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Kampf gegen Missbrauch: Freistaat Bayern soll sich stärker engagieren, fordert eine Petition an den Landtag

Sexuelle Gewalt

Bayern soll sich stärker um Missbrauchs-Aufarbeitung bemühen

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    „Der Freistaat Bayern muss endlich Verantwortung übernehmen“, sagt Richard Kick, einer der Initiatoren der Petition.
    „Der Freistaat Bayern muss endlich Verantwortung übernehmen“, sagt Richard Kick, einer der Initiatoren der Petition. Foto: Patrick Seeger/dpa

    Der Freistaat Bayern muss mehr für die Aufklärung und Aufarbeitung von Fällen sexualisierter Gewalt und Missbrauch in Institutionen tun: Das fordern Missbrauchsopfer, renommierte Experten – sowie das Erzbistum München und Freising. Nachdem immer wieder entsprechende Kritik laut geworden war, soll nun eine Petition des unabhängigen Betroffenenbeirats im Erzbistum München und Freising an den Bayerischen Landtag der Forderung Nachdruck verleihen.

    „Der Freistaat Bayern muss endlich Verantwortung übernehmen“, sagt Richard Kick, einer der Initiatoren der Petition, im Gespräch mit unserer Redaktion. Kick ist Sprecher des Betroffenenbeirats. Er betont: Die Inhalte der Petition gingen deutlich über die katholische Kirche hinaus, schließlich handele es sich um ein gesamtgesellschaftliches Thema, das etwa auch Vereine betreffe.

    Anwalt Ulrich Wastl: „Die Rolle des Staates bei Aufklärung und Aufarbeitung ist hochgradig enttäuschend“

    Die Petition wird begrüßt von Ulrich Wastl – Anwalt der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW), die mehrere Missbrauchsgutachten für katholische Bistümer erstellt hat. Er sagt auf Anfrage: „Die Rolle des Staates bei Aufklärung und Aufarbeitung ist hochgradig enttäuschend, und das gilt auf Bundesebene wie auf bayerischer Landesebene.“ Es müsse endlich im Sinne der Betroffenen sichergestellt werden, dass eine Aufarbeitung von Missbrauchsfällen, und zwar über die Kirche hinaus, unabhängig gewährleistet werde. „Der Freistaat Bayern darf dies nicht länger im Wesentlichen nur den Institutionen überlassen.“

    Auch Christoph Kappes, Sprecher des Erzbistums München und Freising, erklärt auf Anfrage: Man begrüße es bei diesem Thema, „wenn der Staat eine stärkere Rolle bei der Festlegung von Standards und Richtlinien spielt, die für alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens verbindlich und einheitlich sind“. Er verweist auf die Bundesebene, auf der die katholische Kirche konstruktiv mit der Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung zusammenarbeitete. Der evangelische Landesbischof Christian Kopp hatte vor Monaten gesagt, dass man lange schon einen „staatlichen Rahmen“ und „Leitplanken“ bei der Aufarbeitung wolle.

    In Bayern gibt es weder einen unabhängigen Landesbeauftragten noch Bestrebungen für ein Aufarbeitungsgesetz. Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung, der vor wenigen Wochen im Bundestag in erster Lesung beraten wurde, sieht dagegen für Betroffene „Unterstützung bei der individuellen Aufarbeitung“ sowie Aktenzugang vor. Was aus ihm nach dem Bruch der Ampel-Koalition wird, ist ungewiss. Richard Kick wirft dem Freistaat vor, dem Thema nicht gerecht zu werden. Als Beispiel nennt er die unabhängige staatliche Anlaufstelle für Opfer von Missbrauch und sexualisierter Gewalt, die Bayerns Sozialministerin Ulrike Scharf erst nach massiver Kritik von Betroffenen einrichten ließ: Die Stelle sei kaum mehr als eine Art „Verzeichnis“, kritisiert er. Tatsächlich besteht ihre Hauptaufgabe darin, Betroffene „an die passende Anlaufstelle in Bayern“ weiterzuvermitteln.

    „Wenn Kirchen und andere Institutionen sich selber aufarbeiten, ist das nicht ausreichend“, schreibt ein Betroffener

    Die Unterstützer der Landtags-Petition mit dem Titel „Gewalt an Kindern und Jugendlichen entschlossen entgegentreten!“, für die seit knapp einer Woche auch auf der Plattform „openPetition“ um Unterschriften gebeten wird, halten ein ganzes Bündel von Maßnahmen für dringend erforderlich. Darunter zudem eine „Unabhängige Bayerische Aufarbeitungskommission“, einen landesweiten Betroffenenrat oder eine Stiftung beziehungsweise einen Fonds zur Finanzierung der Aufarbeitung und Unterstützung von Betroffenen. Zentral sei ein „Bayerisches Aufarbeitungsgesetz“ zur klaren Regelung von Kompetenzen und Zuständigkeiten. Der Freistaat Bayern müsse seiner Schutzpflicht nachkommen und „umfassende Schutzmaßnahmen“ auf den Weg bringen.

    Erarbeitet haben die Petition in den vergangenen Monaten neben Kick unter anderem: Ignaz Raab, ehemaliger Kriminalbeamter und Vorsitzender einer vom Münchner Stadtrat berufenen unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung der Heimerziehung; der langjährige Sozialpsychologie-Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Heiner Keupp; Gabriele Triebel, religionspolitische Sprecherin der Landtags-Grünen aus Kaufering; sowie Martin Pusch von der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl. Dessen Kollege Ulrich Wastl hatte Ende Oktober in der Evangelischen Akademie Tutzing ein „Plädoyer für eine effektive Aufklärung und Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs“ gehalten. Es sei „Zeit zum Handeln“, so Wastl.

    Bis Donnerstagnachmittag hatten 213 Menschen die Petition auf der Plattform „openPetition“ unterzeichnet. In den Kommentaren äußerten sich einige Missbrauchsbetroffene. Einer schrieb: „Wenn Kirchen und andere Institutionen sich selber aufarbeiten, ist das nicht ausreichend: Der Staat muss – unterstützend und regelnd – mehr mitarbeiten und Verantwortung übernehmen!“ Richard Kick sagt, er sei zuversichtlich, dass der Landtag die Petition annehmen werde. Er will sie Landtagspräsidentin Ilse Aigner persönlich überreichen, nach Möglichkeit noch in diesem Jahr. Dann startet das mehrstufige Petitionsverfahren – mit ungewissem Ausgang.

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