Startseite
Icon Pfeil nach unten
Bayern
Icon Pfeil nach unten

Katholische Kirche: Nach dem Münchner Missbrauchsgutachten steigt die Zahl der Austritte

Katholische Kirche

Nach dem Münchner Missbrauchsgutachten steigt die Zahl der Austritte

    • |
    Nach dem Münchner Missbrauchsgutachten steigt die Zahl der Kirchenaustritte.
    Nach dem Münchner Missbrauchsgutachten steigt die Zahl der Kirchenaustritte. Foto: Alexander Kaya (Symbolbild)

    Das Missbrauchsgutachten für das Erzbistum München und Freising, das am vergangenen Donnerstag vorgestellt wurde, hat vor allem in der Landeshauptstadt konkrete Folgen – die Zahl der Kirchenaustritte steigt massiv. Nach Angaben des Kreisverwaltungsreferats vom Dienstag wurden beim Standesamt München bereits „rund 650“ Termine für Kirchenaustritte gebucht.

    Dies seien „deutlich mehr als doppelt so viele wie üblicherweise zu erwarten gewesen wäre“, sagte ein Sprecher auf Anfrage. Seit Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens gebe es „eine sehr hohe Nachfrage nach Kirchenaustritten“.

    Das Standesamt München reagiert darauf, so der Sprecher, mit erweiterten Öffnungszeiten und setzt zudem zwei zusätzliche Beschäftigte für Kirchenaustritte ein; im Normalbetrieb verwende das Standesamt nur eine Planstelle ausschließlich für Kirchenaustritte.

    Es werde voraussichtlich nicht möglich sein, alle Austrittswünsche zeitnah zu bedienen, heißt es aus München

    Dennoch werde es voraussichtlich nicht möglich sein, alle Austrittswünsche zeitnah zu bedienen. Der Sprecher verwies auf die Möglichkeit, den Kirchenaustritt schriftlich einreichen zu können. Dabei müsse die Unterschrift allerdings notariell beglaubigt sein. Zudem erklärte er, dass eine Aufschlüsselung der Zahlen nach Konfessionen statistisch nicht möglich sei. Im Jahr 2021 traten in München 22.323 Menschen aus katholischer und evangelischer Kirche aus – mit Abstand ein Rekordwert mit Blick auf die Zahl der Kirchenaustritte seit dem Jahr 2000.

    Auch Standesämter in Schwaben verzeichnen seit Donnerstag teilweise eine verstärkte Nachfrage nach Kirchenaustritten. Die Aussagekraft der Zahlen ist zwar beschränkt, vor allem weil Austrittswillige ihre Gründe nicht angeben müssen. Aber sie deuten auf eine Entwicklung hin.

    Auch Standesämter in Schwaben verzeichnen seit Donnerstag teilweise eine verstärkte Nachfrage

    So sagte der Sprecher der Stadt Friedberg bei Augsburg, es sei bemerkenswert, dass das Standesamt seit Donnerstag neun Austrittserklärungen beurkundet habe. Denn wegen der Pandemiesituation biete die Verwaltung momentan keine allgemeinen Besuchszeiten an. „Unsere Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass abrupt steigende Kirchenaustrittszahlen tatsächlich oftmals einhergehen mit aktueller Berichterstattung in den Medien und dann, wenn die Thematik in der gesellschaftlichen Diskussion vermehrt aufgegriffen wird“, sagte er.

    Im Standesamt von Marktoberdorf im Kreis Ostallgäu registriert man „täglich mehrere Anrufer, die Termine zum Kirchenaustritt vereinbaren wollen“. Seit Donnerstag seien sechs Kirchenaustritte beurkundet worden, drei davon aus der katholischen Kirche, hieß es. Im Standesamt Füssen, das auch für die Gemeinden Schwangau und Lechbruck am See zuständig ist, wurden ebenfalls sechs Kirchenaustrittserklärungen beurkundet, 23 weitere seien schon vorbereitet.

    Martin Pusch und Marion Westpfahl von der Münchner Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl am 20. Januar bei der Vorstellung des Gutachtens zu Fällen von sexuellem Missbrauch im katholischen Erzbistum München und Freising.
    Martin Pusch und Marion Westpfahl von der Münchner Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl am 20. Januar bei der Vorstellung des Gutachtens zu Fällen von sexuellem Missbrauch im katholischen Erzbistum München und Freising. Foto: Sven Hoppe, dpa

    Im Standesamt Augsburg gab es von Donnerstag bis einschließlich Montag 44 Kirchenaustritte – die Termine dafür wurden den Angaben zufolge jedoch vor Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens vereinbart. Die Nachfrage nach Terminen sei „seit geraumer Zeit anhaltend groß“. Dem Sprecher der oberbayerischen Stadt Ingolstadt lagen am Dienstag noch keine aktuellen Zahlen vor. Gleichwohl sei „derzeit eine große Nachfrage nach Terminen zur Erklärung des Kirchenaustritts“ feststellbar, berichtete er. Verfügbare Termine seien bis Mitte März ausgebucht, weshalb das Standesamt absehbar zusätzliche Terminkapazitäten schaffen werde.

    Das Standesamt Neu-Ulm sprach angesichts der eingehenden Terminanfragen von einer „regen Nachfrage nach Kirchenaustrittsterminen“. Nach Angaben der Stadt Günzburg traten bis einschließlich Montag drei Menschen aus der katholischen Kirche aus. Allein am Dienstag waren es bereits sechs. In Dillingen an der Donau gab es bislang drei Kirchenaustritte.

    Viel diskutiert: die Stellungnahme des emeritierten Papstes Benedikt XVI.

    In dem Gutachten geht es um den Umgang von hochrangigen Kirchenvertretern mit Missbrauchsfällen. Fehlverhalten wird unter anderem dem amtierenden Münchner Erzbischof Reinhard Kardinal Marx und dem früheren Erzbischof Joseph Ratzinger vorgehalten.

    Der hatte zuletzt eine wesentliche Aussage zu seinem Umgang mit dem Missbrauchstäter Peter H. revidiert. Er habe doch an der entscheidenden Ordinariatssitzung am 15. Januar 1980 teilgenommen, in der H. Thema war, erklärte er durch seinen Privatsekretär Georg Gänswein am Montag. Benedikt wolle betonen, dass die falsche Angabe „Folge eines Versehens bei der redaktionellen Bearbeitung seiner Stellungnahme“ gewesen sei, so Gänswein. In einer von Benedikt unterschriebenen 82-seitigen Stellungnahme gibt dieser drei Mal an, dass er nicht an der Ordinariatssitzung teilgenommen habe – und erklärt, er kenne das Sitzungsprotokoll. Das aber belegt seine Anwesenheit.

    Friedrich Kardinal Wetter meldet sich zu Wort: „Es tut mir von Herzen leid"

    Sein Nachfolger als Münchner Erzbischof, Friedrich Kardinal Wetter, erklärte am Dienstag: „Als Erzbischof em(eritus, die Red.) entschuldige ich mich aufrichtig für alles Geschehene und für meine falsche Entscheidung im Fall Pfarrer H. im Hinblick auf den Einsatz in der Seelsorge.“ H. war in Wetters Amtszeit (1982 bis Anfang 2008) in Grafing, Garching an der Alz und Bad Tölz in verschiedenen Funktionen tätig – auch nach einer Verurteilung 1986 zu einer 18-monatigen Bewährungsstrafe wegen mehrfachen Kindesmissbrauchs. Immer hatte er leicht Zugang zu Kindern – und nutzte dies aus. Erst 2010 wurde H. in den Ruhestand versetzt.

    Wetter erklärte weiter: Dass „historisch“ betrachtet der Wissensstand vor 40 Jahren zur Therapierbarkeit eines Täters noch optimistischer gewesen sei, dass man die Opfer sowie die betroffenen Familien und Pfarreien zu wenig oder nicht gehört habe und dass man der Kirche nicht schaden habe wollen, seien Fehler, die nicht mehr begangen werden dürften. „Es tut mir von Herzen leid, was in meiner Amtszeit so nicht erkannt wurde. Mit dem Wissen von heute hätten ich und weitere Verantwortungsträger im Erzbistum sicherlich anders gehandelt.“

    Dass er sich in 21 Fällen falsch verhalten habe, will Wetter dagegen nicht stehen lassen. Die „Fakten“ dieser 21 Fälle würden keinesfalls pauschal ein „Fehlverhalten in 21 Fällen“ belegen. So liege in sechs Fällen gar kein Missbrauch vor.

    Die Gutachter kommen zu einer überaus negativen Einschätzung von Wetter

    Die Gutachter der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl hatten darauf hingewiesen, dass sie Wetter unter anderem die Möglichkeit zur umfassenden Akteneinsicht angeboten haben. Davon habe er nicht Gebrauch gemacht. Wetter, so steht es im Gutachten, habe ihnen gesagt, dass sein Grundsatz immer gewesen sei, dass sexueller Missbrauch nicht hinnehmbar ist. Die Anwälte kommen zu dem Schluss, dass er „nur in Ausnahmefällen“ nach dieser Maxime gehandelt habe. Bis zum Ende seiner Amtszeit seien aus den gesichteten Akten „Reaktionen in Richtung der Geschädigten, selbst im Falle von strafrechtlich verurteilten Priestern, nicht erkennbar“.

    Die 27 deutschen Ortsbischöfe, die sich am Dienstag in Würzburg trafen, teilten mit: „Um der Wahrheit willen ist es notwendig, dass wir Bischöfe uns der Verantwortung stellen, die uns und unsere Vorgänger im Wesentlichen alle gleich betrifft.“ Auf die Vorwürfe gegen den emeritierten Papst Benedikt gingen sie nicht ein.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden