Frau Kaniber, die EU-Agrarreform war ein hartes Ringen bis zum Schluss. Jetzt ist sie durch. Sind Sie insgesamt zufrieden?
Michaela Kaniber: Der ganze Prozess war unheimlich hart. Es war keine leichte Verhandlung, so wie die Situation in Europa ist und so wie Agrarpolitik momentan betrieben wird. Für Deutschland war das große Ziel, dass die EU in Sachen Nachhaltigkeit und Ökologie endlich einen großen Schritt nach vorne macht. Das ist nun erreicht. Nun fließt in der EU mehr Geld in diese Richtung.
Als das Ergebnis feststand, haben Umweltaktivisten von Greenpeace die Reform sofort kritisiert und sie als „Greenwashing übelster Sorte“ bezeichnet. Was halten Sie von dieser Aussage?
Kaniber: Wenn man so etwas ausspricht, kann das nur von Unkenntnis zeugen. Viele EU-Länder haben sich wirklich schwergetan, diesen Weg überhaupt mitzugehen. Damit wird nur versucht, das Erreichte schlechtzureden und das bringt Europa nicht weiter.
Und das ärgert sie?
Kaniber: Ja. Ich habe vollstes Verständnis dafür, dass wir bei Umwelt- und Klimaschutz globale Fortschritte brauchen. Aber man sollte nicht immer nur danach schreien, was gerade fehlt, sondern auch wertschätzen, was schon geleistet wird. Wenn wir unsere Nachbar überfordern und sie letztlich blockieren, kommen wir nicht weiter. Wir können es in Europa nur gemeinsam schaffen, einen Green Deal hinzubekommen.
Es fehlt Kritikern also der Blick aufs große Ganze?
Kaniber: Genau darum geht es. Wir sind in der EU-Agrarpolitik nicht nur in Deutschland unterwegs. Politik braucht einen Kompromiss, auch bei dieser Reform jetzt. Wir können nicht mit Gewalt anordnen, dass jetzt jeder Bauer in Europa nur noch ökologisch wirtschaftet. Das ist auch eine soziale Frage. Wir denken auch an die Menschen, die in der Landwirtschaft arbeiten und ein faires wirtschaftliches Auskommen brauchen. Ohne Kompromiss hätten wir gar nichts erreicht.
Können die bayerischen Landwirte also auch zufrieden sein?
Kaniber: Wir haben unsere Umweltstandards seit Jahren immer weiter nach oben geschraubt und schon oft die Wettbewerbsverzerrungen innerhalb Europa angesprochen. Mit der Reform bekommen wir eine vorsichtige Anpassung und wir erhoffen uns davon ein Stück Wettbewerbsgleichheit.
Wie viel Geld fließt denn jetzt konkret nach Bayern?
Kaniber: Die Beschlüsse werden bewirken, dass in Bayern die Mittel insgesamt auf demselben Niveau bleiben. Aber eine konkrete Zahl kann ich noch nicht nennen, weil das durch die Umsetzung auf nationaler Ebene erst noch ganz genau ausgehandelt wird.
Wer kann sich in Bayern jetzt mehr freuen? Die kleinen oder die großen Bauern? Die konventionellen oder die Bio-Landwirte?
Kaniber: Dieses Gegeneinander-Ausspielen halte ich für falsch, es hilft niemandem. Ich bitte, nein ich warne davor, das zu tun. Beide haben ihre Berechtigung, beides ist gewollt und beides hat Platz auf dem Markt.
Es ist aber doch so, dass die Richtung ökologisch zu wirtschaften vorgegeben ist, oder?
Kaniber: Ja. Aber es geht nicht nur darum, dass wir den Ökolandbau ausweiten, sondern auch darum, dass ein Markt geschaffen wird. Wenn wir wollen, dass mehr Landwirte von konventionell auf ökologisch umstellen, müssen sie auch ihre Produkte verkaufen können.
Kommen wir noch mal auf das Thema Geld zurück: Es wurde beschlossen, dass mindestens sechs Prozent des nationalen Budgets für Direktzahlungen zur Unterstützung kleiner und mittelgroßer Betriebe bereitgestellt werden. Was bedeutet das? Sind die kleinen also die Verlierer?
Kaniber: Ich möchte diesen Wert gerne auf 15 Prozent erhöhen, um eine Verdoppelung dieser Leistungen im Vergleich zu jetzt möglich zu machen. Das hilft den kleinen und mittleren Betrieben. Und für Großbetriebe und große Agrarindustrien sollte man eine Kappung einführen. Das würde bedeuten, dass es eine Fördermöglichkeit bis 100.000 Euro gibt. Alles, was darüber hinaus gehen würde, würde umgeschichtet werden. Das ist aber noch offen.
Dass die Landwirtschaft umweltfreundlicher und nachhaltiger werden soll, ist ja schon lange ein allgemeines Bekenntnis. Heftig umstritten freilich ist die Frage, wie weit der „Green Deal“ gehen soll. Gehen Ihnen die EU-Agrarbeschlüsse weit genug oder hätten sie noch weiter gehen sollen?
Kaniber: Klar kann man immer noch mehr fordern, und das Ziel, nachhaltiger zu wirtschaften, ist absolut richtig. Aber man muss hinbekommen, alle Mitgliedsstaaten mitzunehmen. Es stecken viele in finanziellen Krisen – nicht wegen Corona. Viele EU-Staaten haben noch ganz andere Probleme, zum Beispiel eine hohe Arbeitslosigkeit. Solche Staaten mit strengen Umweltverpflichtungen zu belegen, ist sehr problematisch.
Wie kann man sie da mitnehmen?
Kaniber: In der Agrarreform gibt es für die EU-Mitgliedstaaten jetzt eine zweijährige Lernphase, sozusagen einen Zeitraum zur Erprobung von Agrarumweltmaßnahmen. Sie müssen dann wirklich darauf schauen, dass sie Agrar-Umwelt-Maßnahmen umsetzen und leben. Aber nach zwei Jahren können sie noch einmal nachjustieren.
Was sind Ihre Ideen für Bayern? Wohin soll die Reise gehen?
Kaniber: Premiumqualität ist unser höchstes Gut. Klasse statt Masse ist der Markenkern der bayerischen Landwirtschaft. Die Strategie der nächsten Jahre muss sein, regionale Vermarktung noch mehr möglich zu machen. Damit die gute Ware zum Beispiel auch eins zu eins in den Großkantinen ankommt.
Zur Person: Michaela Kaniber, 43, sitzt seit 2013 für die CSU im Landtag und ist seit 2018 bayerische Landwirtschaftsministerin.
Lesen Sie dazu auch: Berchtesgadener Land im Lockdown: Diese Regeln gelten ab heute
Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.