Es sei gefährlich und es sei schmutzig in den Straßen von Benin City im Süden Nigerias, erzählt die 17-jährige Victoria Ovbiagele. Nur selten verlassen ihre Mutter, sie und ihre drei Geschwister das Haus. „Dass das Leben hier so ist, ist nicht die Schuld der Menschen. Das ist eben die Realität. Aber wir kennen das so nicht“, sagt Victoria. Sie sei oft krank, fühle sich kraftlos. Alles ganz anders als im gewohnten Kempten. Dort lebte Familie Ovbiagele neun Jahre bis zu ihrer Abschiebung Ende Mai.
Dass das jetzt ihr Alltag ist und sie in einem Land lebt, das sie kaum kenne, könne sie noch immer nicht realisieren. Sie gibt die Hoffnung auf eine Rückkehr ins Allgäu nicht auf. Victoria sagt: „Ich hoffe, dass die Menschen uns nicht vergessen.“
Oberbürgermeister Thomas Kiechle (CSU) sagt, er habe sich mittlerweile bei der Regierung von Schwaben für die Familie eingesetzt. Rätin Annette Hauser-Felberbaum (Freie Wähler-ÜP) hatte zuvor beantragt, die Stadt solle sich für die Rückkehr von Familie Ovbiagele stark machen. Kiechle sagt während einer Sitzung aber auch: „Die Stadtverwaltung ist 0,0 in die Entscheidung über eine Abschiebung involviert.“ Die Zuständigkeit liege bei der übergeordneten Ausländerbehörde.
Abschiebung der Familie Ovbiagele: So geht es Mutter und Kindern in Nigeria
Der Kemptener Anwalt Wolfgang Eckl steht Familie Ovbiagele mit rechtlichem Rat zur Seite. Er kennt die Geschichte der Familie und sagt: „Der Fall taugt nur bedingt zum Skandalfall.“ Die vier Kinder erfüllten als „gut integrierte Jugendliche“ grundsätzlich die Voraussetzungen für ein Aufenthaltsrecht, sagt Eckl. Die zuständige Ausländerbehörde habe die Vorlage der Pässe verlangt. Das sei nötig, sorge bei vielen Betroffenen aber für Bedenken, erläutert Eckl. Die nun durchgeführte Abschiebung nach Nigeria habe aus seiner Sicht rechtlichen Bestand.
Und doch sagt Eckl: „Es gibt Möglichkeiten.“ Etwa für Victoria und ihren Zwillingsbruder, die im Dezember 18 Jahre alt werden. Beide können einen Schulabschluss vorweisen. „Nur die Mittlere Reife wurde Victoria mit der Abschiebung kurz vor der Prüfung vereitelt“, sagt Eckl. Erhalten die dann volljährigen Geschwister einen Ausbildungsplatz in Deutschland, ist eine Rückkehr möglich.
Besteht eine Chance, dass Familie Ovbiagele ins Allgäu zurückkehren kann?
„Ich will meine Geschwister und meine Mutter aber nicht alleine lassen“, sagt Victoria Ovbiagele. Ihr Wunsch bleibt, dass für die ganze Familie ein Weg zurück in ihr altes Leben in Kempten besteht. Rein rechtlich gelte, sagt Eckl: „Wer einmal abgeschoben ist, hat ein lebenslanges Wiedereinreiseverbot.“ Wobei es freilich auch hier Möglichkeiten gebe, das zu ändern. Die Sperre kann zum Beispiel nachträglich verkürzt oder ganz aufgehoben werden – ein Grund dafür ist laut Aufenthaltsgesetz etwa der Schutz der Familie. Auch darüber entscheidet die Ausländerbehörde in Augsburg.
Wie das Leben der Familie nun in Nigeria aussieht? Trist, sagt Victoria. Aus Angst vor Übergriffen verlasse die Familie nur selten das Haus. Elektrizität gebe es in ihrem Viertel nur knapp drei Stunden am Tag, erzählt Victoria während die Videoverbindung übers Internet immer wieder abbricht. Mit wenigen Menschen könne sie über ihre Sorgen sprechen, sagt Victoria. In Kempten war sie in Tanz- und Schauspielgruppen aktiv. „Hier Freunde zu finden, ist schwer. Wir kennen uns nicht aus.“ Mut mache ihr die Unterstützung von Rex Osa und seiner Organisation „Refugees for Refugees“ (Flüchtlinge für Flüchtlinge). Über diese Hilfe und Spendengelder finanziert die Familie im Moment Unterkunft und Lebensmittel.
Offenbar weitere Sammelabschiebungen nach Nigeria geplant
Ebenfalls aus den Reihen des Kemptener Stadtrats zu hören: Es seien weitere Sammelabschiebungen geplant. Wieder nach Nigeria, und wieder seien wohl Familien betroffen. Die Regierung von Schwaben äußerte sich auf Anfrage unserer Redaktion nicht dazu. Der scheidende Stadtrat Lajos Fischer (Grüne) sagt: „Es gibt auch die Möglichkeit, eine Schutzstadt zu werden und solche Abschiebungen gezielt zu verweigern.“