Herr Zulley, zumindest meteorologisch ist der Winter jetzt vorbei. Sollten wir uns denn jetzt ausgeschlafen fühlen?
Jürgen Zulley: Nein, so schnell stellt sich der Mensch nicht um. Wirklich frühlingshaft sind die Temperaturen ja noch nicht. Wenn es dann mal wärmer wird, dann spüren wir auch diese Frühjahrsmüdigkeit.
Warum sind wir denn im Frühling eigentlich so müde?
Zulley: Wir stellen uns im Winter auf die kälteren Temperaturen ein. Unsere Körpertemperatur ist dann auch niedriger. Wenn es im Frühjahr wieder wärmer wird, weiten sich als Reaktion auch die Blutgefäße, der Blutdruck fällt. Wir fühlen uns müde und schlapp. Das ist ein bekanntes Phänomen.
Dann ist die Sache mit der Frühjahrsmüdigkeit also keine Einbildung?
Zulley: Es gibt sie, aber wir Menschen sind ja nicht alle nach der gleichen Seriennummer gebaut. Es gibt wetterfühlige Menschen, die darauf stärker reagieren. Andere dagegen kennen so etwas gar nicht. Meistens dauert es zwischen einer und zwei Wochen, bis sich der Organismus an die wärmeren Temperaturen angepasst hat. Es kann aber auch vorkommen, dass Menschen das mehrfach im Jahr erleben.
Andererseits fühlen wir uns doch zunehmend besser, wenn es länger hell ist, oder?
Zulley: Durch die längere Dunkelheit im Winter wird verstärkt das Hormon Melatonin ausgeschüttet. Das macht uns unter anderem müde und drückt auf unsere Stimmung. Dadurch hatten wir im Winter ein erhöhtes Schlafbedürfnis. Das kippt jetzt langsam. Wenn die Tage länger werden, schlafen wir auch weniger – ich schätze mal so zwischen 30 Minuten und einer Stunde. Auch das kann eine Rolle bei der Frühjahrsmüdigkeit spielen.
Wie viel Schlaf braucht der Mensch denn eigentlich?
Zulley: Auch da sind wir Menschen sehr unterschiedlich. Aber über den Daumen gepeilt kommen wir auf etwa sieben Stunden. Allerdings hängt die Schlafdauer von vielen Faktoren ab. Frauen schlafen mehr als Männer. Und je älter man wird, desto weniger wird der Schlaf. Schlaftechnisch gesehen entwickelt sich der Mensch mit dem Alter wieder in Richtung Säugling. Er schläft nachts weniger und schlechter, dafür aber tagsüber mehr und in Etappen. Manche interpretieren das als Schlafstörung, manchmal ist das aber nur eine altersentsprechende Verschiebung.
Die Zeitumstellung naht, am letzten Märzwochenende werden die Uhren eine Stunde vorgestellt. Haben Sie einen Tipp, wie man da besser durchkommt?
Zulley: Dabei sollte diese unsinnige Uhrenumstellung längst Geschichte sein. Aber das wird wohl nie passieren, weil man sich in Brüssel beim besten Willen nicht einigen kann. Tatsächlich belastet diese Umstellung im Frühjahr unseren Körper mehr als die im Herbst. Am besten steht man schon am Samstag eine halbe Stunde früher auf, verlegt auch die Mahlzeiten um eine halbe Stunde vor und geht abends eine halbe Stunde eher ins Bett. Den Effekt der Umstellung von Winter- auf Sommerzeit merken die meisten sonst erst am Montag: Eine Stunde früher aufzustehen, ist für so manchen ein großes Problem. Man ist nicht so fit, nicht so leistungsfähig, die Unfallgefahr steigt.
Dann klingelt der Wecker, man drückt noch einmal kurz auf die Schlummerfunktion – nur noch fünf Minuten...
Zulley: Beim ersten Klingeln aus dem Bett zu springen, wäre ja auch unfallträchtig. Ich persönlich ordne auch erst einmal meine Gedanken und stehe dann auf.
Aber wie sinnvoll ist denn diese Snooze-Taste?
Zulley: Die würde ich höchstens einmal drücken, um noch kurz zu dösen. Alles andere ist eine Quälerei am Morgen, weil man dann einnickt, wieder geweckt wird, wieder einnickt. Vom Schlaf her bringt das sowieso nichts. Der Schlaf ist am Morgen gar nicht mehr so erholsam, das ist eher ein Problem des Wachwerdens. Und gerade jüngere Menschen haben dann das Problem, dass sie wieder einschlafen und dann vielleicht verschlafen.
Warum gerade die Jüngeren?
Zulley: Das verändert sich mit den Jahren. Kleine Kinder haben noch kein Problem mit dem Aufstehen, viele nerven eher ihre Eltern, weil sie so früh wach sind. Das kippt erst langsam vor der Pubertät, dann werden die Kinder eine gewisse Zeit zu Morgenmuffeln. Sie schlafen gern spät ein und haben morgens Probleme aufzustehen. Bei manchen dauert das viele Jahre, zum Teil Jahrzehnte, bis sie in der Früh wieder leichter aus dem Bett kommen.
Sind wir Deutschen eigentlich ein Volk von Morgenmuffeln?
Zulley: Nein. Die Deutschen stehen eher morgens früh auf im Vergleich zu Menschen aus anderen Ländern. Wir haben das vor Jahren in einer repräsentativen Befragung innerhalb Europas festgestellt. Diese besagt: Die Deutschen stehen um 6.23 Uhr auf, die Engländer um 6.53, die Italiener um 6.56 Uhr und – sehr beeindruckend – die Spanier um 7.36 Uhr. Das hat aber auch damit zu tun, dass im Westen Europas die Sonne später aufgeht. Und: Wir Deutschen gehen im europäischen Vergleich am frühesten ins Bett, im Schnitt um 22.47 Uhr. Langschläfer sind wir damit wirklich nicht.
Zur Person Jürgen Zulley, 77, gilt als einer der renommiertesten Schlafexperten in Deutschland. Seit fast 50 Jahren arbeitet der Professor für Biologische Psychologie auf den Gebieten der Schlafforschung und Chronobiologie. Bis 2010 lehrte er an der Universität Regensburg.