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Interview: Jutta Speidel: "Durch die Ukraine-Krise haben wir wieder tausende von Müttern"

Interview

Jutta Speidel: "Durch die Ukraine-Krise haben wir wieder tausende von Müttern"

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    Jutta Speidel war zu Gast bei der Premiere der Oberammergauer Passionsspiele.  Im Interview spricht sie vor allem über ihr soziales Engagement mit ihrem Münchner Verein "Horizont".
    Jutta Speidel war zu Gast bei der Premiere der Oberammergauer Passionsspiele. Im Interview spricht sie vor allem über ihr soziales Engagement mit ihrem Münchner Verein "Horizont". Foto: imago-images.de

    Frau Speidel, seit 25 Jahren unterstützen Sie mit Ihrer Münchner Initiative „Horizont“ Kinder und Mütter, die plötzlich auf der Straße stehen. Sie haben gesagt, in der Corona-Zeit habe sich die Gefahr von häuslicher Gewalt und Wohnungslosigkeit verschärft. Erzählen Sie!

    Jutta Speidel: Gerade während der Lockdowns waren viele Menschen, denen es finanziell nicht so gut geht, in kleinen Wohnungen ohne Balkon und Garten quasi eingesperrt. Diese Familien waren darauf angewiesen, in solchen beengten Verhältnissen irgendwie ein Miteinander zu schaffen. Das gelang oftmals nicht, und so sind viele Aggressionen entstanden. Und in der Tat war es so, dass wir sehr viele Anfragen hatten. Wir haben zu den 24 Wohnungen im Schutzhaus noch zwei Notaufnahmezimmer, und die waren dauerhaft besetzt. Das war schlimm! Wir wussten, dass alleine in München rund 2.000 Frauen und ihre Kinder verzweifelt nach einer Bleibe gesucht haben, die bezahlbar ist.

    Jutta Speidel: "Im Lockdown war alles ganz, ganz furchtbar!"

    Wo kommen die Menschen dann unter, wenn alle Einrichtungen überfüllt sind?

    Speidel: Viele sind wieder nach Hause gegangen, weil es im Lockdown kaum eine andere Möglichkeit gab. Manche sind vielleicht noch in die Bahnhofsmission, aber das ist echt schwierig da. Im Lockdown war alles ganz, ganz furchtbar!

    Hat sich die Situation inzwischen wieder normalisiert?

    Speidel: Ja, das kann man schon so sagen. In dem Moment, in dem Menschen wieder regelmäßig nach draußen gehen konnten, hat sich die Lage entspannt. Und auch bei uns ist in unserem Schutzhaus wieder Normalbetrieb. Es werden immer wieder Wohnungen frei, und dann ist wieder Platz für andere. Nur haben wir durch die Ukraine-Krise wieder tausende von Müttern, die Notunterkünften zugeteilt werden.

    Sie haben bereits über 2.800 wohnungslose Mütter und Kinder in ein selbstbestimmtes Leben begleitet. Ist es schwieriger geworden, an Geldspenden zu kommen?

    Speidel: Insgesamt ist es so, dass wir von einem kleinen Hausfrauenverein zu einem großen mittelständischen Unternehmen gewachsen sind. Wir haben über 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, das ist schon eine Menge. Da müssen wir schon ordentlich sammeln, um den Betrieb zu finanzieren und die Häuser instandzuhalten. Wir werden aber von der Stadt München und Stiftungen, Unternehmen und Privatspendern gefördert. Wir genießen inzwischen große Anerkennung. Die "big Five" sind allerdings noch nicht auf uns zugekommen. Aber vielleicht tun sie das noch mal.

    Wer sind die „big Five“?

    Speidel: Da will ich keine Namen nennen. Aber es gibt ganz große Spender, die im ganz großen Stil unterstützen. Die haben wir leider noch nicht an Bord. Aber uns unterstützen auch viele private Menschen und Stiftungen. Manche haben uns sogar in ihrem Testament bedacht. Wir hatten zunächst große Sorge, dass die Spenden wegen der Pandemie einbrechen, aber das war nicht so. Die Menschen waren großzügiger als je zuvor.

    Mal böse formuliert: Sie mussten wahrscheinlich nicht so viel Geld für den Urlaub ausgeben.

    Speidel: Kann schon sein, dass sich der eine oder andere auf ein „sinnhaftes Geldausgeben“ besonnen hat.

    Wie hat sich das Thema „wohnungslose Mütter“ im vergangenen Vierteljahrhundert verändert?

    Speidel: Als ich vor 27 Jahren auf den Missstand in unserer Landeshauptstadt buchstäblich mit der Nase draufgestoßen wurde, habe ich es gar nicht fassen können, dass es obdachlose Mütter und Kinder in dieser reichen Stadt gibt. Ich konnte mir auch nicht vorstellen, wo diese leben. Auf einer Parkbank? Im Zelt? Ich habe dann, immer wenn ich in einer anderen Stadt unterwegs war, recherchiert, wie es dort ist. Dabei stellte ich fest, dass es in jeder Stadt obdachlose Kinder gibt. Die waren oft katastrophal untergebracht. Das waren damals zu 80 Prozent deutsche Kinder. Da gab es aber wenigstens meist irgendwo noch einen Familienverbund. Inzwischen kommen mehr und mehr Bedürftige aus Afrika, aus dem Balkan oder aus Syrien. Wir bei Horizont haben seit Gründung Mütter und Kinder aus fast 100 Ländern betreut.

    Wie kamen Sie überhaupt zu diesem gesellschaftlichen Engagement?

    Speidel: Ich bin so aufgewachsen, dass man sozial engagiert ist. Wenn man nun beispielsweise die Unesco oder Unicef unterstützt, dann ist das alles so weit weg für mich. Bei mir war das Bedürfnis da, dass ich vor Ort helfen will - und zwar so, dass ich mit meinem gesunden Menschenverstand herausfinden kann, was gebraucht wird. Ich wollte mich selbst einbringen, etwas aufbauen. In der Obdachlosenzeitung „Biss“ habe ich damals etwas über obdachlose Kinder gelesen. Und mir wurde schnell klar, dass man, wollte man helfen, auch die Mutter unterstützen musste. Denn diese mussten in die Lage versetzt werden, das Kind auf einen vernünftigen Weg bringen zu können.

    Jutta Speidel: "Ich bin kein bequemer Mensch"

    Sie könnten in dieser reichen Stadt München ein bequemes Leben führen. Warum tun Sie sich dieses herausfordernde Projekt eigentlich an?

    Speidel: Diese Frage habe ich mir nie gestellt. Die ist absurd für mich. Ich bin kein bequemer Mensch, sondern laufe wach durchs Leben. Horizont ist ein wunderbares Projekt mit immer neuen Herausforderungen. Da steht man nie still.

    Aber das ist doch auch anstrengend, oder?

    Speidel: Ja, man muss schon auf sich aufpassen. Das sage ich auch meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Wenn es denen nicht gut geht, sollen sie sich auch die Zeit nehmen, um wieder zur Ruhe zu kommen.

    Wie lange wollen Sie das noch machen, und wer soll „Horizont“ mal weiterführen?

    Speidel: Noch bin ich ja da! Was soll ich auch machen? Wir haben inzwischen Besitz, den wir erhalten müssen.

    Aber genau darum müsste man doch irgendwann über eine Nachfolge reden?

    Speidel: Ja, da haben wir auch schon oft darüber diskutiert. Aber ich bin doch noch „jung und knackig“ (lacht). Da wüsste ich nicht, warum ich jetzt aufhören sollte. Aber klar, wir machen uns darüber Gedanken. Je besser mein Team verzahnt ist und funktioniert, desto leichter ist das für mich. Und so werden wir gemeinsam eine Nachfolge auf den Weg bringen. Da wird sich jemand finden. Aber noch eilt es nicht.

    Was ist für Sie heute wichtiger - die Schauspielerei oder die Hilfe für bedürftige Mütter und Kinder?

    Speidel: Für mich sind drei Dinge wichtig: meine Familie, Horizont und mein Beruf. Sie stehen auf drei Säulen und haben nicht wahnsinnig viel miteinander zu tun. Und ich kann mich immer erholen, wenn ich die Säule wechsle. Früher fand ich es immer klasse, wenn ich zum Drehen gefahren bin und mich von der Familie erholen konnte (lacht). Tatsache ist, ich ziehe aus allen drei Aufgaben für mich das Beste heraus. Ich lebe absolut im Heute, Hier und Jetzt und nicht irgendwo.

    Neben Schauspielerei und Horizont haben Sie noch eine Aufgabe: Oma!

    Speidel: …und Mutter!

    Was ist schwieriger - Oma oder Mutter!

    Speidel: Mutter natürlich!

    Inwiefern?

    Speidel: Als Oma erlebe ich nur die schönen Sachen und kann die Kinder jederzeit wieder abgeben.

    In einem Interview haben Sie mal angekündigt, dafür zu sorgen, dass Ihr Enkel einmal ein Gentleman wird. Wirklich wahr?

    Speidel: Das habe ich versucht, aber ich glaube, ich werde daran scheitern. Denn er ist jetzt schon mit fünf Jahren ein verwöhntes Kerlchen. Dabei erzieht ihn meine Tochter ganz gut. Aber der Kleine weiß ganz genau, wie er seine Mutter und auch die Oma um den Finger wickeln kann.

    Sie wollten aus dem Fünfjährigen auch einen Mann machen, der im Haus mit anpacken kann. Sie sagten wörtlich: „Ich werde ihm beibringen, wie man einen Nagel in die Wand schlägt, wie man einen Bohrer ansetzt, wie man Holz hackt und wie man eventuell einen Fußboden verlegt - all die Dinge, die ich heute an fast allen Männern vermisse“. Wie läuft das Vorhaben?

    Speidel: Na ja… Aber das mit dem Hammer und dem Nagel haben wir schon probiert. Das findet er großartig. Und wir haben vor, gemeinsam ein Baumhaus zu bauen, allerdings müssen wir da mit dem Sägen vorsichtig sein.

    Wäre es Ihnen recht, wenn ihr Enkel einen Handwerksberuf ergreifen würde? Gerade konnte man lesen, im Raum München tun das zu wenige.

    Speidel: Ich hätte überhaupt nichts dagegen, wenn er sich für etwas Bodenständiges entscheiden würde. Gerade tendiert er allerdings zum Bergsteiger und bouldert wie verrückt. Deswegen kriegt er ja auch ein Baumhaus.

    "Ich habe wieder einen neuen Partner an meiner Seite", sagt Jutta Speidel

    Am Schluss noch eine obligatorische Frage: Gibt es neben Ihrem Enkel wieder einen weiteren Mann in Ihrem Leben?

    Speidel: Nein. Oder doch! Ja, ich habe wieder einen neuen Partner an meiner Seite und zwar einen Vierbeiner, den Gustl.

    Ah, der Gustl!

    Speidel: Ja, ein Parson-Russell-Mix. Der ist jetzt seit einem dreiviertel Jahr an meiner Seite und benimmt sich manchmal richtig schlecht. Er klaut herumliegende Bälle, gräbt im Garten und läuft mir dauernd weg.

    Nein!

    Speidel: Doch. Und zwar gerne auch hinter anderen Weibern her!

    Ein typischer Münchner, würde ich sagen.

    Zur Person: Jutta Speidel gehört zu den erfolgreichsten deutschen Fernsehschauspielerinnen. Entdeckt wurde sie 1969 für die sogenannten „Pauker-Filme“. Die 68-Jährige wohnt in München und hat zwei erwachsene Töchter.

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