Startseite
Icon Pfeil nach unten
Bayern
Icon Pfeil nach unten

Interview: Markus Söder: "Grüne sollten Schuld nicht immer nur bei anderen suchen"

Interview

Markus Söder: "Grüne sollten Schuld nicht immer nur bei anderen suchen"

    • |
    Ministerpräsident Markus Söder sprach bei AZ Live im Kleinen Goldenen Saal in Augsburg unter anderem über sein Verhältnis zu den Grünen
    Ministerpräsident Markus Söder sprach bei AZ Live im Kleinen Goldenen Saal in Augsburg unter anderem über sein Verhältnis zu den Grünen Foto: Bernhard Weizenegger

    Herr Söder, in Deutschland erleben wir die Bauern-Demos, Eisenbahner- und Fluglotsenstreiks, jetzt die großen Demonstrationen gegen Rechtsextremismus. Wie erklären Sie sich diese Daueraufgeregtheit, die wir gerade erleben? 
    MARKUS SÖDER: Dafür gibt es einen Grund. Dem Land geht es schlechter als früher. Der Bundesfinanzminister sagt offen, es herrsche Panik in der Wirtschaft, Deutschland sei abgestiegen und nicht mehr Weltspitze. Der Bundeswirtschaftsminister sagt, die Lage sei mehr als trostlos. Auffällig ist aber, dass alle Länder um uns herum ein Wirtschaftswachstum haben, nur wir fallen ab. Dieser Grund ist also hausgemacht. In Berlin werden viele Beschlüsse auf Kosten der Mitte der Gesellschaft gefasst, daher ist ein Teil der Aufregung verständlich. Zum Beispiel die einseitigen Sparbeschlüsse zulasten der Landwirtschaft, das völlig verkorkste Heizgesetz und ein überzogenes Bürgergeld, das vom Arbeiten eher abhält, als dazu motiviert.

    Es gibt doch aber auch Trends, die gegen Deutschland laufen, für die die Bundesregierung nichts kann. Die Schwierigkeiten mit China, die Deutschland als Exportnation besonders treffen, der Mangel an Fachkräften und schließlich – und das sind wir möglicherweise schon wieder bei der Ampel – die hohen Energiepreise. Was kann man gegen diese Trends tun? 
    MARKUS SÖDER: Wir können sie nicht ignorieren. Deshalb braucht es Vernunft und Pragmatismus, anstatt stur an parteipolitischen Ideologien festzuhalten. Stichpunkt Energie: Wir könnten unsere Kernkraft für die Zeit der Krise nutzen. Die Ampel aber importiert stattdessen lieber Atomstrom aus dem Ausland und reaktiviert zusätzlich umweltschädliche Kohlekraft. Das verteuert den Preis und verschlechtert die CO2- Bilanz – ein hausgemachtes Problem. Stichwort Fachkräftemangel: In den Niederlanden sind etwa 70 Prozent von Menschen auf der Flucht in Arbeit, in Deutschland ungefähr 20 Prozent. Ein Grund: Das Bürgergeld ist zu hoch. Deshalb muss es komplett überarbeitet werden mit der Rückkehr zur Sozialhilfe. Und schließlich: Es ist ein schwerer Fehler, in der Krise die Steuern zu erhöhen wie zum Beispiel bei der Gastronomie oder der Erbschaftsteuer. Wir müssen vielmehr die Energiesteuern senken und unsere Unternehmen zusätzlich entlasten. Doch leider ist der ökonomische Sachverstand in Berlin begrenzt.

    Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Siegfried Russwurm, hat in einem Interview mit unserer Redaktion kürzlich gesagt: „Meine Sorge ist, dass wir bei einer weiteren Abwanderung der Industrie vieles in diesem Land nicht mehr im gewohnten Maße leisten können, von Sozialleistungen bis zu Verteidigungsaufgaben. Darauf ist unsere Gesellschaft nicht vorbereitet.“ Hat er recht? 
    MARKUS SÖDER: Natürlich. Wir haben so viele Menschen in Arbeit wie noch nie, die aber weniger arbeiten als früher. Nur mit Teilzeit und Home-Office werden wir im internationalen Wettbewerb nicht bestehen. Die Ampel muss deshalb den richtigen Rahmen setzen. Unser Vorschlag: Überstunden steuerfrei machen! Damit honorieren wir Leistung, anstatt sie zu bestrafen. Jede Regierung muss sich fragen: Was nützt uns ökonomisch und welche Entscheidungen sind dafür notwendig? Mit den richtigen Antworten werden wir die Krisen hinter uns lassen. Die Substanz in Deutschland ist weiterhin groß, aber die Ampel muss endlich das Richtige tun und nicht ständig über das Falsche reden.

    Warum blockieren Sie dann das Wachstumschancengesetz im Bundesrat? Es soll Bürokratie abbauen, ein wenig Steuererleichterung bringen. Es ist sich nicht der große Wurf, aber möglicherweise ja ein Schritt in die richtige Richtung.
    MARKUS SÖDER: Mit Verlaub: Das ist ein Micky-Maus-Gesetz. Wir wollten eine viel größere Entlastung, aber das wurde im Vermittlungsausschuss alles abgelehnt. Der Freistaat Bayern wird noch einmal einen Vorschlag machen: eine große Steuerreform, eine große Entlastung und einen großen Anschub für die Wirtschaft. Dann werden wir sehen, ob die Ampel-Parteien zustimmen.

    Sie glauben nicht daran?
    MARKUS SÖDER: Das würde mich wundern, weil Grüne und FDP einfach nicht harmonieren – außer, wenn es um Cannabis geht. Und Kanzler Olaf Scholz ist ein seriöser und kluger Mann, doch leider verweigert er die Kommunikation mit der Bevölkerung. Ein Bundeskanzler muss seine Entscheidungen begründen und zeigen, wohin der Weg führt. Stattdessen lässt er die Menschen ratlos zurück.

    Ist es denn in Wahrheit nicht so, dass die Menschen schon Veränderungen wollen, aber am liebsten nicht bei sich selbst – Beispiel Windräder?
    MARKUS SÖDER: Das Phänomen gibt es natürlich. Umso wichtiger ist es, nicht über die Köpfe hinweg zu entscheiden, sondern die Menschen mitzunehmen.

    Sie schließen eine Zusammenarbeit mit den Grünen unter allen Umständen aus. Auch wenn Sie die Partei eines Tages für eine Regierungsmehrheit im Bund brauchen?
    MARKUS SÖDER: Die Grünen haben einen grundsätzlich anderen Politikansatz als wir. Wenn die Union in den Wahlkampf geht und sagt, wir wollen mit den Grünen, heißt das für viele Wähler: Wer Schwarz wählt, bekommt Grün. Damit werden wir als Union keinen Erfolg haben. Sondern: Wir brauchen Union pur – nur so werden wir unser bestes Ergebnis erzielen. Die Grünen sind unser demokratischer Wettbewerber. Der Feind aber ist die AfD-Funktionärsriege um Björn Höcke, denn diese Gruppe will eine andere Gesellschaft und einen komplett anderen Staat. Sie will raus aus der EU, raus aus der Nato und hin zu Putin mit dramatischen Folgen für unsere Freiheit und unseren Wohlstand. Höcke hat gesagt, er sei dagegen, dass Kinder mit einem Handicap zusammen mit anderen Kindern unterrichtet werden, weil sie nicht normal seien. Das ist einfach eklig. Und es ist erst der Anfang.

    Die Wut, die den Grünen in diesen Tagen entgegenschlägt, ist ja schon außergewöhnlich. Sie halten die Klagen darüber für mimosenhaft. Warum stellen Sie sich als Demokrat nicht klar hinter Ihre Mitbewerber?
    MARKUS SÖDER: Das tue ich immer. Wer das Recht verletzt, muss mit dem Rechtsstaat rechnen. Das gilt für Klima-Kleber genauso wie bei Bauern-Protesten, da gibt es in Bayern keinen Zweifel. Aber natürlich geht es in der Landwirtschaft ein bisschen rustikaler zu als bei einem Cello-Quintett. Uns bei der CSU wurde auch schon ein Misthaufen vor die Türe gekippt. Mein Rat an die Grünen ist, ein bisschen demütiger aufzutreten, ein bisschen mehr zuzuhören und nicht immer nur die Schuld bei anderen zu suchen. 

    Aber wenn, wie in Hirschaid, wo ein Kreisverband wegen massiver Störungen seine Versammlung abbrechen musste, ehrenamtliche Politiker betroffen sind, die keine Personenschützer haben, sollte sich da ein Ministerpräsident nicht hinstellen und Flagge zeigen?
    MARKUS SÖDER: Wir beschützen die Grünen, wo es nur geht. Aber wenn sie etwas falsch machen, darf man das auch ansprechen. Das ist doch bei mir genauso. Denken Sie an 2018, was mir in der Migrations-Debatte vorgeworfen wurde…

    … unter anderem der Begriff „Asyltourismus“.
    MARKUS SÖDER: Markus Söder, der Hetzer, hieß es damals, besonders seitens der Grünen. Damals wurde gegen uns demonstriert, wir haben das ernst genommen und einen Teil der Politik geändert. Ich habe auch meine Sprache geändert, weil ich gemerkt habe, das verletzt Menschen. Umgekehrt wäre es von den Grünen jetzt ein Signal, zuzugeben, dass auch manches, was sie tun, nicht der Weisheit letzter Schluss ist.

    Ein Leser hat 30 Liter Bier gewettet, dass Sie am Ende doch als Kanzlerkandidat zur Verfügung stehen, wenn es brennt. Gewinnt er das Bier?
    MARKUS SÖDER: Da muss ich ihn enttäuschen. Ich bin glücklich in Bayern, da gehöre ich hin, da kenne ich fast jedes Dorf. Mein Motto: Ein bayerischer Ministerpräsident ist für Bayern da – und muss in Deutschland ab und zu nach dem Rechten schauen. (lacht)

    CSU Ministerpräsident Markus Söder ist in Augsburg zu Gast bei AZ Live im Kleinen Goldenen Saal. Er stellt sich den Fragen von Chefredakteurin Andrea Kümpfbeck und Chefredakteur Peter Müller. Bayern BAY POL Politik
    Icon Galerie
    8 Bilder
    Markus Söder besucht Augsburg und stellt sich am Dienstagabend im Kleinen Goldenen Saal den Fragen von Chefredakteur Peter Müller und Chefredakteurin Andrea Kümpfbeck.

    Blicken wir über die Landesgrenzen, auf den Krieg in der Ukraine. Der Kanzler lehnt die Lieferung des Marschflugkörpers Taurus an die Ukraine ab, viele andere deutsche Politiker sind dafür, darunter auch Sie. Warum?
    MARKUS SÖDER: Gegenfrage: Ergibt es Sinn, viele Waffen zu liefern und dann zu sagen, aber eine ganz bestimmte liefere ich nicht? Taurus ist eine hochwertige Waffe, aber keine Atombombe. Der Krieg ist gerade in einer schwierigen Phase, den Ukrainern geht die Munition aus. Es ist beschämend für den ganzen Westen, dass wir seit zwei Jahren sagen, Russland dürfe nicht gewinnen, und dann scheitert es an Munition. Die Ukraine verteidigt auch unsere Freiheit. Ich lehne den Einsatz deutscher Bodentruppen in der Ukraine entschieden ab, aber mit Taurus könnte man die russische Überlegenheit an der einen oder anderen Stelle ausgleichen. 

    Sie sind ja ein 110-prozentiger Politiker. Können Sie sich auch ein Leben ohne Politik vorstellen? 
    MARKUS SÖDER: Ein Leben ohne Amt kann ich mir sicher vorstellen. Es wird aber hoffentlich noch einige Jahre dauern, bis es so weit ist. (lacht). Politik wird mich immer interessieren. Sie ist spannend, faszinierend – und man kann etwas bewegen. Ich empfinde es als großes Privileg, dass ich das machen und für die Menschen arbeiten darf.

    Politik ist aber auch der Schauplatz von Neid, Intrigen, Niederlagen… 
    MARKUS SÖDER: Es bringt nichts, nachtragend zu sein. Wer immer nur mit schlechten Erinnerungen herumläuft und einen Rucksack voll negativer Gefühle herumschleppt, läuft irgendwann krumm und bucklig – und das will ich nicht. Ich will mir immer eine Freude auf den nächsten Tag bewahren.

    Markus Söder in Augsburg zu Gast bei AZ Live im Kleinen Goldenen Saal. im Gespräch mit Chefredakteurin Andrea Kümpfbeck und Chefredakteur Peter Müller,
    Markus Söder in Augsburg zu Gast bei AZ Live im Kleinen Goldenen Saal. im Gespräch mit Chefredakteurin Andrea Kümpfbeck und Chefredakteur Peter Müller, Foto: Bernhard Weizenegger

    Zur Person

    AZ Live heißt das Gesprächsformat, in dem sich Ministerpräsident Markus Söder, 57, am Dienstagabend vor Publikum den Fragen unserer Leserinnen und Leser sowie von Chefredakteurin Andrea Kümpfbeck und Chefredeakteur Peter Müller stellte. 

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden