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Interview: „In der medizinischen Versorgung Geflüchteter wirkt sich der Ärztemangel extrem negativ aus“

Interview

„In der medizinischen Versorgung Geflüchteter wirkt sich der Ärztemangel extrem negativ aus“

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    Die CSU will nach der Tat von Aschaffenburg den Umgang mit psychisch Kranken reformieren. Eine erfahrene Psychiaterin am BKH Günzburg warnt vor schnellen Lösungen. Zu viele Patientinnen und Patienten wären betroffen.
    Die CSU will nach der Tat von Aschaffenburg den Umgang mit psychisch Kranken reformieren. Eine erfahrene Psychiaterin am BKH Günzburg warnt vor schnellen Lösungen. Zu viele Patientinnen und Patienten wären betroffen. Foto: Armin Weigel, dpa

    Frau Professor Dudeck, Sie sind Ärztliche Direktorin der Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie am Bezirkskrankenhaus Günzburg. Die CSU will nach dem tödlichen Angriff in Aschaffenburg psychisch Kranke im Gefahrenfall auch gegen ihren Willen einweisen – brauchen wir so eine Verschärfung?
    PROFESSOR DR. MANUELA DUDECK: Ich bin gegen eine Zwangsbehandlung, weil es unseren Freiheitsgrundsatz ganz erheblich einschränken würde. Denn wo fangen wir dann an, wo hören wir auf? Es erkranken beispielsweise etwa 25 Prozent aller Menschen in ihrem Leben an einer Depression. Je nach Schweregrad kann auch eine Depression mit psychotischen Symptomen einhergehen, die in schlimmen Fällen zu Selbst- und Fremdgefährdungen führen können – sollen und wollen wir die Patienten dann auch alle zwangseinweisen? Und wollen wir dann alle Menschen, die beispielsweise nach einem Trauma oder nach einer Medikamentengabe, die kurzzeitig psychotisch werden, zwangsweise behandeln und in die Psychiatrie einweisen?

    Beim Täter in Aschaffenburg soll zumindest zeitweise eine Schizophrenie diagnostiziert worden sein. Bei dieser Erkrankung hört man immer wieder, fehlt Betroffenen oft die Einsicht, krank zu sein und damit auch die Bereitschaft, sich behandeln zu lassen.
    DUDECK: Ja, das ist ein großes Problem bei dieser Erkrankung. Wir haben hier in Günzburg daher auch eine Präventionsstelle eingerichtet, die sich vor allem an Menschen richtet, die an einer Schizophrenie erkrankt sind. Denn diese psychische Erkrankung geht auch mit einem Risiko zu einer erhöhten Gewaltbereitschaft einher. Bei erkrankten Männern ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie gewalttätig werden, um das Zwei- bis Siebenfache erhöht, bei Frauen sogar um das Neunfache.

    Was passiert bei der Erkrankung?
    DUDECK: Die Erkrankten hören immer wieder Stimmen und geraten in wahnhafte Situationen. Sie glauben beispielsweise, dass sie verfolgt werden, dass Stimmen aus dem Radio oder Fernseher nur zu ihnen sprechen, dass sie Naturphänomene ändern oder Züge anhalten können, weil sie über Superkräfte verfügen. Das führt immer wieder zu tödlichen Tragödien, die spielen sich aber in der Regel in den Familien ab – denken Sie nur an den Fall in Darry im Jahr 2007, wo eine Mutter ihre fünf Söhne getötet hat.

    Ist die Erkrankung dann überhaupt therapierbar oder geht von den Patienten immer wieder eine Gefahr aus?
    DUDECK: Wenn die Patientinnen und Patienten sich einer Behandlung unterziehen und ihre Medikamente nehmen, dann geht von 30 bis 40 Prozent der Betroffenen keine Gewalt aus und sie können auch gut mit der Krankheit leben. Etwa 30 Prozent der Patienten leben mit Einschränkungen und etwa 30 Prozent setzen ihre Medikamente immer wieder ab, und von denen geht auch eine Gefahr aus, das muss man so festhalten. Das sind ganz oft Menschen, die infolge ihrer Erkrankung in die Obdachlosigkeit geraten, weil sie kognitiv massiv abbauen und sich auch nicht mehr der Gesellschaft zugehörig fühlen. Was man aber auch wissen muss: Schizophrenie tritt weltweit nur bei 0,5 bis drei Prozent der Menschen auf, unabhängig von den einzelnen Ländern. In Deutschland sind also etwa eine Million Menschen betroffen. Und die Frage ist: Muss eine Gesellschaft nicht das Risiko, das von dieser kleinen Gruppe Erkrankter ausgeht, aushalten? Was kaum thematisiert wird: Wir haben in Deutschland ein Recht auf Nichtbehandlung. So nehmen beispielsweise 80 Prozent der Patientinnen und Patienten, die von ihrem Arzt oder ihrer Ärztin für ihre Herzbeschwerden Betablocker verschrieben bekommen, diese einfach nicht ein – das kann im schlimmsten Fall bei einem Herzinfarkt im Auto auch zu tödlichen Folgen für andere Menschen führen. Doch darüber wird nie diskutiert.

    Das sehen sicher viele nicht als vergleichbar an.
    DUDECK: Das stimmt, dabei sind neben den tödlichen Gefahren auch die ökonomischen Belastungen durch die vielen Behandlungsverweigerungen enorm. Was mir wichtig ist festzuhalten: Wenn wir einen Zwang zur Behandlung wollen, dann ist das eine ethische und moralische Grundsatzfrage, die nicht infolge eines tödlichen Delikts einfach schnell beantwortet werden kann. Das ist ein hochkomplexes Thema und muss gesamtgesellschaftlich diskutiert werden, da dieser Zwang enorme Folgen für viele psychisch kranke Menschen hätte. Und psychische Erkrankungen damit noch stärker stigmatisiert würden.

    Auffallend ist aber schon, dass immer wieder psychisch kranke Geflüchtete zu Tätern werden.
    DUDECK: Die Flucht erhöht das Risiko für eine Schizophrenie, das ist aber nur ein Risikofaktor für diese Erkrankung. Hinzu kommt, dass viele Geflüchtete aus Ländern kommen, in denen seit vielen Jahren Kriege und Gewalt herrschen. Nicht wenige mussten mit ansehen, wie die Eltern oder Geschwister getötet wurden, da wächst die Gewaltbereitschaft. Und zu Messern wird im Übrigen nicht gegriffen, weil diese Menschen zu archaischen Mitteln greifen, sondern weil Messer zugänglich sind. Ich kann mit jedem Obstmesser töten.

    Brauchen wir dann aber nicht eine viel bessere psychische Versorgung der Geflüchteten?
    DUDECK: Ja, die brauchen wir dringend! Ich würde mir von Anfang an eine bessere und auch eine kultursensible medizinische Versorgung für Geflüchtete wünschen.

    Was heißt das konkret?
    DUDECK: Es muss stärker darauf geachtet werden, woher der Geflüchtete kommt, was er erlebt hat, welche Probleme er hat. Beispielsweise kann jeder Allgemeinmediziner, jede Allgemeinmedizinerin Psychosen erkennen, wenn er oder sie sich die Zeit für den Patienten beziehungsweise die Patientin nehmen kann und beispielsweise mithilfe des Google-Übersetzers das Gesagte auch übersetzt und dem Geflüchteten zuhört. Auch eine Traumatisierung wird dann in der Regel schnell klar. Doch in der medizinischen Versorgung Geflüchteter wirkt sich der Ärztemangel extrem negativ aus.

    Zur Person: Prof. Dr. Manuela Dudeck, 56, ist die Ärztliche Direktorin der Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie am Bezirkskrankenhaus Günzburg und hat den Lehrstuhl für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Ulm.

    Prof. Dr. Manuela Dudeck ist die Ärztliche Direktorin der Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie am Bezirkskrankenhaus Günzburg. Im Interview erklärt sie, warum die Behandlung von Geflüchteten oft erschwert ist.
    Prof. Dr. Manuela Dudeck ist die Ärztliche Direktorin der Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie am Bezirkskrankenhaus Günzburg. Im Interview erklärt sie, warum die Behandlung von Geflüchteten oft erschwert ist. Foto: Bezirkskliniken Schwaben
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    5 Kommentare
    Jochen Hoeflein

    Der Bedarf an Fachärzten sollte sich primär am Bedarf von schon länger im Lande Lebenden also Inländer und Zugewanderte Bewohner orientieren. Und bei Flüchtlingen sich an den Problemen integrierter und integrationswilliger Leute halten und nicht am kriminell auffälligen renitenten Anteil. Diese sind in ihre Heimatländer abzuschieben.

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    Richard Merk

    Was versprechen sie sich von einer Zweiklassengesellschaft in Deutschland? Schließlich geht es darum die innere Sicherheit auf einen möglichst hohen Level zu legen. Wie sie selbst wissen sagen Experten, dass mit einer besseren gesundheitlichen Versorgung die eine oder andere schwere Tat verhindert hätte verhindert werden können. Das gilt selbstverständlich auch für Migranten und Flüchtlinge.

    Thomas Grüner

    Es ist nicht mehr auszuhalten! Diese Damen wünscht eine "kultursensible medizinische" Versorgung von rund einer Million Flüchtlingen! Schauen wir doch mal ausnahmsweise auf die Wirklichkeit: Bürger, die dieses Land aufgebaut haben und immer noch mit Beiträgen finanzieren, werden beim den Ärzten wie Ware innerhalb eines Minutentakts durch die Praxen geschleust. Wegen kleinerer Beschwerden geht man schon lange nicht mehr zum Arzt, da bleibt dann nur noch das Hausmittel oder Dr. Google. Psychologische Belastungen interessieren Ärzte praktisch gar nicht und Psychologen haben monatelange Wartelisten. Und die Erfahrungen mit Psychologen sind bei den meisten Patienten, die ich kenne, eher gemischt. Zurück zu den Flüchtlingen - die meisten mit arabischer Muttersprache, geringen Deutschkenntnissen, patriarchalen und tief religiösen Denkstrukturen: Das schaffen unsere Ärztinnen und Psychologinnen doch locker!

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    Richard Merk

    Machen sie bitte einen Vorschlag wie die Situation für alle Beteiligten unter einen Hut zu bringen ist. Eines ist sicher, es kostet Geld, viel Geld. Das Geldvermögen der privaten Haushalte in Deutschland hat zum Quartalsende ein neues Rekordniveau von rund 9.004 Milliarden Euro erreicht. Es wären also genügend Mittel vorhanden um die gesundheitliche Situation inkl. psychologische Betreuung aller Menschen in Deutschland zu ermöglichen.

    Peter Zimmermann

    Und wenn Habeck über einen Weg spricht wie man es machen könnte werden sofort wieder Ängste erzeugt bei denen die am wenigsten haben, aber gar nicht das Ziel des Vorschlags waren.

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