Der neunjährige André war in der Kinderfeuerwehr. Und bei den Sternsingern. Seine Mutter nannte ihn ihren „Teddybär“. Sie kann nicht verstehen, warum ihr Sohn tot ist. „André hatte keinem was getan“, schrieb sie am Wochenende auf Facebook. „Er war doch erst 9 Jahre bei uns auf der Erde.... wieso du.... wieso nur?“
André ist beim Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt gestorben. Er ist eins der fünf Todesopfer. Bei den anderen Toten handelt es sich um vier Frauen im Alter zwischen 45 und 75 Jahren.
Vater und Geschwister von André leben in der Oberpfalz
Der Junge stammte aus dem oberpfälzischen Markt Floß im Landkreis Neustadt. Erst vor Kurzem war er mit seiner Mutter umgezogen - nach Niedersachsen offenbar, nicht nach Magdeburg. Dort hatten die beiden anscheinend nur den Weihnachtsmarkt besucht, den der 50-jährige Taleb A. am Freitagabend mit einem schwarzen SUV durchpflügte. Am Ende seiner dreiminütigen Amokfahrt waren fünf Menschen tot, die Zahl der Verletzten ist mittlerweile auf bis zu 235 gestiegen, wie ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Magdeburg am Montag sagte.
In Floß war die Kirche am Samstag und Sonntag besser besucht als sonst. Die Menschen in dem 3500-Einwohner-Ort trauern um André. „Man kann es nicht fassen, dass er plötzlich tot sein soll“, sagte der katholische Pfarrer Max Früchtl am Sonntag. Sein Vater und einige Geschwister leben ihm zufolge weiter in Floß. Früchtl kannte den Neunjährigen von den Sternsingern.
Spendenaufruf bringt mehr als 90.000 Euro für Andrés Familie
Über mehrere Spendenaufrufe im Internet sind mittlerweile Zehntausende Euro für die Familie zusammengekommen. Eine Kampagne, die eine Arbeitskollegin der Mutter gestartet hatte, brachte bis Montagnachmittag mehr als 90.000 Euro. Das Geld gehe eins zu eins an die Verwandten des Jungen, schreibt die Organisatorin. Und Andrés Familie wolle einen großen Teil der Spenden weitergeben an die Familien der Verstorbenen und andere Opfer, die beim Attentat verletzt worden sind. Auch Andrés Kinderfeuerwehr im niedersächsischen Warle hatte in Absprache mit den Angehörigen ein Spendenkonto eingerichtet. Innerhalb von zwei Tagen kam offensichtlich ein so großer Betrag zusammen, dass die Ehrenamtlichen die Sammlung beendet haben und jetzt dazu aufrufen, für die weiteren Opfer zu spenden.
Parallel zur großen Hilfsbereitschaft werden immer mehr Details zum Täter bekannt. Die Hinweise auf eine gravierende psychische Erkrankung des Arztes Taleb A. verdichten sich. Der Generalbundesanwalt habe die Übernahme des Verfahrens abgelehnt, sagte Justizministerin Franziska Weidinger (CDU) im Ältestenrat des Landtags in Magdeburg. Er ist nämlich nur zuständig für Verfahren im Bereich des Staatsschutzes, also der politisch motivierten Kriminalität. Als solche wird die Tat offenbar nicht bewertet. Stattdessen werde die Generalstaatsanwaltschaft in Naumburg das Verfahren übernehmen, so Weidinger.
Aus kriminologischer Sicht stellt der Täter keine Überraschung dar. „Es gibt eindeutig ideologisch motivierte Täter und solche, die eher von Menschenhass, persönlicher Unzufriedenheit und ihren persönlichen Problemen getrieben sind“, sagt Britta Bannenberg, Professorin für Kriminologie an der Universität Gießen, unserer Redaktion. „Die Tötungsfantasien von Amoktätern gründen in einer psychischen Störung, die nicht zwingend ihre Schuldfähigkeit beeinträchtigt oder gar aufhebt.“ Über Jahre entwickelten sich Tötungsfantasien gegen vermeintlich Schuldige - hier zum Beispiel die Gesellschaft allgemein. „Weil diese Personen – natürlich – kein Gehör finden, steigern sie sich weiter hinein“, sagt Bannenberg. „Bis zum Plan, zu töten.“ Das Problem liege also eher darin, die Warnzeichen im Vorfeld ernst zu nehmen, auch wenn keine strafrechtliche Vorauffälligkeit mit Gewalt vorliegt. „Das sollte die Aufgabe von Polizeibeamten und Psychiatrien sein, die eine Gefährdereinschätzung oder ein Bedrohungsmanagement im Vorfeld einer möglichen Tat vornehmen sollten“, sagt Bannenberg. „Auch dann muss man immer bedenken, dass sich nicht jede Tat vermeiden lässt, weil ja die Frage ist, ob alle Informationen gesammelt bekannt sind - was selten der Fall ist.“
Die große Anteilnahme nach der tödlichen Fahrt zeigt sich übrigens nicht nur in Form von Geldspenden und tausenden Kerzen und Blumen am Anschlagsort. Bei einem Sondertermin im Universitätsklinikum Magdeburg haben viele Menschen Blut gespendet. „Ich bin überwältigt über die Teilnahme. Viele spenden heute das erste Mal Blut“, sagte die Gebietsleiterin des DRK-Blutspendedienstes, Anett Sinast. Derzeit sei der Bedarf für die Versorgung der vielen Verletzten zwar gedeckt. Aber es sei wichtig, die Vorräte an Blutkonserven wieder aufzufüllen. (mit dpa)
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