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Interview: Kirchenhistoriker über das Erbe von Benedikt XVI.: "Gänswein hat sich diskreditiert"

Interview

Kirchenhistoriker über das Erbe von Benedikt XVI.: "Gänswein hat sich diskreditiert"

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    Georg Gänsweins Buch "Nichts als die Wahrheit" wurde zum Bestseller und sorgte für Gesprächsstoff. Zuletzt etwa in Altötting.
    Georg Gänsweins Buch "Nichts als die Wahrheit" wurde zum Bestseller und sorgte für Gesprächsstoff. Zuletzt etwa in Altötting. Foto: Peter Kneffel, dpa

    Herr Ernesti, wie viel Geld verdient ein Papst?

    Jörg Ernesti: Interessanterweise ist im Haushalt des Staates der Vatikanstadt kein Posten für ein Papst-Gehalt ausgewiesen. Von Papst Franziskus weiß man, dass er auf monatliche Zuwendungen verzichtet. Aber ein Papst hat natürlich freie Kost und Logis, zahlt keine Miet- und Heizkosten ...

    ... aber spricht man mit Georg Gänswein, dem langjährigen Privatsekretär des früheren Papstes Benedikt XV.., gibt es im Päpstlichen Palast auch mal Stromausfall und undichte Fenster.

    Ernesti: Die Öffentlichkeit sieht immer nur die Bilder von Audienzen in prächtigen Räumlichkeiten. Die Papst-Wohnung dagegen ist eine Zimmerflucht, die der 1978 gestorbene Paul VI. mal weiß tünchen ließ. Mit einem Königspalast ist das gewiss nicht vergleichbar. Die Päpste seit gut 150 Jahren waren sehr bescheiden und hielten nicht Hof. Da wurde es schon als Extravaganz aufgefasst, dass bei Leo XIII., der bis 1903 Papst war, Weinflaschen auf den Tisch kamen, die eigens neu geöffnet und nicht bereits angebrochen waren. Benedikt XV., Papst von 1914 bis 1922, verzichtete auf einen Barbier, der üblicherweise zu Wohlhabenden ins Haus kam, und rasierte sich selbst.

    Und der kürzlich gestorbene „bayerische“ Papst Benedikt XVI., mit bürgerlichem Namen Joseph Ratzinger?

    Ernesti: Mancher bayerische Dorfpfarrer wird vornehmer gelebt haben. Ratzinger war sehr bescheiden und hat sich wenig gegönnt. Für ihn war ein ausgedehnter Spaziergang oder mal ein Restaurantbesuch Luxus.

    War er denn vermögend?

    Ernesti: Er hat gewiss sehr gut verdient. Er wurde ja schon früh, mit Anfang 30, Theologie-Professor und blieb es über zwei Jahrzehnte. Aus dieser Zeit stand ihm auch eine kleine staatliche Rente zu. 1977 wurde er Erzbischof von München und Freising und erhielt monatliche Zahlungen in H.he des Grundgehalts der Besoldungsgruppe B10, das wären heute etwas mehr als 14.000 Euro. Danach wurde er Präfekt der Glaubenskongregation, also Leiter einer Kurienbehörde. Hier ist es so: Normalerweise erhält ein deutscher Geistlicher, der nach Rom abgeordnet wird, einen finanziellen Ausgleich von seiner Heimatdiözese. Denn die Besoldung in Italien ist im Unterschied zu Deutschland eher schmal. Ein Kurienbischof kommt auf ungefähr 3000 Euro brutto, ein Kardinal auf 5000 Euro brutto. Das wird aufgestockt auf den Betrag, den derjenige in

    Ein Bayer als Papst: Benedikt XVI. – mit bürgerlichem Namen Joseph Ratzinger – im Jahr 2005 auf dem Balkon des Petersdoms.
    Ein Bayer als Papst: Benedikt XVI. – mit bürgerlichem Namen Joseph Ratzinger – im Jahr 2005 auf dem Balkon des Petersdoms. Foto: Claudio Onorati/Ansa via epa, dpa (Archivbild)

    Sein Erbe ist öffentliches Thema: Gänswein als sein „Testamentsvollstrecker“ sprach mehrfach darüber. Und es spielt für einen im Juni in Traunstein anstehenden Zivilprozess eine Rolle.

    Ernesti: Bei Päpsten vor dem Jahr 1800 nutzten Neffen, Brüder oder Onkel das Papsttum ihres Verwandten, um ihre Familie finanziell zu sanieren. Sie räumten nach dessen Tod regelrecht ab. Seit dem späten 19. Jahrhundert ist das anders. Papst-Testamente kenne ich seit dem frühen 20. Jahrhundert, man unterscheidet zwischen einem „geistlichen Testament“ mit letzten Gedanken und Bestimmungen über den materiellen Nachlass. Johannes XXIII., der 1963 starb, vermachte seiner Familie zum Beispiel persönliche Erinnerungsstücke. Das wird im Falle von Ratzingers leiblichen Hinterbliebenen nicht anders sein. Um Reichtümer geht es da sicher nicht.

    Gänswein erklärte, Benedikt habe keinen Erben eingesetzt, es greife die gesetzliche Erbfolge nach vatikanisch-italienischem Recht. In Medien war von Cousins und Cousinen die Rede. Die überlegen mutmaßlich noch, ob sie das Erbe ausschlagen, oder?

    Ernesti: Ja, weil der Traunsteiner Prozess dazu gehört und sie möglicherweise hohe Schadenersatzforderungen fürchten.

    In dem Verfahren will ein Missbrauchsopfer aus Garching an der Alz die Schuld des einschlägig verurteilten früheren Priesters H. feststellen lassen. Zu den Beklagten zählen Friedrich Kardinal Wetter, das Erzbistum München und Freising und Benedikt beziehungsweise dessen Rechtsnachfolger. Die Genannten sollen Mitverantwortung daran tragen, dass H. Kinder missbrauchen konnte.

    Ernesti: Man denkt dabei auch an die vielen Zivilklagen in den USA. Dort mussten Missbrauchsopfern Millionenbeträge gezahlt werden, mehrere Diözesen gingen in Konkurs.

    Würden Sie sagen, Gänswein ist der eigentliche „Erbe“ Benedikts?

    Ernesti: Er versucht zumindest, mit seinem Buch „Nichts als die Wahrheit“ den Blick der Nachwelt auf Benedikt zu steuern: ein bedeutender Theologe und Hirte, der Opfer von Missverständnissen geworden sei. Gänswein spricht gewissermaßen im Namen Benedikts, hat sich jedoch aus meiner Sicht durch sein Buch diskreditiert. Im Vatikan und andernorts hat er sich damit keine Freunde gemacht.

    Georg Gänswein war lange Privatsekretär von Papst Benedikt XVI. Wo wird er in Zukunft eingesetzt?
    Georg Gänswein war lange Privatsekretär von Papst Benedikt XVI. Wo wird er in Zukunft eingesetzt? Foto: Karl-Josef Hildenbrand, dpa

    Ihm wurden Selbstdarstellung und Indiskretionen vorgeworfen, und dass er ein schmeichelhaftes Bild Ratzingers zeichne. Angeblich hat Papst Franziskus ihm nun nahegelegt, ins Erzbistum Freiburg zurückzukehren.

    Ernesti: Was sollte er dort tun? Einen Erzbischof und Weihbischöfe gibt es in Freiburg. Und die Stelle als Offizial – als Kirchengerichtsleiter – würde einen Abstieg bedeuten. Andererseits: Die meisten Papstsekretäre traten wieder zurück ins Glied.

    Benedikts „geistliches Testament“ datiert auf 2006. Im Jahr zuvor war er Papst geworden.

    Ernesti: Auch andere Päpste haben ihr geistliches Testament früh geschrieben und vieles erinnert an sie: Dank an Gott, die Familie, die Heimat ... Sehr allgemein bleibt er mit seiner Bitte um Verzeihung: „Alle, denen ich irgendwie Unrecht getan habe, bitte ich von Herzen um Verzeihung.“ Was, glaube ich, von ihm bleiben wird: Ihm gelang es, in einer anspruchsvollen Sprache die Schönheit der Theologie einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln. Vielleicht war er der Letzte, der das schaffte.

    Zur Person: Prof. Dr. Dr. Jörg Ernesti, 1966 in Paderborn geboren, ist Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg und Professor für Mittlere und Neue Kirchengeschichte. Er ist Autor von Papst-Biografien, zuletzt erschien "Friedensmacht. Die vatikanische Außenpolitik seit 1870" (Verlag Herder, 368 Seiten, 34 Euro).

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