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Interview: Landesbischof über Abtreibung: "Strafrechtliche Regelung führt zu Unsicherheiten"

Interview

Landesbischof über Abtreibung: "Strafrechtliche Regelung führt zu Unsicherheiten"

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    Der Kopf eines Fötus auf einem Ultraschallbild. Die Scheitel-Steiß-Länge (SSL) deutet auf eine Schwangerschaftsdauer von etwa neun Wochen hin.
    Der Kopf eines Fötus auf einem Ultraschallbild. Die Scheitel-Steiß-Länge (SSL) deutet auf eine Schwangerschaftsdauer von etwa neun Wochen hin. Foto: Hendrik Schmidt, dpa (Symbolbild)

    Herr Kopp, fürchten Sie einen neuen "Kulturkampf" beim Thema Schwangerschaftsabbruch?

    Christian Kopp: Wir befinden uns in einer Zeit, in der viele schwierige Themen die Menschen beschäftigen. Das wird auch die Debatte um den Schwangerschaftsabbruch belasten. Der Kompromiss beim Schwangerschaftsabbruch wurde einst mühsam errungen, das hat damals schon sehr viel Energie gekostet. Und bei einer Neuregelung wird das wieder nötig sein.

    Es liegt nun ein mehr als 600-seitiger Bericht einer von der Bundesregierung eingesetzten Expertenkommission vor. Diese empfiehlt, dass ein Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf Wochen erlaubt sein sollte.

    Kopp: Wir haben es mit einer Dilemma-Situation zu tun: Auf der einen Seite steht das Selbstbestimmungsrecht der Frau, auf der anderen der Schutz des ungeborenen Lebens …

    … und bislang regelte der Strafrechtsparagraf 218: Ein Schwangerschaftsabbruch ist grundsätzlich rechtswidrig, wird aber unter bestimmten Bedingungen nicht bestraft. Überdies muss sich eine Schwangere beraten lassen.

    Kopp: Beratung ist das Zentrale. Auch und gerade für uns als Kirche. Denn die Beratungen bieten ja die Möglichkeit, die Frauen in ihrer Dilemma-Situation zu unterstützen und über Alternativen zum Schwangerschaftsabbruch nachzudenken.

    Der evangelische Landesbischof Christian Kopp sagt: "Wir müssen Frauen und Paaren beratend zur Seite stehen."
    Der evangelische Landesbischof Christian Kopp sagt: "Wir müssen Frauen und Paaren beratend zur Seite stehen." Foto: Daniel Vogl, dpa

    Minister der Ampelregierung mahnten eine sachliche, keinesfalls ideologische Diskussion an. Das Thema habe das Potenzial, die Gesellschaft zu spalten. Wie müsste jetzt darüber diskutiert werden?

    Kopp: Es wäre schön, wenn wir versuchen würden, einander gut zuzuhören. Positiv in dem Bericht ist auf jeden Fall, dem Selbstbestimmungsrecht der Frau einen großen Stellenwert zu geben. Aus christlicher Sicht muss aber auch das Recht des ungeborenen Lebens eine große Rolle spielen.

    Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) veröffentlichte im vergangenen Oktober ein Positionspapier. Man trete zwar nicht für eine "vollständige Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs" ein, hieß es – aber dafür, Regulierungen "für bestimmte Konstellationen auch außerhalb des Strafrechts zu formulieren". Das ist innerkirchlich umstritten. Wie ist Ihre Position?

    Kopp: Ich fand gut an der Diskussion um dieses Ratspapier, dass der Schutz des Lebens immer an erster Stelle kam. Aus dem Papier selbst ging das aus meiner Sicht nicht so deutlich hervor. Ich halte es auch für schwierig, wenn wir uns als evangelische Kirche dazu äußern, wie viele Wochen lang ein Schwangerschaftsabbruch nun durchgeführt werden können soll oder darf. Unsere Aufgabe ist es doch, darauf hinzuweisen, dass die beiden Rechtsgüter – das Selbstbestimmungsrecht der Frau und der Schutz des ungeborenen Lebens – in eine Balance kommen müssen. Und dass wir Frauen und Paaren beratend zur Seite stehen.

    Sind Sie denn dafür, Schwangerschaftsabbrüche aus dem Strafrecht herauszuholen?

    Kopp: Darüber müssen wir jedenfalls reden. Ob das Strafrecht wirklich dazu geeignet ist, die Balance, von der ich eben sprach, herzustellen – daran habe ich meine Zweifel. Aus der Beratungspraxis im Schwangerschaftskonflikt wissen wir, dass viele Frauen das als demütigend empfinden. Zudem müssen wir über die Situation der Ärztinnen und Ärzte diskutieren. Sie stehen auch in Bayern den Schwangeren im Konflikt bei – das ist auch eine ärztliche Dilemma-Situation. Die strafrechtliche Regelung führt zu Unsicherheiten. Es gibt zu wenig Ärztinnen und Ärzten, die Frauen in dieser Dilemma-Situation helfen.

    SPD-Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach wies darauf hin, dass es vor allem im Süden Deutschlands für ungewollt Schwangere schwierig sei; es bestehe Handlungsbedarf bei der Versorgung mit Kliniken, die eine Abtreibung vornehmen.

    Kopp: Zunächst einmal halte ich eine Beratungspflicht für überaus wichtig. Es ist auch in Bayern nicht so leicht, eine Beratung zu bekommen. Das muss für Frauen einfacher werden. Und es muss für sie, wenn die Entscheidung getroffen wurde, wohnortnahe Möglichkeiten geben, einen Schwangerschaftsabbruch durchführen zu lassen.

    Die katholische Kirche warnt vehement vor einer Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs. Der Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke etwa befürchtet "Tendenzen in der Regierung, die Tötung ungeborener Kinder … ausdrücklich für rechtmäßig zu erklären".

    Kopp: Was den Schutz des ungeborenen Lebens angeht, stimme ich den katholischen Bischöfen im Grundsatz zu. Aber der Schwangerschaftskonflikt ist ein ethischer Grenzfall. Aus meiner Sicht ist das Selbstbestimmungsrecht der Frau stärker zu betonen.

    Kürzlich demonstrierten Christen beim "Marsch fürs Leben" in München für den "Lebensschutz". Selbst katholische Bischöfe gingen zuletzt auf Distanz zu derartigen Märschen, weil sie unter anderem von der AfD instrumentalisiert wurden.

    Kopp: Ich habe so einen "Marsch fürs Leben" erst einmal miterlebt. Den Aussagen auf Plakaten, die ich dabei sah, konnte ich größtenteils nicht zustimmen. Es ging hier nicht um den Schutz des Lebens, sondern um die Ächtung derer, die Abtreibungen vorgenommen haben – und zwar in einer Dilemma-Situation und gewissermaßen in letzter Konsequenz. Ein solcher Umgang mit dem Thema, wie ich ihn auf diesem "Marsch fürs Leben" beobachten konnte, ist unangemessen. 

    Nochmals zur Expertenkommission der Bundesregierung: Sie kann sich auch vorstellen, dass Eizellspenden und Leihmutterschaft unter bestimmten Voraussetzungen zugelassen werden könnten. Sind das Tabubrüche?

    Kopp: Man muss ja nur in unser Nachbarland Frankreich schauen, um zu sehen, wohin eine Liberalisierung in diesem Bereich führen kann. In Frankreich steht das Recht auf Schwangerschaftsabbruch seit Kurzem in der Verfassung, die Eizellspende ist legal. Was die Leihmutterschaft angeht: Sie muss aus christlich-ethischer Sicht sehr sorgfältig reflektiert werden. Wenn die finanzielle Abhängigkeit einer Leihmutter ausgenutzt wird, halte ich eine Zulassung für grundsätzlich ausgeschlossen. Gleichzeitig gibt es Grenzsituationen – und diesen müssen wir uns stellen. Eine Arbeitsgruppe der evangelischen Kirche widmet sich gerade diesen Situationen und Fragen. Was ist zum Beispiel, wenn ein ungewollt kinderloses Paar ein Kind haben will? In jedem Fall brauchen wir klare Kriterien für diese schwierige Abwägung.

    Und wie stehen Sie zur Eizellspende?

    Kopp: Auch hierzu gibt es in Deutschland ein verantwortliches Regelungssystem.

    In Deutschland ist sie verboten, in anderen Ländern Europas erlaubt.

    Kopp: Es gibt ja in Deutschland starke historische Gründe für die medizinethische Zurückhaltung. Eine Eizellspende hat enorme Auswirkungen auf alle Beteiligten. Die aber sind mir in der aktuellen Diskussion zu wenig im Blick. Denken Sie nur an die mittel- und langfristigen psychischen Folgen! Ein durch Eizellspende entstandenes oder von einer Leihmutter ausgetragenes Kind muss ja über seine Herkunft Bescheid wissen und damit dann umgehen.

    Sprechen Sie mit Paaren, die sich ihren Kinderwunsch mithilfe der Reproduktionsmedizin, möglicherweise im Ausland, erfüllt haben?

    Kopp: Ich führe Gespräche. Wichtig ist mir, in diesen zu sagen: Macht das zum Thema. Sprecht über die möglichen Folgen. Ansonsten kann das 20 oder 30 Jahre später ein Kind psychisch regelrecht umwerfen. Hier sind eine verantwortliche Auseinandersetzung und eine aufrichtige Debatte erforderlich.

    Zur Person: Christian Kopp wurde 1964 in Regensburg als Sohn eines Diakons geboren und wuchs in Garmisch-Partenkirchen auf. 2019 wurde er Regionalbischof im Kirchenkreis München und Oberbayern. Am 30. März 2023 wurde er dann zum Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern gewählt.

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