Startseite
Icon Pfeil nach unten
Bayern
Icon Pfeil nach unten

Iran: Kemptenerin über die Proteste in ihrer Heimat Iran: "Jetzt geht es um die Freiheit"

Iran

Kemptenerin über die Proteste in ihrer Heimat Iran: "Jetzt geht es um die Freiheit"

    • |
    Die Iranerin Shiva lebt seit 29 Jahren in Kempten. Die Proteste in ihrer Heimat machen sie traurig und glücklich zugleich.
    Die Iranerin Shiva lebt seit 29 Jahren in Kempten. Die Proteste in ihrer Heimat machen sie traurig und glücklich zugleich. Foto: Matthias Becker

    Vor ein paar Monaten hätte Shiva öffentlich niemals über Politik gesprochen. „Ich habe keinen Mut gehabt“, sagt die Iranerin, die seit 29 Jahren in Kempten lebt. Dann hätte sie ihre Familie im Iran nicht mehr besuchen können, ohne zu fürchten, festgenommen zu werden. Jetzt aber. Jetzt könne sie über ihre Gedanken und Gefühle reden. „Ich hoffe, dass das Regime gestürzt wird. Nein. Ich weiß, dass es passiert.“

    Die Kemptenerin macht sich große Sorgen um die Menschen im Iran, um ihre Familie

    Seit Beginn der Proteste im Iran, die sich aus Sicht der 50-Jährigen mittlerweile zu einer Revolution entfaltet haben, verfolgt sie ständig Nachrichten über die neuesten Entwicklungen. Abends, bevor sie einschläft. Und morgens, sobald sie die Augen aufmacht. Wenn sie über das spricht, was gerade in ihrem Heimatland passiert, fließen zwischendurch die Tränen. Denn Shiva macht sich große Sorgen um die Menschen dort, um ihre Familie. Weil sie um deren Sicherheit bangt, bittet sie auch, ihren Nachnamen nicht zu veröffentlichen. Doch während des Gesprächs glänzen ihre Augen oft auch vor Freude über die Bewegung. „Mein Volk ist sehr geduldig“, sagt sie. Doch das Maß sei voll. „Jetzt geht es um die Freiheit.“

    Aktuell leben nach Angaben der Stadtverwaltung 53 iranische Staatsangehörige in Kempten und 54 Menschen mit einem deutsch-iranischen Ausweis. Seit Donnerstag warnt das Auswärtige Amt insbesondere sie, in den Iran zu reisen. Auch Deutsche fordert die Behörde auf, das Land zu verlassen. „Polizei- und Sicherheitskräfte gehen gewaltsam gegen Demonstrierende vor, es gibt Tote und Verletzte“, heißt es auf der Internetseite. Im Umfeld von Demonstrationen komme es zu willkürlichen Verhaftungen. Strafrechtliche Vorschriften seien häufig so vage formuliert, „dass eine Vielzahl möglicher Verhaltensweisen erfasst werden kann, ohne dass dies dem Betroffenen vorher deutlich sein muss“. Die Rechtsprechung ist laut Auswärtigem Amt mitunter eindeutig politisch motiviert.

    Nach ihrem Psychologiestudium floh Shiva nach Deutschland. „Ich wollte nicht in einem Land leben, in dem Meinungsfreiheit nicht erlaubt ist“, erzählt die Mutter zweier erwachsener Kinder von ihrer Entscheidung, ihre Heimat zu verlassen. Nur weil sie als Studentin auf der Straße einmal über den Witz eines fremden Mannes gelacht habe, hätten Sicherheitskräfte ihr den Studentenausweis abgenommen. Nicht ein einziges Haar durfte unter dem Hijab, dem Kopftuch, hervorspitzeln. In der Schule wurden die Taschen durchsucht. Hatte ein Mädchen einen Lippenstift dabei, „war es vorbei“. Die Eltern wurden einbestellt, Wiederholungstäterinnen mussten mit einem Rausschmiss rechnen.

    „Ich hatte keine gute Jugend, ich durfte nicht frei leben“, sagt Shiva. „Das lag allein am Regime.“ Wenn sie ihren Kindern, die in Kempten aufwuchsen, von ihrem Leben im Iran und den Einschränkungen erzählt, könnten diese das alles kaum glauben. Wenn die 50-Jährige momentan hingegen mit ihren Eltern und Geschwistern im Iran telefoniert, dann spricht sie die politische Situation gar nicht erst an. „Ich habe Angst, dass die Gespräche abgehört werden und möchte meine Familie nicht in Gefahr bringen.“

    Die Situation im Iran "ist einfach eine Katastrophe"

    Dass aus einem feministischen Aufstand heraus nun eine gesamtgesellschaftliche Bewegung entstanden ist, freue sie. Dass Menschen auch international ihre Solidarität bekunden. Dass auch Männer – Väter, Onkel, Söhne – im Iran mit auf die Straße gehen. Dass, wenn Sicherheitskräfte eine Frau verhaften wollen, weil sie kein Kopftuch trägt, Passanten einschreiten. Dass ihr Volk sich gegen das „unverschämte“ Regime wehrt, das selbst Kinder festnehme, das Menschen schlagen, vergewaltigen und töten lasse. „Die Situation ist einfach eine Katastrophe.“

    Ihre Wünsche für die Zukunft? Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichberechtigung. „Dieser Kampf im Iran momentan ist ein Kampf gegen Ungerechtigkeit.“ Vom deutschen Staat erhofft sich Shiva, dass sich dieser deutlicher positioniert. Dass er Sanktionen verhängt, Vermögen iranischer Machthaber einfriert, das Konsulat schließt.

    Shiva selbst übt in Deutschland Protest gegen das Regime in ihrer Heimat. Jüngst organisierte sie eine Kundgebung in Kempten mit. Auch in München nahm sie an einer Demo teil. Mit dem einen Ziel: in einen freien Iran zurückzukehren. Dafür erhebt sie mittlerweile ihre Stimme. Lautstark. In der Öffentlichkeit. Jetzt hat sie den Mut dazu.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden