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Interview: Polizeiseelsorger: Polizisten gestehen sich heute öfter Angst ein

Interview

Polizeiseelsorger: Polizisten gestehen sich heute öfter Angst ein

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    Andreas Simbeck hat stets ein offenes Ohr für die Sorgen und Probleme der Polizistinnen und Polizisten.
    Andreas Simbeck hat stets ein offenes Ohr für die Sorgen und Probleme der Polizistinnen und Polizisten. Foto: Bayerische Bereitschaftspolizei

    Herr Simbeck, als Bayerischer Landespolizeidekan koordinieren Sie seit 2004 die Katholische Polizeiseelsorge im Freistaat. Was dachten Sie, als Sie die Bilder aus Stuttgart sahen, wo Randalierer überaus brutal gegen Polizeibeamte vorgingen?

    Andreas Simbeck: Unmöglich, schrecklich! Warum nur?

    Sie haben viel Kontakt zu Polizisten und Polizeiangestellten. Wie haben diese die Bilder aus Stuttgart aufgenommen?

    Simbeck: Ich bin mir sicher, dass keiner von ihnen solche Bilder und Vorkommnisse toll findet.

    Nun gibt es Gewalt gegen Polizisten auch in Bayern. Würden Sie sagen, hier hat sich in den vergangenen Jahren etwas verändert? Ist die Hemmschwelle gesunken, Polizisten verbal oder physisch anzugreifen?

    Simbeck: Ja, in jedem Fall. Gewalt gegen Polizisten ist leider zu einem sehr großen Thema geworden.

    Woran liegt das?

    Simbeck: Meiner Meinung nach liegt es daran, dass sowohl die Autorität – oder sagen wir besser: die Achtung voreinander –, als auch die Hemmschwelle, Gewalt anzuwenden, gesunken sind. Wir haben leider einen Werteverfall in unserer Gesellschaft zu beklagen.

    Ist Gewalt gegen Polizisten oft Thema, wenn Sie als Seelsorger um Hilfe oder Rat gebeten werden?

    Simbeck: Ja, schon – in vielen Gesprächen. Interessanterweise ist es mehr die verbale Gewalt, die thematisiert wird. Beschimpft zu werden, verbalen Attacken ausgeliefert zu sein, Menschenverachtendes zu lesen oder zu hören, das tut oft mehr weh.

    Sagen Polizisten Ihnen auch schon mal, dass Sie Angst haben – vor einem Einsatz, vor Beschimpfungen, vor Verletzungen?

    Simbeck: Wenn über das Thema „Angst“ gesprochen wird, dann meist nur unter vier Augen. Normalerweise haben Polizisten keine Angst, sagen sie in der Öffentlichkeit oder in der Gruppe. Sich persönlich Angst einzugestehen und auch im geschützten Raum darüber zu reden, kommt mittlerweile häufiger vor. Das ist auch gut so.

    Auf der einen Seite gibt es den Spruch: „Die Polizei, dein Freund und Helfer.“ Auf der anderen Seite gelten Polizisten in bestimmten Kreisen als Feindbild. Wie hat sich das öffentliche Bild des Polizisten in den vergangenen Jahren verändert?

    Simbeck: Ich weiß nicht, ob sich da etwas verändert hat. Beide Seiten konnte man immer schon wahrnehmen. Natürlich gibt es einige, die vor allem in den sozialen Netzwerken die Polizei als ihren Feind sehen. Ich stelle aber Gott sei Dank auch fest, dass viele die hervorragende Arbeit der Polizei schätzen, sich sicher fühlen und dankbar für ihre Präsenz sind.

    In einer umstrittenen, satirisch gemeinten taz-Kolumne legte die Autorin Polizisten als künftiges Betätigungsfeld „die Mülldeponie“ nahe. Was halten Sie davon?

    Simbeck: Das ist eine ausgesprochene Unverschämtheit. Da fehlen mir die Worte. Satire hin oder her – das gehört sich nicht. Hier wurde eindeutig eine Grenze überschritten. Und das hat auch nichts mit Pressefreiheit zu tun. Denn das Recht auf Presse- und Meinungsfreiheit beinhaltet immer auch die Pflicht auf die Einhaltung der Menschenwürde, die ich hier eindeutig verletzt sehe. Wenn es juristisch etwas bringt, was ich nicht einzuschätzen vermag, soll der Bundesinnenminister seine Ankündigung wahr machen und die Autorin anzeigen. Das wäre ein starkes Zeichen. Sehr gut finde ich, dass sich unser Bundespräsident eindeutig und unmissverständlich dagegen positioniert hat.

    Wissen Sie, wie die Kolumne bei Polizisten ankam?

    Simbeck: Sicherlich nicht gut. Ein Polizist sagte mir dazu: „Das macht mich wütend und traurig.“

    Was macht das noch mit Polizisten, wenn sie öffentlich nicht nur – im Wortsinn – den Kopf hinhalten müssen, sondern öffentlich auch noch heftig kritisiert oder beschimpft werden, etwa in einer Zeitungskolumne?

    Simbeck: Das kann nur frustrierend sein. Keine Polizistin und kein Polizist werden sich darüber freuen. Darum ist es wichtig und unerlässlich, dass die Politik hinter ihrer Polizei steht. Bei uns in Bayern ist das der Fall, und das wissen die Polizisten auch zu schätzen.

    Was sagen Sie einer Polizistin, einem Polizisten, die oder der sich über heftige öffentliche Kritik ärgert? Wie können Sie da helfen?

    Simbeck: Wenn wir im berufsethischen Unterricht – im Rahmen der Ausbildung – darüber sprechen, dann stelle ich immer die Frage: „Gegen wen oder besser gesagt gegen was richtet sich denn solch eine Aggression, Gewalt?“ Es ist doch nie die konkrete Person, sondern immer nur die Uniform, das Hoheitsabzeichen, der Staat… Und trotzdem tut es der Person weh, die in der Uniform steckt, den Staat repräsentiert beziehungsweise in dessen Auftrag handelt und einschreitet.

    In der taz-Kolumne heißt es auch, dass „der Anteil an autoritären Persönlichkeiten und solchen mit Fascho-Mindset in dieser Berufsgruppe überdurchschnittlich hoch“ sei. Wie erleben Sie das? Hat die Polizei tatsächlich ein größeres Problem mit Faschisten oder Rassisten in den eigenen Reihen?

    Simbeck: Nein, entschieden nein! Natürlich gibt es in den Reihen der Polizei auch die sogenannten schwarzen Schafe. Wenn sie bemerkt werden, wird dagegen vorgegangen. Null Toleranz – das hat sich die Polizeiführung auf ihre Fahnen geschrieben, und wir weisen im berufsethischen Unterricht immer auch darauf hin.

    So wie es Gewalt gegen Polizisten gibt, gibt es auch Fälle von Polizeigewalt. Wie kommt es dazu, und was können Sie dagegen tun?

    Simbeck: Polizei ist ein Spiegel der Gesellschaft. In ihr gibt es nichts, was nicht auch in der Gesellschaft vorkommt. Wie ich schon sagte: Wir unterrichten in Aus- und Fortbildung das Fach „Berufsethik“ und diskutieren über all diese Themen und Fragestellungen. Der entscheidende Punkt ist immer: Wie gehen wir miteinander um? Polizisten untereinander, Polizisten mit den Bürgern – mit denen, die der Hilfe bedürfen, wie auch mit jenen, die Probleme bereiten.

    Zur Person: Andreas Simbeck wurde 1962 in München geboren und 1987 in Freising zum katholischen Priester geweiht. Bayerischer Landespolizeidekan ist er seit dem Jahr 2004. Katholische wie evangelische Polizeiseelsorger stehen Polizeibeamten bei schwierigen Einsätzen zur Seite und helfen ihnen bei dienstlichen oder privaten Problemen. Die katholische Kirche betont, dass Polizeiseelsorger zwar „auf dem Hintergrund ihres Glaubens, aber unabhängig von konfessioneller oder religiöser Bindung der Angehörigen der Polizei“ ihre Hilfe anbieten. Bundesweit arbeiten zurzeit etwa 87 Frauen und Männer als katholische und etwa 50 als evangelische Polizeiseelsorgerinnen und -seelsorger in den Länderpolizeien. Auch für die Bundespolizei gibt es eine Polizeiseelsorge mit zwölf (katholisch) beziehungsweise 13 (evangelisch) Seelsorgerinnen und Seelsorgern.

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