Wir sind mitten in einer Hitzewelle. Haben wir eigentlich gerade einfach nur Sommer oder ist das schon der Klimawandel?
PROFESSOR HARALD KUNSTMANN: Von dem Einzelereignis können wir nicht darauf schließen. Aber Klimawandel ist, wenn sich solche Ereignisse häufen, wenn sie immer wahrscheinlicher auftreten. Also von der jetzigen Hitzewelle allein kann man nicht auf den Klimawandel schließen. Aber wenn man die Häufung, die Änderung der Intensität und die Dauer solcher Ereignisse über etliche Jahre hinweg anschaut, dann kann man das.
Dass es heißer wird, lässt sich durch Daten belegen. Aber wie erforscht man eigentlich, dass das an uns Menschen liegt?
KUNSTMANN: Das nennt man Attribution, also Zuordnung. Das ist ein eigener Teil in der Klimaforschung, da arbeitet man mit umfangreichen Computersimulationen. Wir können untersuchen, wie viel häufiger solche Ereignisse bei höheren Treibhausgasemissionen werden, im Vergleich zum Referenzklima, wie wir es zum Beispiel in den letzten 30 Jahren hatten. Das können wir uns weltweit anschauen, aber auch für unsere Region. Und wir können statistisch darauf schließen, zu welchem Anteil Veränderungen auf den anthropogenen, also menschengemachten Klimawandel zurückzuführen sind.
Und woran liegt es, dass solche Hitzewellen nun häufiger auftreten?
KUNSTMANN: Wir erklären solche Zusammenhänge erst mal gerne etwas vereinfacht, damit sie verständlicher sind. So zum Beispiel – was erst mal auch richtig ist –, dass Hochdruckgebiete persistenter werden, also länger anhaltend, weil nachfolgende Tiefdruckgebiete von Westen her weniger dynamisch als früher über den Atlantik nachgeschoben werden. Der Antrieb dafür hängt mit der Temperaturdifferenz zwischen den Polen – bei uns dem Nordpol – und dem Äquator beziehungsweise mit unseren Breiten zusammen. Und dieser Temperaturunterschied wird geringer, weil sich der Nordpol infolge der Treibhausgasemissionen und der globalen Erwärmung viel stärker erwärmt als unsere Region. Damit wird der Motor, der die Hoch- und Tiefdruckgebiete antreibt, schwächer und sie bleiben länger an einem Ort.
Aber das ist vereinfacht?
KUNSTMANN: Tatsache ist, dass dieses Phänomen allein nicht ausreicht, um die Entwicklung zu erklären. Da sind noch weitere Effekte dafür verantwortlich, die aber schon etwas schwieriger und weniger anschaulich vermittelt werden können. Zum Beispiel spielt die Bodenfeuchte eine große Rolle. Wenn der Boden feucht ist, dann verdunstetet bei Wärme erst einmal Wasser. Das benötigt Energie, deshalb wärmt sich der Boden weniger auf. Das quantitativ genau zu beschreiben, das erlauben uns nur unsere aufwendigen Computermodelle. Das sind teilweise 200.000 Zeilen programmierter Code, in denen all unser physikalisches Wissen steckt. Da ist es dann nicht mehr ganz so leicht, aus den Ergebnissen einfachere Dinge zu extrahieren, die man der Öffentlichkeit gut verständlich machen kann.
Sie arbeiten mit hunderttausendzeiligen Codes und mit Klimamodellen, die unser gesammeltes Wissen berücksichtigen. Wenn man über den Klimawandel berichtet, kann man gleichzeitig aber noch immer sicher sein, dass jemand auf Facebook kommentiert: "Früher war's aber auch heiß."
KUNSTMANN: Das ist ja auch richtig. Aber es ist die Häufigkeit, die sich ändert. Das lässt sich auch im IPCC-Bericht nachlesen, das ist die Auswertung der gesamten bekannten wissenschaftlichen Literatur. So gut wie alle Studien kommen zu diesem Ergebnis. Ich würde ja sagen, dass die Klimaforschung schon noch Etliches machen muss. Aber bei allem, was mit dem Temperaturanstieg zu tun hat, ist man sich schon sehr einig.
Nun werden wir an der aktuellen Hitzewelle nicht mehr viel ändern können. Aber wie sieht es für die Zukunft aus?
KUNSTMANN: Klimaschutz hat zwei Säulen: Die Linderung, also die Reduktion der Treibhausgasemissionen, und die Anpassung. Bei der Linderung tun wir uns sehr schwer. Da müssen alle zusammenhelfen. Wir müssen alle gemeinsam die Emissionen runter kriegen, erst dann reagiert das System, erst dann wird die globale Erwärmung nicht mehr weiter ansteigen. Bei der Linderung haben wir weiterhin extrem große Schwächen in der Umsetzung. Weil wir uns im internationalen Gemenge sehr schwer tun, den ersten Schritt zu machen. Wir haben immer Angst, wenn wir etwas machen, dass die anderen auch davon profitieren, ohne dass sie selbst etwas ändern.
Aber immerhin bei der Anpassung können wir einfacher etwas machen?
KUNSTMANN: Bei der Anpassung können wir als Land, als Staat, als Kommune sehr viel tun, wo man direkte Vorteile sieht. Wir können Hitzeaktionspläne erstellen und unsere Städte zum Beispiel baulich so verändern, dass sie zumindest lokal abkühlen. Da fällt es vielen Entscheidungsträgern leichter, schneller voranzugehen als bei der Linderung. Weil wir den direkten Nutzen für die Region sehen. Wenn die Stadt Augsburg sich hitzeresistenter macht, dann profitiert die Stadt Augsburg direkt davon. Wenn die Stadt Augsburg hingegen sagt, wir mindern unsere Emissionen, dann ist das verantwortungsbewusst und vorbildhaft, weil nur so die nationalen und letztlich internationalen Emissionsreduktionsziele erreicht werden können. Aber alle anderen Kommunen und Staaten müssen es ebenfalls so verantwortungsbewusst machen, sonst spürt Augsburg davon nichts.
Wie blickt jemand wie Sie, der sich den ganzen Tag mit dem Klimawandel beschäftigt, eigentlich in die Zukunft? Sorgenvoll? Oder doch zuversichtlich?
KUNSTMANN: Es ist beides. Die Menschheit wird nicht untergehen, das muss man entgegen mancher Sensationsberichterstattung doch einmal ganz klar sagen. Wir sind ja keine hilflosen Tiere, die zur Schlachtbank geführt werden und sich ihrem Schicksal ergeben müssen. Wir sind Akteure. Wir können handeln. Aber natürlich wird es für viele Regionen weltweit schwer, manche werden auch nicht mehr bewohnbar sein, alleine schon wegen des mit der globalen Erwärmung verbundenen Meeresspiegelanstiegs. Da mache ich mir natürlich schon große Sorgen. Und es ist auch manchmal deprimierend. Weil ich sehe, dass gerade die Säule der Klima-Linderung, die Reduktion von Treibhausgasen, dass wir die weiterhin nicht so ernst nehmen, wie wir das müssten, wenn wir die Klimaänderung in den Griff bekommen möchten. Mein Appell ist: Lasst es uns wirklich ernst nehmen.
Zur Person
Prof. Dr. Harald Kunstmann (*1968) ist Inhaber des Lehrstuhles "Regionales Klima und Hydrologie" und Gründungsdirektor des Zentrums für Klimaresilienz an der Universität Augsburg.