Die Vorwürfe gegen die Justizvollzugsanstalt Gablingen wiegen schwer: Gefangene sollen misshandelt worden sein. Gegen fast ein Dutzend Bedienstete wird nun wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt gegenüber Häftlingen ermittelt. Der mögliche Misshandlungsskandal in einem der modernsten Gefängnisse Bayerns weitet sich immer weiter aus. Was bisher bekannt ist – und was nicht.
Wie kamen die Vorwürfe ans Licht und wer erhebt sie?
Am vergangenen Donnerstag, den 24. Oktober, hatte es einen größeren Einsatz in der JVA Gablingen gegeben. Die Staatsanwaltschaft rückte mit zahlreichen Polizeibeamten an und stellte haufenweise Akten sicher. Recherchen unserer Redaktion deckten auf, dass auch gegen die stellvertretende Leiterin der Justizvollzugsanstalt ein Ermittlungsverfahren läuft.
Die Vorwürfe gegenüber der JVA wurden unter anderem von Alexandra Gutmeyr öffentlich gemacht. Die Augsburger Strafverteidigerin hatte gemeinsam mit der ehemaligen Gefängnisärztin der JVA Gablingen, Katharina Baur, von teils schockierenden Zuständen berichtet. Vor allem geht es dabei um die Unterbringung von Häftlingen in den sogenannten „besonders gesicherten Hafträumen“ (bgH). Auch der ehemalige Gefängnispfarrer Peter Trapp erhebt Vorwürfe gegen die stellvertretende JVA-Leiterin: Er wirft ihr Machtmissbrauch vor.
Wie lauten die Vorwürfe gegen die JVA Gablingen?
Neben den Vorwürfen der Schikane und des Machtmissbrauchs gegen die stellvertretende Leiterin der JVA geht es vor allem um die Misshandlung von Häftlingen. Katharina Baur, die ehemalige Gefängnisärztin, berichtet von Schmerzen und Hämatomen der Gefangenen, sie spricht sogar von „Folter“. Ihr zufolge mussten 80 Prozent der Gefangenen in „besonders gesicherten Hafträumen“ nackt ohne eine Matratze auf dem Betonboden schlafen, und das teilweise über mehrere Tage bis Wochen. Warum Häftlinge in dieser speziellen Einzelhaft waren, hätten sie und der damalige Psychiater oft nicht nachvollziehen können. Aus ihrer Sicht habe bei den meisten Betroffenen keine Suizidgefahr vorgelegen. Schlimm seien die Schreie gewesen.
Zudem soll die stellvertretende Leiterin etliche nicht nachvollziehbare Anordnungen erlassen haben. Insgesamt herrsche ein Klima der Angst, katastrophale Stimmung und das Personal sei eingeschüchtert. „Keiner traut sich, etwas zu sagen. Es sind Beamte, die Angst um ihre Jobs haben“, so Baur. Die JVA Gablingen bezeichnet sie als eine Art Blackbox. „Es heißt, was hinter den Mauern geschieht, bleibt hinter den Mauern.“
Was sind besonders gesicherte Hafträume?
Bei den Vorwürfen geht es um die Situation in sogenannten „Spezialzellen“. Im Strafvollzugsgesetz heißen diese „besonders gesicherte Hafträume“ (bgH) und sind als eine „besondere Sicherheitsmaßnahme“ aufgeführt. Es handelt sich um eine Einzelzelle, die nichts enthält, mit dem die Insassen sich selbst oder andere verletzen könnten. In der Regel ist nur eine Matratze vorhanden, die Toilette ist in den Boden eingelassen. Häftlingen werden Papierunterhosen bereitgestellt. Die Zellen können durchgehend mit Kameras überwacht werden.
Wann kommen Häftlinge in besonders geschützte Hafträume?
Die „besonders geschützten Hafträume“ sind für Gefangene vorgesehen, bei denen erhöhte Fluchtgefahr oder die Sorge besteht, dass sie sich oder andere verletzen könnten. In so einem Fall kann die Gefängnisleitung – oder unter Umständen ein vor ihr beauftragter Abteilungsleiter – die Unterbringung in diesem speziellen Haftraum anordnen. Eine JVA kann die Unterbringung in so einer speziellen Zelle jedoch „nur“ für maximal 72 Stunden anordnen. Soll diese länger dauern, muss dies dem Justizministerium gemeldet werden. Auch müssen ein Arzt und ein Psychologe dafür grünes Licht geben.
Was sagt die beschuldigte stellvertretende Leiterin der Justizvollzugsanstalt?
Die Vizechefin der JVA Gablingen, eine 37-jährige Juristin, äußert sich nicht persönlich, lässt aber inzwischen ihre Anwälte sprechen. Die Strafverteidiger Holm Putzke, Alexander Stevens und Thomas Krimmel, nehmen die erhobenen Vorwürfe gegen ihre Mandantin, wie sie schriftlich mitteilen, „sehr ernst“ und weisen diese „entschieden zurück“. „Die Anschuldigungen, wonach Inhaftierte durch die Umstände der Unterbringung unter menschenunwürdigen Bedingungen behandelt worden seien, entbehren auf Basis der vorliegenden Informationen jeglicher Grundlage.“ Sie kündigten an, dass ihre Mandantin die vollständige Aufklärung der Sachverhalte unterstützen werde.
Was sagt die Gefängnisleitung der JVA Gablingen zu den Folter-Vorwürfen?
Chefin eines der modernsten Gefängnisse Bayerns mit rund 600 Insassen und etwa 300 Bediensteten ist Zoraida Maldonado de Landauer. Bislang nimmt sie zu den Vorwürfen und den laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft keine Stellung. Anfragen unserer Redaktion an die JVA-Chefin blieben unbeantwortet. Wie das Bayerische Justizministerium mitteilt, ist die Leiterin nicht von strafrechtlichen Ermittlungen betroffen. Im Zuge einer Pressekonferenz am Donnerstag, dem 31. Oktober, verkündete Justizminister Georg Eisenreich (CSU), dass Zoraida Maldonado de Landauer ab sofort vorläufig suspendiert ist.
Was sagt das Justizministerium zum Skandal an der JVA Gablingen?
Auf der gleichen Pressekonferenz schilderte der Justizminister die Abläufe innerhalb des Ministeriums. So seien am 18. Oktober 2023 Schilderungen der damaligen Anstaltsärztin eingetroffen. Die zuständige Fachabteilung habe dies an die Staatsanwaltschaft Augsburg weitergeleitet, ihn als Minister allerdings nicht informiert. „Möglicherweise wurde die Dimension der Vorgänge im Ministerium unterschätzt“, räumte Eisenreich ein.
Vertuscht sei aber nichts worden, schließlich habe die Fachabteilung als „schärfstes Schwert“ die Staatsanwaltschaft informiert. Dort, bei der Staatsanwaltschaft Augsburg, ging man den Vorwürfen eigenen Angaben zufolge nach, konnte aber kein „strafrechtlich relevantes Verhalten“ feststellen. Anschließende Kontrollen des Ministeriums brachten zunächst keine Missstände ans Licht. Jedoch habe man im Ministerium eine Zunahme von Beschwerden zur JVA Gablingen festgestellt. „Rückblickend hätte bei der Kontrolle von Gablingen mehr passieren müssen“, sagte Eisenreich.
Wie ist der Stand der Ermittlungen zu den „Folter“-Vorwürfen?
Gegen die stellvertretende Anstaltsleiterin wird nun strafrechtlich ermittelt. Welche Rolle sie spielte, ob sie rechtswidrige Anordnungen getroffen hat oder unhaltbare Zustände geduldet, wird die Augsburger Staatsanwaltschaft versuchen, herauszufinden. Außerdem wird gegen neun Bedienstete wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt gegenüber Häftlingen ermittelt.
„Es besteht der Anfangsverdacht, dass einzelne Gefangene möglicherweise unbekleidet in einem ‚besonders gesicherten Haftraum ohne gefährdende Gegenstände‘ untergebracht worden sein sollen, ohne dass die besonderen Voraussetzungen für diese Maßnahme vorlagen“, so ein Sprecher der Augsburger Staatsanwaltschaft. Zudem gehen die Strafverfolgungsbehörden Vorwürfen nach, wonach es zu tätlichen Übergriffen einzelner Beschäftigter auf einzelne Gefangene gekommen sein soll. Bis zu einem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens gilt die Unschuldsvermutung.
Am Mittwoch, dem 30. Oktober, hat die Staatsanwaltschaft Augsburg weiteres Beweismaterial aus der JVA Gablingen gesichert. Wie bei der ersten Razzia ging es dabei um Unterlagen und elektronische Daten. Auch Handys von Bediensteten wurden bei den Durchsuchungen beschlagnahmt.
Wie geht es weiter im Misshandlungsskandal an der JVA Gablingen?
Wie das Bayerische Justizministerium auf Anfrage unserer Redaktion mitteilt, wurde gegenüber den betroffenen Bediensteten ein Betretungsverbot der JVA Gablingen verhängt – also auch gegen die stellvertretende Leiterin. „Darüber hinaus wurde ein vorläufiges Verbot der Führung der Dienstgeschäfte veranlasst“, so eine Ministeriumssprecherin. Neben den strafrechtlichen Ermittlungen liefen auch Disziplinarverfahren. Ohnehin nimmt das Ministerium die Abläufe in Gefängnissen nun offenbar genauer ins Visier, vor allem in Gablingen. „Wir werden insbesondere die Unterbringung in besonders gesicherten Hafträumen auf den Prüfstand stellen“, so die Sprecherin. In der JVA Augsburg-Gablingen sei „bis auf weiteres jede Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum ab dem ersten Tag der Anordnung berichtspflichtig.“ Normalerweise gilt diese Pflicht erst ab 72 Stunden.
Justizminister Eisenreich sprach auf einer Pressekonferenz von einer „Taskforce“, die den Fall intern aufarbeiten soll. Zudem unterstütze sein Ministerium die Staatsanwaltschaft bei den Ermittlungen. Gefängnisleiterin Maldonado de Landauer ist ab sofort vorläufig freigestellt.
Anmerkung: Alle weiteren Texte zum Fall finden Sie hier.
Eine aussagefähige Stellungnahme der Gefängnisleitung fehlt leider immer noch. Ist die Dame auf Tauchstation gegangen und hofft das aussitzen zu können?
Was sagt eigentlich Herr Söder zu diesen Missständen. Der ist ja sonst der erste, bei allen Vorgängen in SPD Ländern. Oder ist hier auch die Ampel schult
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