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Interview: Sterbebegleiterin: "Wir haben so große Angst vorm Sterben, dass wir lieber verdrängen"

Interview

Sterbebegleiterin: "Wir haben so große Angst vorm Sterben, dass wir lieber verdrängen"

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    Die Würzburgerin Johanna Klug, geboren 1994, ist Sterbe- und Trauerbegleiterin.
    Die Würzburgerin Johanna Klug, geboren 1994, ist Sterbe- und Trauerbegleiterin. Foto: Thomas Obermeier

    Frau Klug, wie beginnt für Sie Sterbebegleitung? Wie gehen Sie auf einen sterbenden Menschen zu?

    Johanna Klug: Sterbebegleitung beginnt für mich mitten im Leben. Das Allerschlimmste ist für mich, wenn sterbende Menschen nicht mehr als Menschen, sondern als Objekte wahrgenommen werden. Es ist meine Haltung, Sterbenden ganz normal zu begegnen. Wie jedem anderen Menschen eben auch. Es gibt keine Tabus, keine Dinge, die dort nicht sein dürfen. Egal, ob ich auf der Palliativstation bin, im Hospiz oder sterbende oder trauernde Kinder begleite – es ist immer ein neues Sich-Einlassen auf den Menschen. Wie im Leben auch. Was hindert uns also daran, in einen natürlichen Kontakt mit der Endlichkeit zu kommen?

    Die Angst?

    Klug: Wir haben so große Angst vor Sterben und Tod, dass wir lieber verdrängen und tabuisieren, als uns damit auseinanderzusetzen. Doch irgendwann werden wir damit konfrontiert. Wir können dem Tod nicht davonlaufen. Unsere eigene Endlichkeit wird uns dann in aller Überdeutlichkeit gespiegelt.

    Wie stellen Sie selbst sich darauf ein? Oder gehen Sie unmittelbar, unvorbereitet auf einen sterbenden Menschen zu?

    Klug: Als ich auf der Palliativstation angefangen habe, wusste ich nie, welchem Menschen ich gleich begegnen werde. Ich wusste außer dem Namen und manchmal der Diagnose nichts. Das war für mich immer ein kleines Abenteuer – in ein Zimmer zu gehen und nicht zu wissen, was mich jetzt erwartet. Meistens habe ich gesagt "Hallo, ich bin Johanna" – das war's. Ich hatte nie eine Checkliste, nie einen Fragenkatalog. Denn wenn ich mich in einem Konstrukt schon so begrenze, kann ich nicht offen sein für mein Gegenüber. Es gibt keine Checkliste, wie man Sterbenden begegnen kann. Die gibt es für mich übrigens auch nicht für das Leben.

    Johanna Klug sagt: „Sterbebegleitung beginnt mitten im Leben.“
    Johanna Klug sagt: „Sterbebegleitung beginnt mitten im Leben.“ Foto: Norbert Försterling, dpa (Symbolbild)

    Von einem der Sterbenden sind Sie gefragt worden: "Kann man dich auch buchen?" Kommen Sie denn auf Wunsch? Auf Bestellung?

    Klug: Also nicht so wie das Essen bei Lieferando. Aber wenn es jemand ausdrücklich wünscht, komme ich natürlich auch. Im Hospiz bin ich einfach da und manchmal bleibe ich auch länger.

    Sie schreiben in Ihrem Buch, dass der Tod verbindend ist. Dass er uns Menschen verbindet. Trennt er nicht?

    Klug: Der Tod verbindet uns alle. Und am Ende macht er alle Menschen gleich. Gerne wird Sterben und Tod von den Medien als Angst verbreitendes und düsteres Stilmittel verwendet. Angst macht uns klein und begrenzt. Vielmehr sollten die Medien Verantwortung übernehmen, uns zu helfen, mit dem Tod von Menschen aus Familien- und Freundeskreis umzugehen wie auch mit Kriegssituationen – und nicht noch mehr Panik zu verbreiten. So reproduziert sich das Tabu Tod.

    ... das es für Sie nicht gibt?

    Klug: Für mich ist es nicht nur dunkel oder düster. Ganz klar gibt es auch hier wieder viele Facetten. Aber in erster Linie ist Trauer pure Liebe. Denn ich trauere nur um die Menschen, die ich sehr geliebt habe. Das Wissen um diese tiefe Liebe sollte viel stärker verbreitet werden. Wie kann uns Liebe trennen? 

    Was macht es aus, dass Sie neu im Leben des Sterbenden sind?

    Klug: Das ist der große Vorteil in der Begleitung. Dass ich nicht mit einer Vorbelastung aus dem Familiensystem komme. Ich bin nicht die Tochter, ich bin nicht die Freundin. Ich bin einfach als Mensch da, als Johanna. Viele Sterbende erzählen mir Dinge, die sie ihrer Familie nicht erzählen würden – aus Angst, sie zu verletzen, und weil sie nicht wollen, dass sich die Zugehörigen zu viele Sorgen machen. Mir werden sehr viele Lebensgeschichten erzählt. Ich trage sie alle in mir, ohne dass sie für mich zu einem schweren Rucksack werden. Ich werde oft nach Supervision gefragt. Aber ich hatte und habe nie das Gefühl, das zu brauchen. Ich hatte nie das Bedürfnis oder Gefühl, etwas verarbeiten zu müssen, was ich dort mit den Sterbenden durchlebt habe.

    Was ist die größte Angst von Sterbenden?

    Klug: Vergessen zu werden. Dass sich niemand mehr an einen erinnert. Man möchte gesehen werden. Im Leben, im Sterben und auch über den Tod hinaus. "Was bleibt von mir, wenn ich sterbe?" ist eine Frage, die man sich nicht erst im Sterbeprozess stellen sollte.

    Sie hören zu. Stellen Sie Sterbenden auch viele Fragen?

    Klug: Ich stelle Fragen. Weil ich, na ja, neugierig bin, das klingt jetzt frech. Weil ich interessiert bin. Ich frage aus purem Interesse. Die Gespräche entwickeln sich einfach, ich habe da keinen Fahrplan. Ob ich mich mit einer guten Freundin zum Kaffee treffe oder mich mit einem sterbenden Menschen auf der Palli unterhalte – für mich gibt es da keinen großen Unterschied, wie ich mich auf mein Gegenüber einlasse. Es ist mein Anspruch, aufmerksam zu sein. Für mich geht es um die Präsenz und aus einem aufrichtigen Interesse heraus dem Menschen Zeit zu schenken. 

    Mit Blick auf den Untertitel Ihres neuen Buches "Zehn Einsichten Sterbender, die uns erfüllter leben lassen" – was sind die wichtigsten Erkenntnisse und Einsichten?

    Klug: Ich erzähle Geschichten von Menschen. Wenn zehn Menschen diese Geschichten lesen, dann werden sie zehn unterschiedliche Erkenntnisse daraus ziehen. Die Essenz von dem Buch ist: Jeder Mensch interpretiert diese Geschichten anders und zieht seine ganz individuellen Schlüsse. Ich maße mir nicht an, Expertin zu sein, und möchte nichts vorgeben. Ich habe keinen Ratgeber geschrieben, sondern ich gebe Menschen einen Raum für ihr Leben. 

    Und Ihre wichtigste Erkenntnis?

    Klug: Nichts mehr aufschieben! Vertrauen in sich zu haben und der eigenen Intuition zu folgen, dem Impuls nachzugeben – auch wenn man nicht weiß, was einen erwartet. Das Leben wie der Tod ist ein ganz großes Abenteuer. Seitdem ich mich mit Sterben und Tod beschäftige, fühle ich mich erst lebendig.

    Zur Person: Johanna Klug, 28, ist Sterbe- und Trauerbegleiterin. Die Würzburgerin ist ausgebildete Sterbe- und Trauerbegleiterin. 2021 erschien ihr erstes Buch, in ihrem zweiten Buch "Liebe den ersten Tag vom Rest deines Lebens" erzählt sie nun von zehn Sterbenden und deren Einsichten über das Leben.

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