir ansprechen, nicht ein Theater ist, weder von mir noch von Ihnen, sondern dass wir darauf vertrauen, dass es ganz, ganz ehrlich ist.

    Stark: Das heißt, Sie würden sich vielleicht zum Schluss auch entschuldigen für unser Leid?

    Meier: Ja, nicht nur „würde“, Frau Stark. Ich kann ja sehr schnell um Entschuldigung bitten, aber wer entschuldet? Entschuldigung hat ja immer auch was zu tun mit persönlichen Fehlern, mit einer Schuld, die ganz konkrete Menschen auf sich genommen haben. Ich kann für die Kirche sagen: Das tut mir sehr, sehr leid. Aber ich bin zeitlich und räumlich natürlich nicht nah an der Villa Maffei gewesen, ich habe eine gewisse Distanz dazu. Deshalb möchte ich von Ihnen hören, was da los war und wie es Ihnen persönlich gegangen ist. Ich kann sagen: Es tut mir leid, dass auch Vertreter der Kirche sich so benommen haben. Aber ich kann nicht sagen: Ach, Entschuldigung, und es bleibt alles so. Wissen Sie: Als katholische Kirche sind wir fast Profis, was die Feier von Buße oder öffentliche Entschuldigungsakte anbelangt. Es darf aber nicht bei Worten bleiben. Es geht um die Zukunft. Wir schauen in die Vergangenheit, in Ihre persönliche Geschichte. Mein Auftrag als Bischof, als Verantwortungsträger ist, dass solche Dinge möglichst nicht mehr sich wiederholen. Um das geht’s.

    Stark: Wir sind eh schon geschädigt.

    Meier: Ich will Ihnen nur sagen: Ich kann um Entschuldigung bitten, auch im Gespräch. Aber die Entschuldigung muss angenommen werden.

    Stark: Es muss schon eine ehrliche Entschuldigung sein.

    Meier: Ganz genau. Und da sind wir wieder an dem Punkt: Die katholische Kirche kennt ja auch das Sakrament der Versöhnung, Buße, Beichte, das wissen Sie alles. Der Punkt ist: Wie viel Schindluder ist da schon getrieben worden? Solche Formeln sind geduldig. Ich möchte sagen: Ich bitte um Entschuldigung, schon jetzt, vorauseilend. Ich kann mich nicht selber entschuldigen und ich kann auch nicht für Menschen um Entschuldigung bitten, die nicht unter uns sind, die sich auch nicht äußern können. Aber ich kann Ihnen eines versprechen: Ich bin als Bischof noch jung, knapp zwei Jahre jetzt ernannt – ich werde alles tun, um die Struktur der Kirche so zu ändern, dass solche Dinge nicht mehr vorkommen. Ich bin hier, um zu hören, wo der Schuh drückt und was Sie mir einfach mal sagen wollen.

    Waldheim: Wir können nicht alles erzählen, aber zumindest das, was uns weh tut. Und was im Namen der Kirche passiert ist. Wir haben das schon erlebt: in der Kirche in eine Kiste eingesperrt. Oder draußen in ein Wasserfass gesteckt, Deckel drauf – und wir haben nach Luft gejapst. Oder in der Sakristei: in einen riesigen Kackhaufen reingedrückt, Füße drauf. Und so erniedrigt und angepisst worden. Das kann man doch nicht in der Kirche machen! Aber das haben sie bei uns gemacht.

    Meier: War das in der Pfarrkirche Sankt Peter und Paul?

    Waldheim: Ja, Peter und Paul.

    Der Augsburger Bischof Bertram Meier.
    Der Augsburger Bischof Bertram Meier. Foto: Ulrich Wagner

    *

    Waldheim: Das Schlimmste war der Pfarrer. Ich hab mir immer was Gutes von ihm erwartet. Ich war immer im Keller (von Haus Maffei, die Red.) eingesperrt. Wenn ich in meinen sieben Jahren dort mal eine oder zwei Wochen draußen war, da hatte ich Glück. Unten im Keller, da hab ich Tiere gehabt: Fledermäuse, Ratten, Katzen.

    Stark: Dort hat uns der Pfarrer missbraucht.

    Meier: Das ist schon bitter und das ist schon hart.

    Waldheim: Dann wissen Sie auch, warum ich nicht lesen und schreiben lernen konnte. Das konnte man nicht in den 14 Tagen, in denen ich manchmal oben war. Dann kamen die großen Ferien. Wir haben uns gefreut. Wissen Sie, wohin wir gekommen sind? Nach Ettal (das Benediktinerkloster, die Red.) Wir haben uns gefreut: Wir können vielleicht Lagerfeuer mitmachen oder so. Dann haben sie uns abgeholt mit dem Auto und nach Ettal gefahren.

    Stark: Und uns vorher mit Tabletten stillgelegt, dass wir auch mitmachen. Dass uns alles egal ist.

    Meier: Das waren sogenannte Ferien? Da ist das ganze Theater weiter gegangen?

    Stark: Wir waren Kinder, die keinen Besuch und keine Eltern hatten. Da konnte man das mit uns machen. Die Kinder, die Eltern hatten, denen wurde alles gegeben. Wir haben Essigwasser gekriegt. Die anderen haben normales Wasser gekriegt.

    Waldheim: Wir haben uns immer „Verteiler“ genannt – weil wir sind überall verteilt worden, um den ganzen Starnberger See.

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    Foto: Ulrich Wagner

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    Stark: Diese Albträume, die machen mich wahnsinnig, bis heute noch. Der Pfarrer (von Feldafing, die Red.) hat gedroht: Wenn wir nicht mitmachen, dann kommen wir in einen Sarg. Da wird der Deckel zugemacht. Dann kannst du schreien und es wird heiß, wirst verheizt.

    Waldheim: Immer mit dem Teufel gedroht.

    Stark: Ich hatte heute Nacht erst wieder den blöden Albtraum: „Wenn du deine Augen zumachst, ich bin hinter dir, ich bestrafe dich.“

    Waldheim: Nur weil wir hier herkommen und drüber reden, haben wir den Teufel im Genick. Wir werden bedroht, wenn wir drüber reden. Immer den Scheißteufel. Ich kann den bald nicht mehr hören. Man hat Angst, drüber zu reden, das ist die größte Angst: Teufel Teufel, immer Teufel!

    *

    Meier: Ich bin, ehrlich gesagt, was das ganze Thema Missbrauch anbelangt, ein Lernender, ein Lehrling – weil das für mich, bevor ich dieses Amt bekommen habe, weit, weit weg war. Erschreckend, welche Abgründe sich da auftun können – auch bei manchen Persönlichkeiten der Kirche, die man sozusagen von außen ganz anders gesehen hat und auch anders kommuniziert worden ist, wie die sind. ... Das eine sind juristische Aufarbeitungen, sind finanzielle Entschädigungen, wenn man es so nennen will. Das andere sind die Seelenwunden, die man mit Geld nicht ausgleichen kann.

    Stark: Genau: Unsere Seele ist kaputt.

    Meier: Ein Wort der Entschuldigung ist schnell erbeten – aber ich kann so erlittenes Leid weder freikaufen, mich aus der Verantwortung durch Geld freizahlen, noch kann ich sagen: Das ist jetzt mal so, jetzt blättern wir um und das Leben geht weiter.

    *

    Meier: Wir brauchen nicht primär der Kirche vertrauen, sondern vielleicht mal wieder Jesus vertrauen. Dass man sagt: Da gibt’s noch einen über uns.

    Stark: Nein. Ich glaube keinem Jesus mehr.

    Meier: Ja, ich kann es verstehen. Ich kann’s verstehen.

    Stark: Ich war zwei Jahre alt, da ging das Martyrium schon los.

    Waldheim: Wo war er da? Wenn es Jesus wirklich gibt: Wo war er? Warum hat er die Kinder misshandeln lassen? Von seinen Angestellten. Wo war er, uns Kindern zu helfen? Wir haben als Kinder schon gefleht darum, dass uns jemand hilft. Und dann kommt so einer (der Pfarrer, die Red.).

    Robert Waldheim und Martha Stark.
    Robert Waldheim und Martha Stark. Foto: Ulrich Wagner

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    Stark: Wir haben unser Leid immer geklagt. Egal, wo wir waren: Man hat uns nie geglaubt, nie.

    Meier: Wo haben Sie das Leid geklagt?

    Stark: In den Heimen, bei den Nonnen.

    Waldheim: Bei den Priestern. Leider an der falschen Stelle. Es gibt auch eine Geschichte: Ich war in München, 21, endlich volljährig, bin zur Polizei gegangen und habe mir gedacht: Ich zeig es jetzt an. Wissen Sie, was die gemacht haben? Die haben mich die Treppen runtergewatscht. ... Wem wollen Sie noch was erzählen? Meine Ehefrau hat gesagt: Hör halt auf mit deinen scheiß Heimgeschichten. Wem willst du noch was erzählen? Meine jetzige Frau hat es bloß nebenbei mitgekriegt. ... Wir leiden heute noch darunter. Wissen Sie, wie das ist, im Sarg oder im Fass zu sitzen? Mit Wasser bis oben hin. Keine Luft zu kriegen. Oder im Keller? Eine Eisenstange im Hintern zu haben und sich nicht bewegen, sonst tut es weh. Wissen Sie, wie mein Unterleib ausschaut innen drin? Weil Eisenstangen reingeschlagen wurden, weil ich getreten worden bin? Der Pfarrer hat nie aufgehört.

    Meier: Das hat der Pfarrer selber gemacht?

    Waldheim: Ja. Hier, schauen Sie diesen Fleck an. Wissen Sie, was das ist? Er hat seine Zigarren hier ausgedrückt. Ich kann Ihnen die Narben alle zeigen. Wollen Sie meinen Po sehen? Sieben mal genäht worden, weil er sich da reingequält hat.

    *

    Waldheim: Wir waren neun Kinder, jetzt sind es nur noch drei.

    Meier: In einer Gruppe?

    Waldheim: In einer Gruppe von Kindern, die keine Eltern hatten. Die anderen haben sich umgebracht. … Diese Menschenleben, die werden nicht aufgezählt. Die haben sich wegen diesem Pfarrer kaputt gemacht, weil sie Angst vor ihm gehabt haben. ... Waren wir feige? Warum haben wir uns nicht umgebracht? Wissen Sie, wie oft ich Lust hatte, von der Brücke zu springen? Jetzt habe ich endlich einen richtigen Psychologen – aber keiner finanziert uns es mehr.

    Meier: Haben Sie da eine Perspektive, wie lange die Therapie dauern wird?

    Stark: Das kann man nicht sagen.

    Waldheim: Ich bin stabiler als sie, aber auch nicht weg vom Dreck.

    *

    Meier: Wir können systemisch viel machen: Kontrolle, Prävention, auch Strafen. Aber wird sind nie vor Ausreißern gefeit, weil der Mensch frei ist. ... Wir tun mittlerweile sehr, sehr viel. ...

    Stark: So, wie es sich jetzt anhört, kann man Ihnen glauben.

    Meier: Aber ich bin kein Wundertäter.

    Stark: Nein, aber wenn Sie nur schauen würden, dass wir einfach irgendwo wieder gesund werden.

    Der Fernsehbeitrag „Katholischer Bischof trifft Opfer: Ein Gespräch über Missbrauch in der Kirche“ wird an diesem Dienstag im Politikmagazin „report München“ um 21.45 in der ARD gesendet. Ein längerer Film über das Gespräch ist von diesem Dienstag an ab 17 Uhr in der ARD-Mediathek abrufbar.

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