Herr Bedford-Strohm, seit der tödlichen Attacke auf dem Augsburger Königsplatz scheint der gesellschaftliche Frieden in der Friedensstadt Augsburg gestört. Polizei, Justiz, Medien, der Oberbürgermeister erlebten eine Welle des Hasses...
Heinrich Bedford-Strohm: Zunächst einmal will ich an dieser Stelle meine Anteilnahme an die Hinterbliebenen des Opfers ausdrücken.
Ein 49-jähriger Passant, der am Nikolaustag aus einer Gruppe junger Männer mit Migrationshintergrund heraus angegriffen wurde – und durch einen Faustschlag starb.
Bedford-Strohm: Ja, erschütternd. Wie in allen anderen Fällen muss man hier aufklären und die Täter zur Rechenschaft ziehen. Man muss sich überlegen, wie man solche Taten verhindern kann. Und man muss auf das gesamtgesellschaftliche Klima achten. Fälle wie der vom Augsburger Königsplatz werden leider instrumentalisiert von Gruppen, denen es überhaupt nicht um den Einzelfall geht. Sie wollen damit Politik machen, wollen gegen Ausländer Stimmung machen. Das verurteile ich in aller Klarheit.
Wie erklären Sie sich Hass und Hetze, vor allem in sozialen Medien?
Bedford-Strohm: Es geht hier um emotionale Themen, dabei zeigt etwa die Kriminalstatistik insgesamt einen Rückgang der Straftaten. Es werden aber Ängste geschürt, die vielen Menschen ein Gefühl der Unsicherheit geben.
EKD-Chef: "Soziale Netzwerke sind zum Schutzraum für Hetzer geworden"
Sie feierten mit jungen Strafgefangenen in der Justizvollzugsanstalt in Neuburg-Herrenwörth einen Weihnachtsgottesdienst. Welche Botschaft hätten Sie für die sieben Tatverdächtigen vom Augsburger Königsplatz?
Bedford-Strohm: Ich habe in der Justizvollzugsanstalt in Neuburg nicht in erster Linie Täter erlebt, sondern Menschen. Sie führten ein Krippenspiel auf, und das hat mich sehr berührt. Sie müssen für ihre Taten bestraft werden. Aber wir müssen sie gleichzeitig immer als Menschen sehen. Das ist dann auch der Weg, der in die Zukunft führt: Ausbildung, intensive Betreuung in der Haft. 50 Prozent der jugendlichen Straftäter dort werden später nicht mehr straffällig.
Sie sprechen sich immer wieder gegen Hass und Hetze im Netz aus. Haben Sie schon Morddrohungen erhalten?
Bedford-Strohm: Ja, das war der Fall. Vor allem im Zusammenhang mit meinem Engagement in der Seenotrettung von Flüchtlingen habe ich recht konkrete Drohungen erhalten. Ich nehme sie nicht sehr ernst.
WDR-Mitarbeitern wurde Ende 2019 mit Mord gedroht nach der Veröffentlichung des satirisch gedachten "Oma ist ’ne alte Umweltsau“-Kinderliedes.
Bedford-Strohm: Ich bin selber Opa und ich habe mich durch dieses Lied des WDR-Kinderchors in keiner Weise angegriffen gefühlt. Völlig unabhängig davon, wie man das satirisch gemeinte Lied beurteilen mag, sind die Morddrohungen gegen die WDR-Mitarbeiter in keinem Fall hinnehmbar. Daher ist es auch so wichtig, dass solche Drohungen von der Polizei verfolgt werden, selbst wenn vieles nicht zu Ergebnissen führen sollte. Soziale Netzwerke sind zum Schutzraum für Hetzer geworden, das kann nicht sein.
Wie groß ist das Problem? Auf Twitter etwa ist nur ein geringer Prozentsatz der Deutschen aktiv.
Bedford-Strohm: Es ist ein relevantes gesamtgesellschaftliches Problem. Twitter ist das eine, das andere ist Facebook, das weltweit Milliarden nutzen. Menschen stacheln sich im Netz gegenseitig an und werden immun gegen andere Meinungen. Menschen, die dort hetzen, bekommen das Gefühl, dass ihre menschenfeindlichen Äußerungen salonfähig sind – zumindest in den Filterblasen, in denen sie sich bewegen. Daher sind soziale Medien häufig Katalysatoren für eine Art des Umgangs miteinander, die inakzeptabel ist. Wir sind gegenwärtig in einer Phase, in der wir Normen und Regeln, die mit diesen neuen Technologien verbunden sein müssen, noch nicht wirklich entwickelt haben.
Sie forderten erst kürzlich Regeln für die Verbreitung von Inhalten im Internet. Wie genau stellen Sie sich das vor?
Bedford-Strohm: Das beginnt schon bei denen, die die Algorithmen entwickeln – also etwa die Programme dafür, was in sozialen Netzwerken auf welche Weise dargestellt wird. Es braucht eine Ethik für Programmierer ähnlich der für Ärzte. Es braucht mehr Angebote, die die Medienkompetenz stärken. Denkbar wären etwa pluralistisch zusammengesetzte, unabhängige Kontrollgremien für die sozialen Medien – analog den Rundfunkräten, die es im öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland gibt.
Kritiker werden dadurch Einschnitte der Meinungsfreiheit befürchten.
Bedford-Strohm: Hass ist keine Meinung. Überall, wo die Verächtlichmachung und Sabotage der Menschenwürde öffentlich propagiert wird, kann man sich nicht auf die Meinungsfreiheit berufen. Und das will ich hier deutlich sagen: Ja, wir haben Meinungsfreiheit, und die ist ein hohes Gut, mit dem wir sorgfältig umgehen. Rassistische, antisemitische oder anderswie pauschal menschenfeindliche Äußerungen lassen sich aber nicht unter Berufung auf die Meinungsfreiheit rechtfertigen.
Ihre Forderung nach einer Regulierung sozialer Medien ist eine politische. Muss sich die evangelische Kirche derart in die Tagespolitik einmischen?
Bedford-Strohm: Wenn es um die Menschenwürde geht, müssen wir uns natürlich am Diskurs beteiligen! Wir wären doch nicht glaubwürdig, würden wir unsere christlichen Überzeugungen nur auf den privaten Raum beziehen.
Bedford-Strohm erhielt Morddrohungen wegen seines Engagements für Flüchtlinge
Sie reden nicht nur, Sie handeln auch – etwa, indem Anfang Dezember auf Initiative der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) das Bündnis "United4Rescue“ gegründet wurde. Es will der Organisation Sea-Watch ein weiteres Schiff zur Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer zur Verfügung stellen. Wann wird die Poseidon auslaufen können?
Bedford-Strohm: So weit ist es leider noch nicht. Im Moment werben wir unter anderem auf united4rescue.com noch um Spenden, um die Poseidon oder ein anderes Schiff kaufen zu können. Aber es geht nicht nur um ein Schiff. Es geht darum, die zivile Seenotrettung zu unterstützen, solange die europäischen Staaten ihre Pflicht schuldig bleiben, Menschen zu retten. Eigentlich ist das eine staatliche Aufgabe. Die staatliche Seenotrettung muss endlich wieder aufgenommen werden. Und es muss endlich einen funktionierenden Verteilmechanismus für Flüchtlinge in Europa geben.
Ihr Engagement hat Ihnen harsche Kritik eingebracht: Sie würden zum politischen Aktivisten.
Bedford-Strohm: Es gibt zugleich große Unterstützung von vielen Seiten. Unser Handeln ist aber nicht abhängig vom Maß der Kritik oder Zustimmung. Das hat nichts mit politischem Aktivismus zu tun, sondern mit dem Kern christlichen Glaubens und Handelns. Kirche und Diakonie haben eine Gesamtstrategie zur Unterstützung von Menschen in Not, zu der natürlich auch die Bekämpfung der Fluchtursachen gehört. Aber wir können doch die Leute im Mittelmeer nicht ertrinken lassen! Übrigens sind es nur vergleichsweise wenige Menschen, die sich auf den Weg übers Mittelmeer begeben.
Seit Jahren versagt die Politik bei der Verteilung der Flüchtlinge?
Bedford-Strohm: Man muss fairerweise sagen, dass sich etwas bewegt hat. Als ich Anfang Juni 2019 die Crew der Sea-Watch in Sizilien besuchte, war die Kriminalisierung der Seenotretter in Italien noch gravierend. Inzwischen gibt es dort eine neue Regierung. Und auch Bundesinnenminister Horst Seehofer hat sich das Thema eines europäischen Verteilmechanismus zu eigen gemacht. Ich unterstütze ihn sehr in seinem Vorhaben, dass er von anderen Ländern entsprechende Zusagen bekommt. Wir dürfen aber nicht tatenlos warten, bis sich Europa geeinigt hat, wir müssen jetzt handeln.
Was aber ist, wenn Ihr Schiff beschlagnahmt wird wie die "Sea-Watch 3“? Was, wenn Besatzungsmitglieder festgenommen werden wie Kapitänin Carola Rackete?
Bedford-Strohm: Dann wird sich das breite gesellschaftliche Bündnis, das hinter dem Schiff steht, und mit ihm die evangelische Kirche sehr bewusst dazu positionieren: Wir stehen für die Seenotrettung ein. Wenn das Handeln der Seenotretter kriminalisiert wird, haben sie uns auf ihrer Seite.
Am 8. Januar diskutiert Bedford-Strohm mit Kardinal Marx bei den Augsburger Friedensgesprächen
Auch die katholische Kirche unterstützt die Seenotrettung. Sie ist aber nicht Bündnispartner bei "United4Rescue“, an dem sich 150 Organisationen beteiligen. Haben Sie noch Hoffnung, Kardinal Reinhard Marx dafür zu gewinnen?
Bedford-Strohm: Er hat das Bündnis mit einer erheblichen Spende unterstützt, es gibt da keinen Dissens zwischen uns. Wir setzen uns parallel und in unterschiedlicher Weise für die Seenotrettung ein. Wir ziehen da an einem Strang.
Sie diskutieren mit ihm am 8. Januar im Augsburger Rathaus im Rahmen der "Friedensgespräche“. Haben die Kirchen überhaupt noch die Kraft, Frieden zu stiften – angesichts ihrer Skandale, der hohen Austrittszahlen?
Bedford-Strohm: Ich sehe keinen Relevanzverlust der Kirchen. Relevanz ist auch keine Frage der Mitgliederzahlen, sondern ob wir etwas zu sagen haben. Und das haben wir. Auch eine kleinere Kirche kann stark ausstrahlen. Es ist ja kein Zufall, dass aus Reihen der Politik immer wieder zum Ausdruck gebracht wird, wie wichtig die Rolle der Kirchen gerade heutzutage ist – in einer Zeit, in der es eben keine allgemein anerkannte Instanz mehr gibt. Die Kirchen sind in mancher Hinsicht sogar gefragter denn je.
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