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Interview: Psychologin: "Gestresste Kinder kann die Maske irritieren"

Interview

Psychologin: "Gestresste Kinder kann die Maske irritieren"

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    Manchen Kindern macht es nichts aus, wenn Mama eine Maske trägt. Es gibt aber auch Kinder, die von der Maske irritiert sind.
    Manchen Kindern macht es nichts aus, wenn Mama eine Maske trägt. Es gibt aber auch Kinder, die von der Maske irritiert sind. Foto: Roland Weihra, picture alliance

    Frau Becker-Stoll, auch wenn wir uns mittlerweile an die Maske im Alltag gewöhnt haben, muss es für viele Kinder vermutlich seltsam sein, wenn Menschen ihr Gesicht verdecken. Wie wichtig ist es für Babys und Kleinkinder denn eigentlich, das Gesicht und die Mimik von Erwachsenen zu sehen?

    Fabienne Becker-Stoll: Das ist sehr wichtig. Entscheidend aber ist, dass Kinder die Mimik und das Gesicht von ihren Bezugspersonen und ihren vertrauten Bindungsfiguren sehen. Also Mama, Papa, Oma und Opa. Das kann aber genauso die Bezugserzieherin in der Krippe und im Kindergarten sein oder die Tagesmutter.

    Was passiert, wenn diese Vertrauenspersonen nun eine Maske tragen?

    Becker-Stoll: Das kann sehr kleine Kinder stark irritieren, vor allem dann, wenn sie in einer Situation emotional gestresst sind.

    Zum Beispiel?

    Becker-Stoll: Der zweijährige Paul, der vor einem Jahr schon in die Krippe eingewöhnt wurde, kommt jetzt nach längerer Urlaubszeit in die Kita zurück und wird zu seiner Bezugserzieherin Anna gebracht. Anna muss jetzt aber immer ihren Mund-Nase-Schutz tragen. Der kleine Paul kann sie hinter ihrer Maske aber gar nicht erkennen. Dann ist er unsicher, hat vielleicht sogar Angst und beginnt zu weinen.

    Maskenpflicht: Kinder suchen Blickkontakt zur Bezugsperson

    Wie können Eltern oder Erzieher ihm in dieser Situation helfen?

    Becker-Stoll: Die Kita sollte mit den Eltern vor dem ersten Bringen schon Kontakt aufnehmen und sie auf die Situation vorbereiten. Die Erzieherin könnte zum Beispiel an den kleinen Paul eine Videobotschaft schicken, wo sie ohne Maske zu sehen ist. Vielleicht könnte die Kita die Übergabe im Außenbereich und mit großem Abstand machen. Anna setzt dann kurz ihre Maske ab, damit Paul sie überhaupt wiedererkennen kann. Wichtig ist, dass sie Paul direkt anspricht und spielerisch mit ihm Kontakt aufnimmt. Kleine Kinder können einfach sehr schwierig mit Veränderungen im Gesichtsbereich ihrer Bezugsperson umgehen.

    Also wenn diese eine Maske tragen?

    Becker-Stoll: Ja. Aber zum Beispiel weinen viele Kinder auch, wenn der Papa sich den Bart abrasiert. Oder wenn die Mama eine ganz andere Frisur hat oder sich an Fasching verkleidet. Oder wenn der Nikolaus kommt. Das kann Kinder verstören, besonders in solchen Situationen, in denen sie unsicher sind oder Angst haben.

    Was brauchen sie in solchen Momenten?

    Becker-Stoll: Wir nennen das „social referencing“. Das bedeutet, dass Kinder in unsicheren Situationen den Blickkontakt zu ihrer Bezugsperson suchen. Zum Beispiel am Spielplatz, wenn das Kind zum Karussell geht und den Blick der Mama sucht und beobachtet, wie sie schaut. Wenn die Mama lächelt und nickt, ist alles in Ordnung. Wenn ihre Augen aber groß werden und sie den Kopf schüttelt, dann ist es vielleicht gefährlich.

    Unter Dreijährigen ist die Mimik besonders wichtig

    Und wenn das Gesicht zum Teil verdeckt ist, können Kinder diese Botschaften nicht mehr lesen?

    Becker-Stoll: Genau. Und – vor allem in der Eingewöhnung oder während der Rückkehr in die Kita – brauchen die Kinder das unverhüllte Gesicht, um es überhaupt wieder zu erkennen. Und sie brauchen das entspannte, liebevoll zugewandte Lächeln im Gesicht der Bezugsperson. Das sagt ihnen: Es ist alles gut, es droht keine Gefahr.

    In welchem Alter ist die Mimik der Erwachsenen besonders wichtig fürs Kind?

    Becker-Stoll: Ich würde sagen bei den unter Dreijährigen. Und besonders sensibel sind Kinder zwischen acht und 20 Monaten. Die Vierjährigen haben da sicher kein Problem damit, sie begreifen kognitiv schon viel mehr.

    Wie ist es denn bei Neugeborenen?

    Becker-Stoll: Neugeborene interessieren sich besonders für Gesichter. Ein Beispiel: Es ist so, dass der Abstand zwischen dem Kind, das an der Brust trinkt, und dem Gesicht der Mutter genau so groß ist und genau in dem Bereich liegt, wo das Kind scharf sehen kann. Deshalb ist es so wichtig, dass die Mama sich dem Kind zuwendet und es liebevoll anschaut – und zum Beispiel nicht aufs Smartphone blickt.

    Psychologin: Auch andere Signale sind wichtig

    Was lernen Babys und Kleinkinder mithilfe von Gesichtern und Mimik, das für die spätere Entwicklung eine Rolle spielt?

    Becker-Stoll: Das sind zum Beispiel Dinge wie die non-verbale Kommunikation, die Regelung von Stresssituationen und die Mundbewegungen beim Sprechen.

    Wenn das Gesicht durch eine Maske verdeckt ist, kann das also auch zu Problemen führen, wenn Kinder noch nicht sprechen können?

    Becker-Stoll: Ja, absolut. Sie lernen ja erst die Sprache. Zum Sprechenlernen gehört es für die Kleinen dazu, sich ganz genau anzuschauen, wie ihre Bezugspersonen den Mund bewegen. Sie schauen sich das von den Lippen ab. Wenn der Mund nicht zu sehen ist, dann tun sie sich viel schwerer.

    Welche anderen Signale sind denn ebenfalls wichtig?

    Becker-Stoll: Zum Beispiel das Kopfschütteln, wenn wir Nein sagen. Oder das Augenaufreißen, wenn wir uns erschrecken. Wenn das Kind zum Beispiel hinfällt und sich wehtut, dann sucht es das Gesicht der Erzieherin. Und sie trägt eine Maske und das Kind erkennt sie gar nicht. Dann weiß das Kind gar nicht, wie es die Situation einschätzen soll. Da müssen die Bezugserzieherinnen ganz besonders aufmerksam und liebevoll sein und verstehen, dass die Kleinen sich nicht so gut orientieren können.

    Wie schnell gewöhnen sich denn die Kinder an die Maske im Alltag?

    Becker-Stoll: Unserer Erfahrung nach geht das relativ schnell. Aber in unsicheren, traurigen oder furchteinflößenden Momenten muss man einfach noch aufmerksamer sein und Verständnis haben. Man muss noch mehr auf die Kleinen zugehen und sehr feinfühlig sein. In Stresssituationen braucht es noch mehr Entgegenkommen.

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