Frau Gerlach, Sie sind seit gut drei Wochen im Amt und man hat den Eindruck, die harte Haltung Bayerns gegenüber der Ampel in der Gesundheitspolitik hat sich nicht verändert. Fühlen Sie sich wohl in ihrer neuen Rolle als Hauptgegenspielerin von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach?
JUDITH GERLACH: Die großen Themen wie die Krankenhausreform sind weiter aktuell. Die bayerische Haltung bleibt hier konsequent: Wir wollen, um die Versorgungssicherheit der Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten, unsere Planungshoheit als Länder behalten. Das war kein Wahlkampfgetöse, das sehen alle Bundesländer so. Und wie schon mein Vorgänger Klaus Holetschek bin auch ich der Meinung, dass wir zwar eine Krankenhausreform brauchen, dass diese aber nicht von einem Berliner Schreibtisch aus geplant und umgesetzt werden kann. Vielmehr muss dies vor Ort geschehen, weil alle Bundesländer andere Herausforderungen haben und wir selbst am besten wissen, welche Kliniken wir wo und mit welchem Angebot brauchen. Deswegen kämpfe ich für den Erhalt der Gestaltungshoheit der Länder.
Wie war Ihr erstes Zusammentreffen mit Lauterbach?
GERLACH: Ich habe den Bundesgesundheitsminister in der vergangenen Woche in Berlin getroffen, wegen des Bund-Länder-Gesprächs zur Krankenhausreform – und ich war sehr erstaunt über sein Vorgehen. Denn es waren extra die Ministerinnen und Minister aus allen 16 Ländern angereist, um mit Lauterbach über wichtige inhaltliche Punkte zur Krankenhausreform zu diskutieren. Doch Lauterbach legte nichts Schriftliches vor, sondern präsentierte nur sieben mündliche Vorschläge. Damit waren seriöse Verhandlungen nicht möglich – das verzögert alles und wird diesem wichtigen Thema nicht gerecht. Statt die Krankenhausreform voranzutreiben, hat die Ampelkoalition viel Zeit für die Cannabislegalisierung – und lockert dort die Regeln immer weiter. So soll nicht nur der private Besitz auf bis zu 50 Gramm erhöht werden, sondern es sollen auch die Verbotszonen beim Cannabiskonsum um Schulen, Spielplätze und Kindergärten von 200 auf 100 Meter reduziert werden. Das kann ich nicht verstehen: Drogenkonsum in Sichtweite von Kindern und Jugendlichen widerspricht fundamental unserem Jugendschutz.
Verhaken sich Bund und Länder aber nicht auch gegenseitig bei der Krankenhausreform? Bayern hat mit anderen Unionsländern fünf Milliarden Euro zusätzlich für die Klinken gefordert, obwohl im Haushalt ein riesiges Milliardenloch klafft. Ist das seriös?
GERLACH: Unser Antrag ist mit den Stimmen der 16 Länder einstimmig im Bundesrat beschlossen worden. Das kann der Bund nicht als irgendeinen Querulantenantrag abtun. Die Lage an den Kliniken ist überall in Deutschland wegen der hohen Belastungen auch in Folge der Inflation sehr ernst. Wenn wir hier nicht etwas tun, ist die Gefahr groß, dass einige Krankenhäuser die Reform gar nicht mehr erleben, weil sie vorher insolvent sind. Ein kalter Strukturwandel aber ist das Gegenteil einer verantwortlichen Krankenhausreform, denn dann droht der Verlust von dringend benötigten Grundversorgungsstrukturen. Und der Bund ist zuständig für die Finanzierung der Betriebskosten der Krankenhäuser, er kann sich nicht wegen Haushaltsproblemen aus der Verantwortung und seinen Verpflichtungen stehlen.
Die Krankenkassen, der Bund und die Träger kritisieren seit Langem, dass die Bundesländer und auch Bayern ihrer Verpflichtung nicht nachkommen, die Investitionen der Krankenhäuser ausreichend zu finanzieren. Sind da nicht auch Sie in der Verantwortung?
GERLACH: Wir haben keinen Investitionsstau in Bayern. Wir kommen unseren Hausaufgaben nach. Bayern investiert von allen Flächenländern am meisten – und wir erhöhen die Mittel in den kommenden Jahren deutlich. Das akute Problem der deutschen Krankenhäuser sind nicht die Investitionskosten, sondern die Betriebskosten. Es geht vor allem um die durch Tarifabschlüsse gestiegenen Lohnkosten und die Folgen der höheren Energiekosten. Hier laufen die Hilfen des Bundes spätestens im Frühjahr aus. Auch deshalb brauchen wir unbedingt ein Soforthilfeprogramm.
Der Bund wollte den Kliniken sechs Milliarden aus Krankenkassenreserven zur Verfügung stellen. Doch Bayern blockiert das dazugehörige sogenannte Transparenzgesetz im Bundesrat. Was haben Sie dagegen, dass sich Patientinnen und Patienten in einem Internetatlas informieren können, wie gut eine Klinik bei bestimmten Eingriffen ist?
GERLACH: Zunächst zu den sechs Milliarden: Minister Lauterbach hat die Auszahlung künstlich mit dem Gesetz verknüpft, um es durch den Bundesrat zu bekommen. Das hat nicht funktioniert. Das ist auch kein Geld des Bundes, sondern es geht um eine vorzeitige Auszahlung von vorhandenen Geldern, die den Kliniken zustehen. Nun zum Transparenzgesetz: Wir haben natürlich nichts gegen Transparenz und bessere Informationen für Patientinnen und Patienten. Doch darum geht es hier gar nicht. Der Bundesgesundheitsminister will vielmehr mit dem Gesetz umstrittene Teile der Reform gegen den Willen der Länder durch die Hintertür festzurren. Da geht es um sogenannte Leistungsgruppen und Level, mit denen der Bund im Vorfeld der Krankenhausreform die Planungshoheit der Länder beschneiden will.
Aber streiten Sie so nicht auf dem Rücken der Patientinnen und Patienten, die nun nicht besser informiert werden?
GERLACH: Es gibt bereits ein Klinikregister und die Krankenhäuser sind schon jetzt verpflichtet, sehr viele Daten zu veröffentlichen. Der bessere Weg wäre es, dieses Register auszubauen und die Daten endlich nutzerfreundlich und gut verständlich für die Bürger aufzubereiten. Hinter den Plänen der Ampel stecken aber andere Motive: Sie missbraucht das Register für ihr Ziel, aus Berlin in die Krankenhausplanung einzugreifen. Dabei besteht sogar die Gefahr, dass Patienten über die tatsächliche Qualität einzelner Kliniken getäuscht werden.
Nun herrscht Einigkeit, dass eine Reform nötig ist, um mit knapper werdenden Fachkräften die Krankenhausversorgung sicherzustellen. Ist es aber überhaupt clever, jetzt Klinikkapazitäten abzubauen, wenn in ein paar Jahren die bevölkerungsstärkste Gruppe der Babyboomer in ein medizinisch kritisches Alter kommt?
GERLACH: Natürlich müssen wir bei der Krankenhausreform auch die Bevölkerungsentwicklung in den Blick nehmen. Clever wäre es deshalb, der Bundesgesundheitsminister würde endlich die von den Ländern seit Langem geforderten Auswirkungsanalysen der Reformpläne vorlegen. Die Länder können bei so einer weit in die Zukunft gerichteten Reform nicht die Katze im Sack kaufen. Und dabei ist auch wichtig, alle Beteiligten anzuhören, die am Ende die Reform mittragen sollen.
Ist das Ziel noch realistisch, die Reform bis April zu beschließen?
GERLACH: Nach dem letzten Treffen mit dem Bundesminister fehlt mir die Fantasie, dass wir die Krankenhausreform bis Ostern über die Bühne bringen, aber wir wollen als Länder unseren Teil dazu beitragen. Das nächste Treffen ist im Januar geplant. Ob der Zeitplan gelingt, hängt jetzt in allererster Linie vom Bundesgesundheitsminister ab. Entscheidend ist, dass wir weiterhin eine gute Versorgungssicherheit für die Menschen auch in der Fläche garantieren können.
Kommt nun von der früheren Digitalministerin auch ein Digitalschub im Gesundheitsbereich?
GERLACH: Das wünsche ich mir – und daran arbeite ich. Entscheidend ist für mich immer, dass der Alltag der Menschen erleichtert wird. Bei den Krankenhäusern ist hier schon viel passiert. Ein neues Projekt ist die virtuelle Kinderklinik, bei der durch die digitale Verknüpfung der Häuser die Behandlungskapazitäten schneller untereinander erkannt werden. Bisher muss hier viel miteinander telefoniert werden, um herauszufinden, wer welches kranke Kind aufnehmen kann. Aber gerade bei der Pflege sehe ich großen Nachholbedarf. Daher schaffen wir gerade eine Kompetenzstelle beim Landesamt für Pflege, die dabei helfen soll, digitale Strukturen aufzubauen, um hier Bürokratie abzubauen.
Apropos Kinderklinik: Atemwegserkrankungen nehmen wieder deutlich zu und viele Eltern machen sich Sorgen, ob es wieder zu dramatischen Engpässen bei Medikamenten wie Fiebersäften kommen wird?
GERLACH: Engpässe wird es hier leider immer wieder geben, aktuell sind vor allem Antibiotika betroffen. Es ist längst klar, dass wir hier langfristige Lösungen brauchen. Da ist aber vor allem der Bund gefragt.
Zur Person
Judith Gerlach, 38, ist gebürtige Würzburgerin und war vor ihrer Berufung zur bayerischen Gesundheitsministerin Ministerin für Digitales. Die Juristin ist seit 2002 in der CSU und lebt mit ihrem Mann und den gemeinsamen beiden Kindern in Weibersbrunn im Landkreis Aschaffenburg.