Startseite
Icon Pfeil nach unten
Bayern
Icon Pfeil nach unten

Interview: Zoonosen verbreiten sich: Rücken wir den Tieren zu sehr auf die Pelle?

Interview

Zoonosen verbreiten sich: Rücken wir den Tieren zu sehr auf die Pelle?

    • |
    Am Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr werden gefährliche Infektionskrankheiten erforscht.
    Am Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr werden gefährliche Infektionskrankheiten erforscht. Foto: Peter Kneffel, dpa (Archivbild)

    Erst Corona, jetzt die Affenpocken: Beides sind Zoonosen, also Infektionskrankheiten, die von Tieren auf Menschen übergesprungen sind. Herr Wölfel, wie bewerten Sie als Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie das? Rücken wir den Tieren zu sehr auf die Pelle?

    Professor Roman Wölfel: Es ist zunächst einmal nichts Ungewöhnliches, dass es Krankheiten gibt, die sowohl Tiere als auch Menschen betreffen können. Das ist bei vielen Infektionskrankheiten so, bei bakteriellen als auch bei viralen. Dass das in der letzten Zeit zunimmt, kann natürlich etwas damit zu tun haben, dass Menschen immer mehr in Bereiche der Natur vordringen, in denen sie dann auch in Kontakt mit Krankheitserregern kommen können, auf die man bisher nicht gestoßen ist. Und wenn so etwas passiert, dann sind Ausbrüche heute oft nicht mehr nur lokal begrenzt. Durch die hohe Mobilität auf der ganzen Welt kommt es zu einer schnelleren Ausbreitung, die es so in dieser Geschwindigkeit in früheren Jahrzehnten und Jahrhunderten nicht gegeben hätte.

    Sie leiten das Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr in München. Ihre Einrichtung hat damals als erste in Deutschland den Nachweis für Sars-CoV-2 erbracht. Jetzt waren Sie bei den Affenpocken auch die Ersten, die das Virus nachgewiesen haben. Warum sind Sie da so schnell?

    Wölfel: Wir sind am Institut damit beauftragt, Soldatinnen und Soldaten vor gefährlichen Infektionskrankheiten auch im Ausland zu schützen. Dabei geht es um Krankheiten, die selten sind und zumeist nicht in Deutschland heimisch sind. Deswegen sind wir gut auf den Nachweis eher exotischer Erreger vorbereitet. Wir halten als eine von wenigen Einrichtungen in Deutschland entsprechende Diagnostik bereit und können diese auch schnell einsetzen. So war das bei Corona, aber auch 2014, als Ebola in Westafrika ausbrach. Wir waren damals mit bei den Ersten, die mit einem mobilen Labor nach Afrika geflogen sind und den Ebola-Erreger im Feld nachweisen konnten. Bei den Affenpocken war es jetzt ähnlich. Forschung zu diesem Virus wird bei uns seit vielen Jahrzehnten betrieben. Wir haben zum Beispiel auch immer wieder Affenpocken-Fälle aus Zentralafrika untersucht.

    Prof. Dr. Roman Wölfel leitet das Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr in München.
    Prof. Dr. Roman Wölfel leitet das Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr in München. Foto: Bundeswehr

    Gehen wir bei den Affenpocken mal ins Detail. Welche Besonderheiten hat das Virus? Und hat es sich verändert?

    Wölfel: Zunächst einmal ganz grundsätzlich: Affenpocken kommen im Tierreich vor und werden ab und zu auf den Menschen übertragen. Das ist in den vergangenen Jahrzehnten in Afrika immer wieder passiert. Eine Eintragung nach Europa oder in die USA, wie wir sie jetzt sehen, hat es früher nicht so sehr gegeben. Zumindest haben wir das nicht gesehen. Das Virus selbst scheint sich aber nicht wesentlich genetisch verändert zu haben. Das ist bei Pockenviren auch nicht unbedingt zu erwarten. Anders als etwa Corona- oder Influenzaviren haben sie nicht so sehr die Tendenz, sich in größerem Maße genetisch zu verändern. Genaue Untersuchungen zur Genetik laufen aber derzeit noch. Es kann nämlich manchmal sein, dass sich nur ein einziger winziger Baustein der Erbsubstanz verändert und sich das Virus dann anders verhält als zuvor.

    Auf welchen Wegen erfolgt denn bei den Affenpocken die Ansteckung?

    Wölfel: Affenpocken werden über nahen Kontakt, also vor allem Körperkontakt, übertragen. Die Pusteln auf der Haut tragen eine hohe Viruskonzentration in sich. Das Virus befindet sich aber auch im Rachen und kann durch größere Tröpfchen von einem Menschen zum anderen übertragen werden.

    Eben wurde der erste Affenpocken-Patient aus einem Münchner Krankenhaus entlassen. Es gehe ihm gut, heißt es. Wie gefährlich sind die Affenpocken für die Menschen?

    Wölfel: Wir unterscheiden zwei große Gruppen: die west- und die zentralafrikanische. Von Ausbrüchen in Afrika wissen wir, dass bei Kindern der westafrikanische Typ milder verläuft und nur in etwa einem Prozent der Fälle zum Tod führt. Der zentralafrikanische Typ hat dagegen bis zu zehn Prozent tödliche Verläufe. Das muss aber bei den derzeitigen Fällen nicht genauso sein.

    Warum? Weil die medizinische Versorgung in Europa besser ist?

    Wölfel: Genau. Bei den Affenpocken kann es manchmal zu Komplikationen kommen, zum Beispiel zu sogenannten bakteriellen Sekundärinfektionen. In vielen Ländern Afrikas sind die Behandlungsmöglichkeiten für solche schweren Verläufe dann oft eingeschränkter als in Europa.

    So sieht die Haut von Affenpocken-Patienten aus.
    So sieht die Haut von Affenpocken-Patienten aus. Foto: Institute of Tropical Medicine Antwerp, dpa

    Die Bundesregierung hat angekündigt, 40.000 Impfdosen bereitzustellen. Welchen Schutz bietet eine Impfung gegen die Affenpocken?

    Wölfel: Grundsätzlich ist es so, dass die Impfung gegen die ausgerotteten menschlichen Pocken auch einen gewissen Schutz vor den Affenpocken bietet. Das ist vermutlich auch ein Grund, warum man die Affenpocken auch in Afrika lange Zeit nicht mehr so sehr gesehen hat. Es gab, auch in Afrika, mehrere Generationen, die gegen die Pocken geimpft waren. Mit dem Ende der Pockenimpfung hat man dann auch die Affenpocken wieder häufiger bei Kindern gesehen, die nicht gegen die Pocken geimpft waren. Es gibt mittlerweile sehr moderne Impfstoffe, die gut verträglich sind. Man setzt sie allerdings nur ein, wenn man einen Ausbruch nicht mit anderen Mitteln eindämmen kann. Und zum jetzigen Zeitpunkt sieht es eher so aus, als würde das durch Isolation der Patienten und Quarantäne der Kontaktpersonen funktionieren. Aber es ist natürlich wichtig, dass man vorbereitet ist und der Impfstoff bei Bedarf verfügbar ist.

    Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sagte vor kurzem, dass auch der Klimawandel bei der Verbreitung von Zoonosen eine Rolle spielt.

    Wölfel: Ich hatte ja am Anfang unseres Gesprächs gesagt, dass Menschen, die in tropische Wälder eindringen, mit neuen Erregern in Kontakt kommen. Andersherum trifft das auch dann zu, wenn Tiere in den Lebensraum von Menschen vorstoßen. Der Klimawandel kann auch zu solchen Wanderungsbewegungen von Tieren beitragen und damit zu mehr Übertragungsmöglichkeiten zwischen Tier und Mensch.

    Welche Zoonosen gibt es in Deutschland eigentlich noch?

    Wölfel: Es sind wirklich extrem viele. Vielen bekannt sind zum Beispiel die Salmonellen. Die werden von Hühnern oder selten Schweinen beherbergt und treten dann immer wieder beim Menschen auf. Andere Krankheiten wären etwa die Brucellose oder die Frühsommer-Meningoenzephalitis. Hinzu kommen viele multiresistente Keime. Es wird ja immer wieder darüber gesprochen, dass die Anwendung von Antibiotika in der Tierhaltung zum Entstehen von multiresistenten Bakterien beiträgt – und unter diesen Bakterien sind eben auch zoonotische Krankheitserreger.

    Kann man überhaupt verhindern, dass sich Zoonosen künftig stärker ausbreiten?

    Wölfel: Das Vordringen in Biotope, das Abholzen von Regenwäldern, das immer stärkere Zurückdrängen von tierischen Lebensräumen führt zwangsläufig zu mehr Kontakten. Gleichzeitig brauchen Menschen, die aufgrund des Klimawandels nach neuen Lebensräumen suchen, auch Alternativen. Das sind komplexe Fragestellungen, die eine Antwort aus ganz vielen Bereichen der Gesellschaft erfordern. Was man auf jeden Fall machen kann: sich mehr mit der Gesundheit von Menschen und Tieren beschäftigen. Das Stichwort ist One Health. Das bedeutet, dass die tierische und die menschliche Gesundheit eng miteinander verbunden sind. Damit sollte man sich auseinandersetzen, um die Zusammenhänge besser zu verstehen und Krankheitsausbrüche schnell erkennen und darauf reagieren zu können. Denn wenn man nicht vorbereitet ist, breiten sich Erreger möglicherweise unerkannt in großem Maße aus.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden