Startseite
Icon Pfeil nach unten
Bayern
Icon Pfeil nach unten

Interview: Streit um den Wolf: Abschießen oder leben lassen?

Interview

Streit um den Wolf: Abschießen oder leben lassen?

    • |
    In Bayern wird seit Jahren hitzig über den Wolf debattiert. Vor Kurzem wurde beschlossen, dass er leichter abgeschossen werden darf.
    In Bayern wird seit Jahren hitzig über den Wolf debattiert. Vor Kurzem wurde beschlossen, dass er leichter abgeschossen werden darf. Foto: Armin Weigel, dpa

    Vor Kurzem hat die bayerische Staatsregierung beschlossen, dass Wölfe im Freistaat leichter abgeschossen werden dürfen. Ihre Reaktionen dürften sehr unterschiedlich ausgefallen sein.

    Richard Mergner: Wir waren erschüttert. Unserer Meinung nach löst der Beschluss die Probleme nicht. Mit der Wolfsverordnung von Ministerpräsident Markus Söder wird suggeriert, es gäbe eine Lösung, indem man zum Gewehr greift. Aber das ist keine Lösung.

    Sondern?

    Mergner: Der Herdenschutz muss vorankommen. Für uns als Bund Naturschutz ist die Weidetierhaltung und die Almwirtschaft nicht nur ein wichtiges Kulturgut, sondern auch die bevorzugte Tierhaltung. Wir setzen uns etwa dafür ein, dass der Herdenschutz zu 100 Prozent gefördert wird. Aber der Wolf ist nun einmal da, er wird auch immer wieder kommen und deswegen brauchen wir mehr Herdenschutz. Mit oder ohne Wolfsabschüsse gilt: Je mehr ungeschützte Weidetiere, desto mehr Risse. Aber, und das möchte ich betonen, wir sagen auch, dass Wölfe entnommen werden sollen, wenn sie wiederholt Herdenschutzzäune überwinden. 

    Herr Felßner, Ihnen dürfte der Beschluss gerade recht kommen.

    Günther Felßner: Ja, wir sind sehr froh über den Erlass dieser Wolfsverordnung. Die Weidehaltung ist ein zentraler Bestandteil der Zukunft der bayerischen Tierhaltung. Dem gegenüber steht die Entwicklung bei der Population der Wölfe. Der Wolf gilt als streng geschützte Art – er ist aber nicht mehr vom Aussterben bedroht, die Population hat einen guten Erhaltungszustand erreicht und wächst pro Jahr um 30 Prozent. Mit der Weidewirtschaft ist das nicht vereinbar. Nur Herdenschutzmaßnahmen allein reichen nicht. Ohne eine Bejagung funktioniert es nicht. Sonst riskieren wir den kompletten Verlust der Weidehaltung in Bayern.

    Mergner: Die Meinung, die Wolfspopulation würde überborden, stimmt einfach nicht. Und was hier zum Thema Weidetierhaltung aufgebauscht wird, hat mit der Wirklichkeit wenig zu tun. Auch du, lieber Günther, weißt, dass 98 Prozent der Beute von Wölfen Rehe, Hirsche oder Wildschweine sind. Bei Rindern haben wir die geringsten Risse, und wenn, dann nur bei jungen Kälbern. Es ist eher ein Problem für Schaf- und Ziegenhalter. Und deshalb kann man einfach nicht behaupten, die gesamte Weidewirtschaft in Bayern sei gefährdet.

    Einem Gutachten zufolge verstößt die Verordnung gegen Bundes- und EU-Recht. Wo hakt es?

    Mergner: Die Staatsregierung gibt die Verantwortung und die Abwägung, wann ein Wolf geschossen werden kann, an die Landratsämter ab. Es werden dann Kriterien angewandt, die in ihrer Auslegung problematisch sind. Ein Wolf darf etwa, wenn er zweimal in der Nähe eines Ortes gesehen wird, getötet werden. Wie soll das denn gehen? Ruft da jemand an? Macht jemand ein Bild? Kann man dann alle Wölfe in der Region schießen? Hinzu kommt: Dass der Wolf Menschen gefährden würde, wie von Markus Söder suggeriert wurde, ist durch Fakten in keiner Weise gedeckt.

    Richard Mergner ist der Vorsitzendes des BUND Naturschutz (BN) in Bayern.
    Richard Mergner ist der Vorsitzendes des BUND Naturschutz (BN) in Bayern. Foto: Sven Hoppe

    Felßner: Was die Gefahr für den Menschen angeht, sehe ich die Sache anders. Gerade in den Almgebieten leben die Menschen in Einzelhoflagen. Die Kinder spielen in der Natur oder müssen einen Kilometer bis zum nächsten Hof laufen. Die Menschen lassen ihre Kinder dort nicht mehr raus. Sie haben Angst. Ich halte es deswegen für absolut richtig, dass in der Wolfsverordnung steht, dass Wölfe bei Gefährdung der öffentlichen Sicherheit getötet werden dürfen. Der Wolf muss lernen, wo ein Jagddruck besteht, dann wird er sich da fernhalten. Niemand redet davon, den Wolf ausrotten zu wollen. Aber wir brauchen ein Vorgehen, das es ermöglicht, die Landwirtschaft, die wir wollen, zu betreiben.

    Und ums Geld geht es doch auch.

    Felßner: Ums Geld geht es da gar nicht. Es geht für die Bauern um den Schutz ihrer Tiere. Niemand hat Lust, mit seinen Kindern auf eine Weide zu gehen und Angst haben zu müssen, dass man tote oder halb tote Tiere mit klaffenden Wunden findet. Im Übrigen muss das Leid der gerissenen Tiere endlich ein Ende haben. Auch der psychologische Druck auf die Almbauern, die mit ihren Tieren eng verbunden sind, ist nicht mehr hinnehmbar. 

    Mergner: Was du zur Gefährdung des Menschen sagst, trägt dazu bei, die Angst zu schüren. Ich verstehe, dass Sorgen da sind. Aber durch Fakten ist das nicht gedeckt. Der Wolf ist keine Bestie. Seit der Wolf vor 25 Jahren zurück nach Deutschland kam, wurde noch kein einziger Mensch durch ihn verletzt. Wir romantisieren ihn nicht, aber wir müssen lernen, mit ihm zu leben.

    Wie kann das funktionieren?

    Mergner: Diese Wolfsverordnung ist jedenfalls keine Lösung. Wenn ein Wolf getötet wird, kann er sein Wissen nicht weitergeben. In Frankreich werden 20 Prozent der Wölfe geschossen – die Risse wurden aber nicht weniger. Wölfe lernen aber sehr wohl durch den schmerzhaften Kontakt mit Elektrozäunen, dass sie sich hier fernhalten sollen. Ich wiederhole mich: Wir brauchen einen bestmöglichen Herdenschutz.

    Günther Felßner ist Präsident des Bayerischen Bauernverbandes.
    Günther Felßner ist Präsident des Bayerischen Bauernverbandes. Foto: Bbv

    Felßner: Natürlich kann man wolfssichere Zäune bauen oder mit Herdenschutzhunden arbeiten. Das ist in der Realität aber oft nicht leistbar. Hinzu kommt: Wir bauen wegen einer Tierart Zäune, die auch Biotope trennen –wo wir doch eigentlich Biotope verbinden sollten. Und noch einmal: Wenn Menschen in Angst und Sorge sind, dann kann man nicht einfach sagen: Der Wolf tut nichts. Schauen wir ins Trentino, wo ein Bär einen Jogger getötet hat. Daran sieht man: Ein wildes Raubtier kann Gefahr für Leib und Leben bedeuten. 

    Mergner: Da muss man aber schon festhalten, dass immer wieder Menschen auch von Wildschweinen getötet werden. Das fällt oft unter den Tisch. Einfach zu sagen, der Wolf muss weg, das ist Populismus. Und zu den Zäunen: Bei den Rinderhaltern sind bis auf wenige Gebiete die Weiden bereits eingezäunt. Es müssen also oft gar keine neuen Zäune gebaut werden. Die Zahlen von Landwirtschaftsministerin Kaniber, die von 50.000 Kilometern spricht, sind an den Haaren herbeigezogen.

    Sie sprechen sich beide für die Weidetierhaltung aus. Das Ziel ist das gleiche, nur die Wege scheinen unterschiedlich.

    Mergner: Ja, ich glaube, wir haben viele Gemeinsamkeiten und ja, wir halten die Weidetierhaltung für sinnvoll. Aber wie schon gesagt: Die Risse betreffen fast nur Schafe und Ziegen. Ich will die Probleme nicht kleinreden, aber wir müssen schon schauen, wo sie tatsächlich liegen. Wir können gerne mit dem Bauernverband ein gemeinsames Papier entwickeln, in dem wir festhalten, in welchen Forderungen an die Staatsregierung wir uns einig sind. Es gibt aber natürlich Punkte, bei denen wir auseinander liegen. Nicht schützbare Weideflächen, auf denen eine Entnahme möglich ist, müssten etwa definiert werden. Das ist in der aktuellen Wolfsverordnung nicht der Fall. Da sollen großflächig wolfsfreie Zonen geschaffen werden.

    Felßner: Uns ist es wichtig, eine flächendeckende Beweidung zu ermöglichen. Und ich befürchte, dass immer mehr Landwirte damit aufhören, wenn wir dem Wolf nicht Herr werden. Die Bauern warten auf ein Zeichen von der Naturschutzseite.

    Was für ein Zeichen meinen Sie denn?

    Felßner: Meine erste Forderung wäre, dass wir den Erhaltungszustand der Wolfspopulation feststellen. Wir brauchen dafür eine gute Datengrundlage. Wenn meine Informationen stimmen, haben wir zwischen 2000 und 3000 Wölfe in Deutschland. Wir haben die Schwelle überschritten, wo der Zustand kritisch ist und es einen strengen Schutz braucht. Meine zweite Bitte an den Bund Naturschutz: Ziehen Sie die Klage gegen die neue Wolfsverordnung zurück! 

    Mergner: Ich schlage Günther Felßner ja nur ungern Bitten ab. Aber in der Wolfsverordnung geht es einfach mehr um Symbolik als um Lösungen. Und deswegen muss diese Verordnung massiv überarbeitet werden und deswegen muss geklagt werden. Und was den Erhaltungszustand angeht: In Bayern ist er sicherlich noch nicht gesichert. In anderen Ländern wie etwa in Brandenburg sieht es vielleicht anders aus.

    Wie geht es weiter? Wird die Verordnung wohl einkassiert?

    Felßner: Was ich in dieser Verordnung lese, ist für mich logisch und geprägt von gesundem Menschenverstand. Und wenn da Gesetze des Bundes dagegenstehen, dann muss man die hinterfragen. Es ist doch sinnvoll, dass ein Landratsamt, das die Gegebenheiten vor Ort kennt, die Entscheidungen trifft und nicht ein Ministerium. Ich habe übrigens noch einen Vorschlag. In anderen Ländern gibt es Hirten. Die bayerischen Landwirte aber haben die Kapazitäten leider nicht, jemanden 24 Stunden am Tag zu einer Herde zu stellen. Der Bund Naturschutz favorisiert das Modell – dann machen wir es doch gemeinsam! Wir beweiden die Schafe und die Naturschützer behirten sie. Ihr habt doch einen großen Pool an Freiwilligen.

    Mergner: Wir sind doch nicht im Fasching! Ja, wir haben viele Ehrenamtliche. Und die setzen sich neben ihrem normalen Job für die Natur ein. Unsere Leute haben auch geholfen, Herdenschutzzäune zu bauen. Aber es ist doch klar, dass eine Behirtung Fachkenntnisse braucht. Das ist ein Vorschlag, der populistisch ist. Lasst uns zusammenarbeiten, wenn es darum geht, echte Lösungen zu finden.

    Felßner: Jetzt, wo es Zeit wird, Verantwortung zu übernehmen, ziehst du zurück. Das finde ich schade.

    Gesprächspartner:

    Richard Mergner ist Diplom-Geograf und seit 2018 Vorsitzender des Bund Naturschutz in Bayern, dem nach eigenen Aussagen größten Natur- und Umweltschutzverband im Freistaat.

    Günther Felßner steht seit Herbst 2022 als Präsident an der Spitzen des bayerischen Bauernverbandes. Der studierte Landwirt bewirtschaftet einen Milchviehbetrieb. 

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden