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Interview: Kirchenexperte: „Wir Gläubige sollten einfach mal machen“

Interview

Kirchenexperte: „Wir Gläubige sollten einfach mal machen“

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    Als sich die deutschen Bischöfe im Februar in Augsburg zu ihrer Vollversammlung trafen, forderten Demonstrantinnen und Demonstranten vor dem Dom mehr Mitsprache von Laien in der katholischen Kirche.
    Als sich die deutschen Bischöfe im Februar in Augsburg zu ihrer Vollversammlung trafen, forderten Demonstrantinnen und Demonstranten vor dem Dom mehr Mitsprache von Laien in der katholischen Kirche. Foto: Karl-Josef Hildenbrand, dpa

    Herr Isermann, Ihr Buch, das sich mit der katholischen Kirche befasst, hat den Titel „Aufruhr!“. Rufen Sie hier zur Revolution auf?
    RALF ISERMANN: Ich denke, wir erleben gerade einen Aufruhr: Menschen treten aus der Kirche aus, wegen der Kirchensteuer oder wegen der Missbrauchsfälle. Dieser Aufruhr vollzieht sich unheimlich leise und führt dazu, dass wir keine Volkskirche mehr haben. Das hat auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, erst kürzlich wieder betont. Ich wünsche mir einen anderen Aufruhr – den, dass selbstbewusste Laien sagen: „Wir gestalten jetzt unser Gemeindeleben so, wie wir es vor Ort für uns als richtig empfinden.“

    Im Bistum Augsburg forderten vor einigen Jahren Tausende Gläubige, die Kirche müsse im Dorf bleiben. Es ist seitdem recht still geworden ...
    ISERMANN: Derart große Proteste werden wir nicht mehr sehen, glaube ich. Vor Ort aber gibt es sie durchaus noch. In Wolfenbüttel setzten sich vor wenigen Monaten Gemeindemitglieder, einschließlich der Ministranten, bis hin zum Bürgermeister für einen Pfarrer ein, der sein Amt zur Verfügung stellen sollte. Er hatte sich kritisch zum Umgang mit Missbrauchsfällen geäußert. Auch im Falle Thomas Laufmöllers gab es Proteste.

    Sie haben das Buch mit diesem früheren Münsteraner Pfarrer geschrieben. Er gab zum Oktober 2023 mit 59 Jahren sein Priesteramt auf. Wie kamen Sie als Bayernkorrespondent der Nachrichtenagentur Agence France-Presse (AFP) in München dazu?
    ISERMANN: Ich komme aus Mettingen in Nordrhein-Westfalen. Er war dort Kaplan, ich in der Jugendarbeit. Wir haben damals im wahrsten Sinne des Wortes die Kirche verändert.

    Wie das?
    ISERMANN: Wir haben die Kirchenbänke umgruppiert, so, dass sich die Gottesdienstbesucher ins Gesicht sehen konnten. Auch der Altar, der weit weg von den Menschen war, kam mehr in die Kirchenmitte. Zuvor machten wir Jugendlichen eine Umfrage in unserer Gemeinde. Wir erhielten für das Vorhaben hohe Zustimmungswerte.

    Und dann hörten Sie, dass Laufmöller sein Priesteramt aufgibt.
    ISERMANN: Das war ein emotionaler Moment für mich, obwohl wir uns mehr als 20 Jahre lang nicht gesehen hatten. Er war ein Priester, der inmitten seiner Gemeinde lebte. Der eine offene Tür hatte. Der liberal war. Wenn so einer keinen Platz mehr für sich in der Amtskirche sieht, dann haben wir eine totale Schieflage. Ich habe nichts gegen konservative Gemeinden oder Katholiken, denen bestimmte konservative Haltungen, bestimmte Riten Sicherheit geben. Aber es muss in der Kirche doch Platz für alle sein!

    Laufmöller wurde auf eigenen Wunsch hin entpflichtet. Warum?
    ISERMANN: Das hat viel damit zu tun, dass er gegen seinen Willen versetzt wurde. Es hatte sich ein Verband gebildet, in dem eine sehr konservative Gemeinschaft drei von vier Pfarreien übernahm. Dadurch ist ein Konflikt entstanden, und der Bischof wollte ihn meiner Ansicht nach durch Laufmöllers Versetzung lösen. Mich machte das fassungslos, und ich dachte mir: „Jetzt musst du auch austreten.“

    Sind Sie aber nicht.
    ISERMANN: Nein, ich bin Vorsitzender des Pfarrgemeinderats von St. Philippus in München-Laim.

    Was hat Sie in der Kirche gehalten? Was hält Sie?
    ISERMANN: Ich erlebe Kirchengemeinschaft als eine Gemeinschaft, wie ich sie in anderen gesellschaftlichen Bereichen so nicht finde. Es ist sehr umfassend: von der Pfarrjugend bis zur Seniorengruppe; vom Zeltlager über den Wohltätigkeitsball bis hin zum Kühlschrank für Bedürftige, den wir aufgestellt haben. Es wäre ein Verlust von Lebenskultur, wenn so etwas verschwände.

    Sie berichten als Journalist als distanzierter Beobachter über Kirchenthemen – und engagieren sich als gläubiger Katholik. Bringt Sie das nicht in einen Zwiespalt?
    ISERMANN: Bevor ich mit Thomas Laufmöller das Buch schrieb, habe ich viele Gespräche mit ihm geführt und seinen Fall nachrecherchiert. Ich will mich ja nicht mit einer Sache gemein machen. Wie seine Geschichte nun erzählt ist, das ist für mich gut vertretbar. Als Pfarrgemeinderatsvorsitzender komme ich immer wieder auf diese Frage zurück: „Wie kann so etwas passieren?“

    Was konkret meinen Sie?
    ISERMANN: Zum Beispiel diese Verschiebung ins Konservative. Mir fällt auf, wie viele Menschen auf einmal zur Mundkommunion neigen oder wie konservativ viele junge Priester sind. Das ist auch das Ergebnis einer aktuellen Studie. Als in meinem Pfarrverband Pastoralreferentinnen predigten, saßen auf einmal erkennbar konservative Priester bei uns im Gottesdienst. Sie kamen mir wie Spitzel vor. Und das ist problematisch für mich: Dass konservative, traditionalistische Katholiken kein Nebeneinander einer liberalen und einer konservativen Glaubenspraxis dulden.

    In den vergangenen Jahren gab es eine Reihe von Kirchenaustrittsrekorden, oft begleitet von Sätzen wie: „Ich kann auch ohne Kirche glauben.“ Oder: „Ich trete aus, um meinen Glauben zu bewahren.“
    ISERMANN: Diese Sätze begegnen mir immer wieder. Ich kann sie noch um den Satz meines Neffen ergänzen, der mir sagte: „Ich glaube, von meinen Freunden ist keiner mehr in der Kirche. Aber fast alle haben einen Glauben.“ Die Frage ist doch: Wo finden sich all diese Menschen mit ihrem Glauben künftig wieder?

    Haben Sie eine Antwort?
    ISERMANN: Wir brauchen eine neue Urkirche. Wir müssen wieder verstärkt auf die Anfänge der Kirche schauen und uns diese zum Vorbild nehmen. Menschen könnten Gemeinschaften bilden und sich über Glaubensfragen austauschen, abends in lockerer Runde oder auf andere Weise – auch ohne priesterliche Begleitung. Zumal es ja ohnehin immer weniger Priester gibt.

    Besteht hier nicht die Gefahr einer Sekten-Werdung?
    ISERMANN: Aus diesem Grund halte ich die Verankerung in einer bestehenden, wenn vielleicht auch immer kleiner werdenden katholischen oder evangelischen Gemeinde für sinnvoll. Und ein gewisses theologisches Fundament. In der Urkirche gab es zum Beispiel Wanderprediger, die die Gemeinschaften geschult haben. Ich möchte, dass diese neuen, kleinen Gemeinschaften dann möglichst groß und heterogen werden. Ein konservativer sogenannter Heiliger Rest ist sicher nicht der Weg in die Zukunft.

    Sie beschreiben einen Neuaufbau.
    ISERMANN: Im Schaukasten meiner Pfarrgemeinde steht, dass alle zu Aktionen und Gottesdiensten eingeladen sind – egal, ob sie Kirchenmitglieder sind oder nicht.

    Aber solche Angebote können doch von der Kirche kommen.
    ISERMANN: Die katholische Amtskirche ist aber zu sehr verhaftet in Finanz- oder Immobilienfragen. Wenn ich darauf warte, bis sie den Schalter wirklich umlegt, sind wahrscheinlich viele Gemeinden schon am Ende. Es muss jetzt etwas geschehen – und dazu müssen wir Gläubige aktiv werden.

    Nicht die jeweiligen Priester, der Bischof, der Vatikan?
    ISERMANN: Wir Gläubige sollten einfach mal machen. Und das ist überhaupt nicht gegen die Priester gerichtet. Aber die Realitäten sind nun einmal so, wie sie sind: Die Zahl der Priester sinkt. Und die, die da sind, sind überlastet mit vielen Aufgaben – anstatt Seelsorger sein zu können. Jetzt ist also jeder einzelne Gläubige gefragt. Denn entweder lässt man es einschlafen oder man nimmt die Dinge selbst in die Hand. Doch dazu muss man aus dieser Trägheit herauskommen, sich in eine Aufruhrbereitschaft versetzen. Sonst ist eine Gemeinde irgendwann nicht mehr lebendig und nicht mehr wiederzubeleben.

    Wie lebt Thomas Laufmöller heute?
    ISERMANN: Er gestaltet Hochzeits- oder Trauerfeiern. Einmal im Monat feiert er Gottesdienste, zu denen mehr als hundert Leute kommen. Er lebt im Grunde weiter als Priester, auch zölibatär, wie er sagte. Ich nenne ihn im Buch einen „Seelsorger ohne Kirche“.

    Zur Person

    Ralf Isermann, 52, ist Bayernkorrespondent und Kirchenexperte der AFP. „Aufruhr! Warum wir eine neue Urkirche brauchen“ von Thomas Laufmöller und ihm erscheint am 9. September (Herder, 192 Seiten, 20 Euro).

    Das Buch von Thomas Laufmöller und Ralf Isermann erscheint am 9. September 2024.
    Das Buch von Thomas Laufmöller und Ralf Isermann erscheint am 9. September 2024. Foto: Verlag Herder
    Ralf Isermann ist Mit-Autor des Buches "Aufruhr!".
    Ralf Isermann ist Mit-Autor des Buches "Aufruhr!". Foto: Mikael Fries
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