Herr Schießler, sind Sie ein guter Geschichtenerzähler?
Rainer Maria Schießler: Das ist meine Stärke. Meine Lesungen zum Beispiel, die sind eine Mischung aus Vortrag und Kabarett. Ich glaube, dass man als Pfarrer Geschichten erzählen können muss – unsere Vorfahren, die Evangelisten, waren schließlich auch Geschichtenerzähler.
Die katholische Kirche hat eine Geschichte, die seit Jahrhunderten weitererzählt wird: die Weihnachtsgeschichte.
Schießler: Und die prägt mich seit meiner Kindheit. Weihnachten war in den ersten Jahrhunderten nach Christus ein Fest, das zu Hause begangen wurde. Erst als Christen nicht mehr verfolgt wurden, kam es in die Kirche. Aber diese Feier an Heiligabend zu Hause, das ist die Urform der Weihnachtsfeier: Aus dem Wohnzimmer wurde sozusagen ein sakraler Raum.
Gibt es etwas, worauf Sie besonders achten in den Weihnachtsgottesdiensten?
Schießler: Ich weiß, dass viele Menschen nur an Weihnachten in die Kirche kommen – und das ist keine Kritik, das ist in Ordnung. Für mich als Pfarrer heißt das aber, dass ich nicht erwarten darf, dass jeder predigterfahren ist. Oder dass da eine eingespielte Truppe vor mir sitzt. An Weihnachten sind Leute im Gottesdienst, die – auf Deutsch gesagt – von nichts eine Ahnung haben.
Wann man sitzt, steht, kniet? Was man wann sagt?
Schießler: Ja, dennoch sollen sie erfahren, dass sie willkommen sind. Alle sollen sich wohlfühlen. Übrigens haben wir bei uns in der Kirche keine Bänke mehr, sondern nur noch Stühle. Damit erübrigt sich der klerikale Trimm-dich aus Sitzen, Stehen und Knien. Bei uns ist’s eigentlich wie im Theater, mit den Höhepunkten Frohe Botschaft und Vaterunser.
Sie fühlen sich wie im Theater? Wie ein Schauspieler?
Schießler: Auch. Ich schauspielere sowieso gerne, deshalb bin ich in der Serie „Dahoam is Dahoam“ immer wieder mit dabei. Als Pfarrer musst du sogar in gewisser Weise ein Schauspieler sein: Du repräsentierst Christus, du leihst ihm deine Stimme, deine Mimik, deinen Körper, du leihst ihm alles. Daran erinnert das Glockenkasel, das Priester in früheren Zeiten trugen.
Was ist das?
Schießler: Ein Messgewand, das den Priester ganz umhüllte, bloß der Kopf schaute raus. Ähnlich sah meine Mama aus, wenn sie sich am See in einer tragbaren Stoffumkleidekabine umzog fürs Schwimmen.
Haben Sie eigentlich an Weihnachten noch „Verkündigungstestosteron“, wie Sie das mal nannten?
Schießler: Moderner könnte man sagen: Du musst geil auf Predigen sein. Das bin ich. Der Ruderer Oliver Zeidler, der dieses Jahr in Paris Olympia-Gold holte, erzählte: Er habe sich in den Einer gehockt und genau gewusst, er rockt das Ding. Solche Momente hab ich auch manchmal. Da weiß ich: Ich geh in die Kirch und es wird der Hammer. Ich rock die jetzt alle! Das ist Verkündigungstestosteron. Ich bin überzeugt: Der Apostel Paulus hatte das auch. Sonst wär er nie auf 1 Kor 13 gekommen.
Den Korintherbrief, das „Hohelied der Liebe“: „Wenn ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete, / hätte aber die Liebe nicht, / wäre ich dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke.“
Schießler: Genau.
Wie verbringen Sie die Stunden vor der Christmette an Heiligabend?
Schießler: Allein. Ich möchte nicht abgelenkt werden. Ich höre gute Musik und esse was Einfaches, wie in meiner Kindheit. Mama nannte es „Hirtenmahl“. Würschtl und Kraut also. Alkohol geht kaum, du musst ja fit sein.
Und nach der Christmette?
Schießler: Gibt es bei uns eine Christmas-Party. Das geht auf meine Kaplanszeit in Rosenheim zurück. Dort hatten wir den Brauch des „Mettenwürscht“-Essens. Der Pfarrer lud die Ministranten nach der Mette so gegen Mitternacht in den Pfarrhof zum Weißwurstessen ein. Das ist der einzige Tag im Jahr, an dem die Weißwürscht nach zwölf Uhr gegessen werden dürfen. In München haben wir irgendwann gesagt: Laden wir alle ein! In der Kirche gibt es eine Bar mit Glühwein, Bier und Sekt – und die Leute bleiben. Weil das Bedürfnis groß ist, sich zu begegnen.
Klingt stressig für Sie als Pfarrer.
Schießler: Ich bleib nicht so lang, ich muss am 25. Dezember ja früh raus. Gottesdienste zu feiern, ist für mich kein Stress. Stressig wäre es für mich, wenn ich nichts zu sagen hätte, wenn ich keine Botschaft hätte. Manchmal weiß ich: Ich bin nicht gut drauf und muss mich durch die Predigt durchlavieren. An Weihnachten darf das natürlich nicht passieren. Ich möchte, dass die Leute aus dem Gottesdienst gehen und sagen: Das war schön. Wir reden ständig darüber, dass die Kirche Menschen, die nicht in ihr beheimatet sind, besser ansprechen müsse, dass wir andere Gottesdienstformen bräuchten. Dabei geht es recht einfach: mit schöner Musik, Liedern, Gesängen, mit einer feierlichen Stimmung und Begegnungsmöglichkeiten, die man schafft.
Wie erklären Sie Kindern, dass es ein Geschenke bringendes Wesen namens Christkind, das man nie „auf frischer Tat“ erwischt, gar nicht gibt?
Schießler: Mir ist wichtig, Kindern zu sagen: Es gibt mit Gott jemanden, der euch unglaublich lieb hat und der möchte, dass ihr das spüren könnt. Und: Das Kind, in dem er als Mensch an Weihnachten zur Welt kam, ist das größte Geschenk. Zu wissen, dass man geliebt wird – das ist das größte Geschenk. Wer es nicht bekommen hat, kann nicht lieben. Ich bin überzeugt davon, dass das das Grundproblem des russischen Kriegsherrn Wladimir Putin ist. Wie sonst kann jemand so grausam sein? Ich glaube: Putin fühlt sich nicht geliebt.
Lagen in Ihrer Kindheit Geschenkpäckchen unterm Christbaum?
Schießler: Klar. Nur: Es war nicht so wichtig. Die Bedeutung der Geschenke hat mir Mama am Beispiel einer Nuss erklärt. Es gehe nicht darum, Waren auszutauschen, sondern um die Überraschung. Eine Nuss hat eine harte Schale, man kann mit ihr nichts anfangen und hat keine Vorstellung davon, was in ihrem Innern ist. Wenn sie geknackt ist, kommt aber etwas Wunderbares zum Vorschein. Man hat den Hirten gesagt, sie würden den Heiland finden. Und was fanden sie? Ein kleines Kind in der Krippe. Das war ein wirklich wunderbares Geschenk. Mama sagte auch, dass Weihnachtsgeschenke schön verpackt sein müssen.
Warum?
Schießler: Das sei „Liebe, in Windeln gewickelt“. Sie bezog sich auf das Lukas-Evangelium: „Und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war.“ Durch unseren liebevollen Umgang mit anderen können wir so viel Gutes tun.
Sie sind in einer Dreizimmerwohnung im Münchner Stadtteil Laim groß geworden, dritter Stock, Nachkriegssiedlung. Sie beschreiben sie als „Höhle der Liebe“.
Schießler: Und das war sie besonders an Weihnachten. Wir waren nicht reich und hatten trotzdem alles. Am wichtigsten war uns die Krippe – und der wichtigste Teil der Krippe war ein Stein.
Nicht das Jesulein?
Schießler: Mein Vater hat immer einen Stein in die Krippe gelegt. Denn er ist der älteste Zeuge der Geburt Christi, meinte er. Meine Eltern waren einfache Leute, ihre Frömmigkeit war es auch. Sie war nicht gespielt oder überbordend, sie war einfach da. Sie gaben sie mir und meinem Bruder mit wie ein gutes Schuhwerk, in dem wir selber die ersten Schritte im Glauben machen konnten.
Wären Sie Familienvater geworden: Welche Botschaft hätten Sie Ihren Kindern mit auf den Lebensweg gegeben?
Schießler: Die erste wichtige Botschaft ist der Name. Hätte ich ein Mädchen, sie würde Anastasia heißen. Das bedeutet „Auferstehung“. Einen Jungen hätte ich Linus genannt. Und mein größter Wunsch als Vater wäre es gewesen, dass sie als Erwachsene zu mir gesagt hätten: „Papa, ihr habt gute Namen ausgesucht!“ Das wäre ein großes Geschenk für mich gewesen.
In Ihrem aktuellen Buch „Ja, es ist Weihnachten!“ geht es an vielen Stellen um das Sterben und den Tod.
Schießler: Ich habe ein paar tragische Geschichten in der Weihnachtszeit erlebt. Ich schreibe über sie, weil ich glaube: Der Tod ist der Moment, in den Christus hineingeboren wird. Christus ist uns gerade in unserer Todesstunde nah.
Mich hat die Geschichte über Anna-Viktoria berührt. Sie litt unter einem seltenen Gendefekt und war schwerbehindert. Eines Tages, Mitte Dezember, rief Sie der Vater des Mädchens an, für die letzte Ölung.
Schießler: Diese Geschichte war Vorbild für eine Folge der Bogner-Serie, die auf Erlebnissen von mir basiert: „Himmel, Herrgott, Sakrament“.
Die Folge handelt von einer Dreijährigen, die von Geburt an im Koma liegt. Die an Sie angelehnte Pfarrerfigur gerät angesichts des Schicksals der Familie in eine Krise und zweifelt ihre Berufung an.
Schießler: Da wurde natürlich vieles verfremdet und verändert. Ich erinnere mich noch gut: Es waren Dreharbeiten für „München 7“, eine andere Serie von Franz Xaver Bogner. Ich erzählte ihm, dass ich tags zuvor bei Anna-Viktoria im Krankenhaus war. Wie ich mitternachts im Freien stand und gen Himmel gesagt habe: „Was erlaubst du dir!“ An meiner Berufung als Pfarrer habe ich nicht gezweifelt, an meinem Herrgott schon. Ich kniete vor der Kleinen, ich konnte nicht mehr sprechen. Ich habe geheult. Ich hätte ausflippen können. Dann hab ich eine Kerze angezündet. Ihren Eltern konnte ich nur sagen, welch großen Respekt ich vor ihnen habe. Sie waren so gefasst und liebevoll. Das Krankenhaus habe ich fluchtartig verlassen. An einem 22. Dezember wurde Anna-Viktoria beerdigt. Es kamen Hunderte Leute – und es war versöhnlich. Wir konnten Abschied nehmen. Ihre Mutter, und das ist wie ein Wunder, ist nicht zerbrochen. Sie war zuvor bereits sehr gläubig, später wurde sie Religionslehrerin.
Die Serie soll eine zweite Staffel bekommen.
Schießler: Die Drehbücher sind geschrieben, ich hoffe, dass ab Frühjahr gedreht werden kann.
Haben Sie mit Ihrem Erzbischof, Reinhard Kardinal Marx, über die Serie gesprochen? Immerhin landet der fiktive Pfarrer am Ende mit einer Frau im Bett.
Schießler: Ich hab ihn mal auf die Serie angesprochen. „Ihr Pendant, der Fernseh-Bischof, boxt“, habe ich gesagt. Ob das nichts für ihn wäre? Seine Antwort war, dass er die Serie nicht gesehen habe. Allerdings: Es ist alles mit dem Ordinariat abgestimmt. Ohne den Segen der Münchner Kirchenverantwortlichen wird nicht gedreht. Es wurde ja auch in Kirchen gefilmt. Da wollten sie die Drehbücher sehen. Sie wussten also alles, den Schluss inbegriffen. Bogner hat ihn so begründet – 90 Prozent der Katholiken würden sagen: Lasst's die Pfarrer heiraten, das ist was Normales. Er wollte ein Bild einer Zukunft malen, in der katholische Priester nicht zwangsweise im Zölibat leben müssen.
Wie wird die Serie weitergehen?
Schießler: Ich kann verraten, dass der Vater des Pfarrers heiraten wird, und dass sich die beiden deswegen streiten.
Wie in Ihrem Leben?
Schießler: Meine Mutter ist 1981 gestorben, ein paar Jahre danach lernte mein Vater wieder eine Frau kennen. Ihm ging es nicht darum, nochmals zu heiraten. Und ich hatte nie ein Problem damit, dass er eine neue Partnerin hatte. In der ersten Staffel spielte Sigi Zimmerschied den Vater des Pfarrers. Als ich im vergangenen Jahr den Sigi vor der Ausstrahlung traf, ging der auf mich zu und sagte: „Du, ich bin frei dei Vadder.“
Mit dem ersten Advent hat das neue Kirchenjahr begonnen. Was wünschen Sie sich für die Kirche?
Schießler: Fairness. Und zwar Fairness meiner Kirche gegenüber. Ich kann nichts mehr damit anfangen, dass an die Kirche der Maßstab angelegt wird, sie müsse perfekt sein. Es gibt nichts Perfektes, es gibt kein Idyll. Das ist schon in der Weihnachtsgeschichte so. Wenn mich was stört an der Kirche, dann misch ich sie halt auf und drisch nicht auf sie ein! Verantwortung übernehmen, nicht immer nur fordern – so halte ich das.
Und was wünschen Sie sich für den Bundestagswahlkampf?
Schießler: Der wird nach Weihnachten richtig losgehen. Hier wünsche ich mir Ehrlichkeit. Ich kann nicht nachvollziehen, dass nach dem Bruch der Ampel die drei bisher prägenden Politiker – Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner – wieder zur Wahl stehen. Man kann doch nicht sagen: Ich hab den Karren in den Dreck gefahren, aber jetzt wählt mich bitteschön! Als der Missbrauchsskandal in Reihen der Kirche in Deutschland immer größer wurde, hätte man sich die chilenische Bischofskonferenz zum Vorbild nehmen müssen: Alle Bischöfe boten dem Papst ihren Rücktritt an, damit unbescholtene Leute neu beginnen können. Vielleicht stünde die katholische Kirche in Deutschland heute anders da, hätte sie es auch so gehalten. Von der Politik jedenfalls hätte ich mir Ähnliches erwartet, nämlich dass ein Scholz, ein Lindner, ein Habeck gesagt hätte: Wir hatten unsere Chance, sucht euch andere. Wir sind nicht die einzigen Heilsbringer!
Zur Person
Rainer Maria Schießler, geboren am 7. Oktober 1960 in München, ist katholischer Pfarrer von St. Maximilian München. Durch seine Bücher und Fernsehauftritte wurde er einem großen Publikum bekannt. Sein Buch „Ja, es ist Weihnachten! Meine schönsten Geschichten zum Fest aller Feste“ ist im Kösel-Verlag erschienen (240 Seiten, 18 Euro).
In der Kirche von Pfarrer Schießler finde ich die Stühle am besten .. was war das für eine Qual mit der Rückenbank die einen ins Kreuz drückte und beim knien das harte Holz.. es war als würden man in einer Strafbank sitzen.. Ich denke man muss als Pfarrer /In einen ungebrochenen Willen und Glauben haben um Gott, der Kirche und den Menschen von heute zu Dienen und Vertrauen.. Ich mag an Weihnachten die schönen Lieder und die Ruhe.. und bin tatsächlich auch gerne alleine an diesem Tag. Liebe Weihnachtsgrüße an den wunderbaren Pfarrer Schießler..
Dieser Mann ist eher peinlich und gewiß keine Zierde für seine Profession! Wer sagt "Putin wäre so weil er sich nicht geliebt fühle" , der hat ( wie sagt man in Deutschland) das mit dem Tassen und dem Schrank!
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