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Interview: Infektiologe Wendtner: "Omikron wird im Januar dominant sein"

Interview

Infektiologe Wendtner: "Omikron wird im Januar dominant sein"

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    Professor Dr. Clemens Wendtner, Chefarzt an der München Klinik Schwabing, behandelte dort mit seinem Team die ersten Covid-Patienten Deutschlands.
    Professor Dr. Clemens Wendtner, Chefarzt an der München Klinik Schwabing, behandelte dort mit seinem Team die ersten Covid-Patienten Deutschlands. Foto: München Klinik Schwabing, dpa

    Aktuell haben wir in Bayern noch mit der Delta-Welle zu kämpfen, doch die neue Omikron-Variante ist im Freistaat schon angekommen. Herr Professor Dr. Wendtner, wie lange wird es wohl dauern, bis sich diese Variante hier durchsetzt?

    Prof. Dr. Clemens Wendtner: Diese Virusvariante verbreitet sich sehr schnell, mindestens doppelt, wenn nicht sogar vierfach so schnell wie Delta. Man kommt da relativ schnell zur Erkenntnis, dass Omikron im Januar auch bei uns die dominante Variante sein wird.

    Das klingt beunruhigend...

    Wendtner: Man muss sich immer auf ein Worst-Case-Szenario vorbereiten, um dann eben auf oder vor der Welle zu schwimmen. Und nicht hinter der Welle. Und wir können uns vorbereiten, durch Boosterimpfungen und adaptierte Impfstoffe.

    Sie sagen, dass man vor die Welle kommen muss. Müsste sich dann die Politik nicht jetzt schon stärker auf Omikron vorbereiten?

    Wendtner: Wenn man sich das exponentielle Wachstum vor Augen hält, dann sind wenige Wochen eine verdammt lange Zeit. Und ja, die Politik muss jetzt handeln. Das heißt, dass wir zum einen die Impfinitiative noch sehr viel konsequenter ausbauen müssen. Da bin ich aber guter Dinge, das ist ja jetzt durch Bundesminister Lauterbach sehr stark in den Vordergrund gerückt. Die Bevölkerung muss mitmachen, sie muss sich boostern lassen. Aber es gibt noch weitere Vorbereitungen, die getroffen werden müssen. Zum Beispiel müssen Kontaktreduktionen wirklich ernst genommen und schneller umgesetzt werden.

    Kommen wir angesichts der hohen Infektiosität der Omikron-Variante an einem Lockdown überhaupt noch vorbei?

    Wendtner: Ich habe bereits vor vier Wochen gesagt, dass ich einen flächendeckenden Lockdown in der jetzigen Phase für das bewährte Mittel halte. Auch die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina hat dies so empfohlen. Wir haben die bisherigen Wellen der Pandemie immer durch einen klassischen Lockdown überwunden, weil dann eben auch signifikante Kontaktreduktionen stattfinden. Die kann man nicht in dieser Größenordnung auf freiwilliger Basis erwarten, da müssen letztendlich Vorgaben von außen kommen. Angesichts der drohenden Omikron-Ausbreitung wäre ein kurzer, zeitlich befristeter Lockdown gerade jetzt im Sinne der Eindämmung sinnvoll, aber die Entscheidung muss die Politik treffen. Ich hoffe, dass es mit den aktuellen partiellen Kontaktbeschränkungen im Sinne von 2G auch funktioniert. Aber ich bin skeptisch, ob das angesichts der drohenden Omikron-Welle wirklich reicht.

    Brauchen wir eine Impfpflicht, um gegen Omikron gewappnet zu sein?

    Wendtner: Es wird ja eine einrichtungsbezogene Impfpflicht kommen, ich glaube nur, dass das alleine nicht ausreichend sein wird. Wir brauchen meiner persönlichen Überzeugung nach eine allgemeine Impfpflicht. Und die Diskussion darüber und die Umsetzung müssen zeitnah erfolgen. Es macht keinen Sinn, ein halbes Jahr zu diskutieren. Es muss jetzt schnell gehandelt werden.

    Omikron wird auch in Bayern immer öfter nachgewiesen. Die neue Variante verbreitet sich extrem schnell und könnte in wenigen Wochen die bisher vorherrschende Delta-Variante abgelöst haben.
    Omikron wird auch in Bayern immer öfter nachgewiesen. Die neue Variante verbreitet sich extrem schnell und könnte in wenigen Wochen die bisher vorherrschende Delta-Variante abgelöst haben. Foto: Michael Buholzer, dpa (Symbolbild)

    Noch vor ein paar Wochen war man ja einigermaßen optimistisch, dass die Pandemie im Frühling so langsam zu Ende gehen würde. Müssen wir diese Hoffnung nun aufgeben?

    Wendtner: Ich gehe davon aus, dass sich das Infektionsgeschehen nicht bis Ostern beenden lässt, sondern dass wir noch länger mit dieser Pandemie zu tun haben, hoffentlich in einer abgeschwächten Form. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir durch maßgeschneiderte Impfstoffe, die eben auch so eine Variante wie Omikron gut abdecken, und maßgeschneiderte Antikörper-Therapeutika, die auch Omikron attackieren, hier doch Möglichkeiten haben, um medizinische und gesellschaftliche Schäden besser als in den Vorwellen abpuffern zu können.

    Die Impfstoffhersteller haben ja bereits angekündigt, dass die Vakzine angepasst werden. Viele Menschen fragen sich, ob sie mit dem Boostern noch warten sollen...

    Wendtner: Man sollte nicht warten. Denn die Boosterung mit dem aktuellen Impfstoff bietet schon einen guten Teilschutz vor Omikron, das wissen wir aus ersten klinischen Daten aus Südafrika und aus ersten präklinischen Experimenten. Sich boostern zu lassen, ist jetzt das Gebot der Stunde. Es kann bis April dauern, bis ein adaptierter Omikron-Impfstoff verfügbar und freigegeben ist. Wir haben also vier entscheidende Monate, die wir anders überbrücken müssen. Ich gehe davon aus, dass der nächste Booster dann im Laufe des Frühjahrs erfolgen wird.

    Das bedeutet, dass jeder, der sich jetzt boostern lässt, schon in ein paar Monaten wieder geimpft wird?

    Wendtner: Davon würde ich nach jetzigem Datenstand ausgehen, ja.

    Lassen Sie uns ein bisschen detaillierter über die neue Variante sprechen. Mittlerweile gibt es erste Labordaten – und die klingen nicht gut. Die Wirkung von Antikörpern ist im Vergleich zur Delta-Variante deutlich geringer, die Rede ist von einer 40-fach niedrigeren Neutralisation. Liegt das an den vielen Veränderungen im Spike-Protein?

    Wendtner: Genau. Es gibt bei Omikron nach derzeitigem Wissensstand circa 50 Mutationen, davon sind 31 im Bereich des Spike-Proteins.

    Und trotzdem wirkt der aktuelle Impfstoff noch, zumindest teilweise? Immerhin basiert die Wirkung der mRNA-Impfstoffe darauf, dass der Körper auf einen Bauplan des Spike-Proteins reagiert. Nun sieht dieses Protein bei Omikron aber deutlich anders aus…

    Wendtner: Das Spike-Protein ist zum einen für die Rezeptorbindung zuständig, aber es ist auch die Struktur, die umgekehrt vom Immunsystem genutzt wird, wenn durch eine Impfung Antikörper generiert wurden. Entsprechend deuten erste Daten darauf hin, dass der Immunschutz hier sehr unvollständig ist. Er liegt aber nicht bei null Prozent, so weit würde ich nicht gehen. Aber die Wirksamkeit der normalen Zweifachimpfung ist sehr eingeschränkt, wie neueste Daten zeigen. Die positive Nachricht ist aber, dass es durch eine Boosterung einen Anstieg der Neutralisation gibt. Man hat also durch den Booster einen gewissen Schutz vor dem Virus. Das bezieht sich natürlich alles auf ein Laborexperiment. Wir wissen durch diese Daten auch nicht, ob nicht vor einer schweren Erkrankung nach wie vor ein guter Schutz besteht. Davon gehe ich aber aus.

    Wie kommen Sie zu diesem Schluss?

    Wendtner: In Südafrika mussten wenige erwachsene Menschen, die geimpft oder genesen waren, in Krankenhäusern behandelt werden. Es scheint also einen gewissen Schutz zu geben. Das Hauptproblem sind die Ungeimpften, für die Omikron eine Bedrohung ist. Auch das zeigen die Daten aus Südafrika. Dort sind leider oft kleine Kinder schwer erkrankt, die auch dort noch nicht geimpft wurden. Man darf nicht der Illusion erliegen, dass es nur leichte Verläufe gibt.

    Genau das hoffen derzeit aber viele Menschen: Dass Omikron zwar ansteckender, aber harmloser ist.

    Wendtner: Die Beobachtungen aus Südafrika beruhen auf einer Population, die zum Großteil geimpft oder genesen war. In Südafrika gibt es außerdem wenig ältere Menschen, der Anteil an über 60-Jährigen liegt bei etwa 15 Prozent. Wir haben also eine sehr junge Population und diese jungen, geimpften oder genesen Menschen hatten einen milderen Verlauf. Wenn man aber in die Tiefe schaut, dann sieht man eben, dass kleine Kinder, die nicht geimpft wurden, in den Krankenhäusern liegen. Das haben wir Deutschland bisher kaum gesehen. Das macht mich besorgt. Und es kommt noch etwas hinzu: Die Viruslast bei Omikron ist sehr hoch. Es würde mich also wundern, wenn wir nur milde Verläufe hätten. Es gibt mittlerweile auch erste Nachrichten von hospitalisierten Patienten mit einer nachgewiesenen Omikron-Variante in England, leider auch schon Berichte über erste Todesfälle.

    Die Stiko hat eben erst die Impfung für Kinder mit Vorerkrankungen empfohlen. Wäre es Ihnen lieber gewesen, man hätte die Impfung grundsätzlich für alle Kinder ab fünf Jahren empfohlen?

    Wendtner: Ja, ich persönlich bedauere das ein wenig. Ich sehe nicht nur akute Probleme, sondern auch langfristige – Stichwort: Long Covid. Man hätte ein wenig mutiger entscheiden können, um Eltern eine bessere Orientierung zu geben. Aber es ist ja möglich, seine Kinder impfen zu lassen. Und in Analogie zu Herrn Mertens sage ich jetzt: Ich würde meine Kinder impfen lassen.

    Zur Person: Prof. Dr. Clemens Wendtner ist Chefarzt der Infektiologie an der München Klinik Schwabing und berät die Regierung in Corona-Fragen.

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