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Interview: Heinrich Bedford-Strohm im Interview: „Krieg ist immer eine Niederlage“

Interview

Heinrich Bedford-Strohm im Interview: „Krieg ist immer eine Niederlage“

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    „Deutschland ist ungeheuer reich – der Reichtum ist eben nur sehr ungleich verteilt“, sagt der evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm im Interview.
    „Deutschland ist ungeheuer reich – der Reichtum ist eben nur sehr ungleich verteilt“, sagt der evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm im Interview.

    Herr Bedford-Strohm, woran denken Sie, wenn Sie an Sylt denken?

    Heinrich Bedford-Strohm: An Sandstrand und daran, dass ich selber noch nie da war. Ich habe immer gehört, dass es ein Dorado der Schickimicki-Szene ist und sehr, sehr schön sein soll. Daran denke ich – und überhaupt nicht an irgendwelche Hochzeiten oder die Frage, ob jemand Mitglied der Kirche ist oder nicht.

    Sprechen wir aber doch mal darüber. Über Bundesfinanzminister Christian Lindner, der aus der katholischen Kirche ausgetreten ist und kirchlich geheiratet hat.

    Bedford-Strohm: Ich war auch ein bisschen überrascht, als ich davon gelesen habe. Zunächst einmal ist es etwas ganz Schönes, dass zwei Leute heiraten. Und es ist auch was ganz Schönes, dass zwei Leute den Segen Gottes für diese Hochzeit ersehnen. Als Gemeindepfarrer habe ich es immer so empfunden: Da kommt ein Mensch zu mir, der erbittet den Segen Gottes. Und das nehme ich ernst. Dann spreche ich mit dem Menschen über die Frage: Warum? Ich habe eine alte Dame vor Augen, der Mann war aus der Kirche ausgetreten, und sie wollte gerne, dass er beerdigt wird. Ich habe mit der Dame, die Mitglied der evangelischen Kirche war, geredet und dann die Entscheidung getroffen: Ja, ich beerdige ihn – schon allein wegen seiner Frau. Ich habe allerdings auch die Frage gestellt: Würde er das denn wollen? In einem seelsorgerlichen Gespräch habe ich das geklärt und habe dann meine Entscheidung getroffen. Und genauso, vermute ich, ist die Pfarrerin auf Sylt vorgegangen.

    Hoffen Sie, dass Christian Lindner vielleicht in die evangelische Kirche eintritt? Er hat da so Andeutungen gemacht.

    Bedford-Strohm: Ich wäre nicht unglücklich ... Aber das ist keine Sache, die man öffentlich verhandelt. Es geht um den Eintritt in die Kirche, um etwas sehr Intimes. Der Mann und seine Frau werden sich ihre Gedanken machen. Dass ich mich freue, wenn Menschen wieder in die Kirche eintreten, ist doch selbstverständlich. Es ist völlig wurscht, ob das ein Finanzminister oder meine Nachbarin um die Ecke ist.

    Ihre aktuellen Zahlen für das Jahr 2021 belegen ein Minus von 280.000. Die evangelische Kirche hat jetzt noch knapp 20 Millionen Mitglieder in Deutschland.

    Bedford-Strohm: Wir sind schon seit Jahren auf dem Weg, die Konsequenzen zu ziehen, uns zu verändern, auf die unterschiedlichen Bedürfnisse zu reagieren. Wir müssen uns auch klar machen, dass wir als Kirche in einer Gesellschaft stehen, die eine Entwicklung mitgemacht hat, die es unmöglich macht, die Zahlen von 1950 mit den Zahlen von heute zu vergleichen. Wir sind durch sieben Jahrzehnte Individualisierung gegangen. Das bedeutet, dass die Leute sich heute aus Freiheit den Gemeinschaften anschließen und nicht mehr aus sozialem Druck oder Zwang. Ich möchte, dass wir als Kirche den Leuten sagen können: Es ist eine wunderbare Idee, Mitglied der Kirche zu sein. Dass es etwas ungeheuer Tragfähiges im Leben ist, diesen Anker des Evangeliums zu haben. Und da braucht es halt auch eine Institution, die sich allerdings ändern muss.

    Wie kann Kirche sich verändern, ohne sich selbst zu verraten?

    Bedford-Strohm: Da gibt es viel, wo sie sich verändern kann und verändern muss. Die Struktur der Kirche ist zunächst mal orientiert am Zeitgeist des 19. Jahrhunderts. Warum habe ich mein Büro in einem Haus, das sich Landeskirchenamt nennt? Den Heiligen Geist bringst du nicht zuallererst mit dem Wort Amt in Verbindung. Ich glaube, es muss Institutionen geben, es muss auch Formulare für bestimmte Dinge geben. All das ist okay, aber es darf nicht das Zentrum sein. Und deswegen muss eine Institution ausstrahlen, wovon sie spricht. Und das muss auch die Kirche. Wir müssen viel mehr Netzwerk sein, wir müssen viel mehr die Bewegung abbilden. Wir wollen viel mehr regionalisieren. Diejenigen, die am besten wissen, was vor Ort gebraucht wird, sind die Menschen, die vor Ort leben, die Pfarrerinnen und Pfarrer, die Ehrenamtlichen, die anderen kirchlichen Berufsgruppen. Wir wollen eine ganz andere Form von Kommunikation, von der Grundstruktur her muss das alles viel dialogischer werden, und dazu sind natürlich die neuen digitalen Möglichkeiten ideal. Es kann nicht wahr sein, dass wir noch nicht mal die E-Mail-Adressen unserer Mitglieder haben.

    Glauben Sie, dass sich die evangelische Kirche mit Veränderungen leichter tut als die katholische?

    Bedford-Strohm: Ich treffe hier keine Urteile über die katholische Kirche. Wir versuchen da zusammenzuarbeiten, wo es für uns beide gut ist. Und wir haben die gleiche Grundbotschaft. Es gibt keinen katholischen Christus und keinen evangelischen Christus. Es gibt nur den einen Herrn Jesus Christus. Und dem wollen wir dienen und dessen bedingungslose Liebe weitergeben. Und das können wir heute nur noch gemeinsam. Unsere Strukturen sind sehr unterschiedlich, und wir würden bestimmte Dinge nie übernehmen, etwa den Zölibat. Aber wir können in dieser Unterschiedlichkeit trotzdem vieles gemeinsam machen.

    Sie klingen sehr leidenschaftlich, auf jeden Fall nicht amtsmüde. Sie bleiben aber nicht mehr lange Landesbischof. Bis nächstes Jahr im Oktober. Fallen Sie dann erst mal in ein Loch?

    Bedford-Strohm: Also ich habe bei dem Gedanken keinerlei Angst- oder Leeregefühle. Das ist ein wunderbarer Bogen, der sich dann schließt. Mein Leben ist so reich, dass ich mich auf vieles freue, was dann danach kommt. Es war immer klar, dass es nur zwölf Jahre sind. Darauf habe ich mich eingestellt.

    Mit großer Leidenschaft diskutieren Sie ja auch aktuelle Vorgänge und politische Fragen, seit ein paar Monaten stehen der Ukraine-Krieg und vor allem das Thema Waffenlieferungen im Fokus. Das muss einen ja eigentlich zerreißen.

    Bedford-Strohm: Ich glaube, es geht auch nicht anders, als dass man bei dem Thema innerlich zerrissen ist. Es gibt keine einfache Antwort. Es gibt gute Gründe dafür, dass wir als Kirche nie mehr Waffen segnen, also nie mehr begeistert in irgendeinen Krieg ziehen und die religiöse Unterfütterung dafür geben. Krieg ist immer eine Niederlage, Gewalt kann nie gesegnet werden. Jesus sagt uns in der Tat: Liebet eure Feinde. Der Aufruf zur Gewaltlosigkeit durch Jesus ist für uns erst mal ganz zentral. Jetzt gibt es aber die Situation, dass, wenn wir diesem Ruf direkt folgen, viele Menschen ihr Leben verlieren. Wenn wir keine Flugabwehrraketen liefern, dann schlagen eben auch die Bomben an der Stelle ein, wo sie Zivilisten treffen. Ich weiß natürlich gleichzeitig, dass immer mehr Waffen auch immer mehr Zerstörung verursachen. Ich weiß auch, dass der Militäretat der USA bei 770 Milliarden Euro liegt. Mit den Nato-Staaten zusammen sind es etwa 1,2 Billionen Euro, jedes Jahr. Russland hat übrigens 61 Milliarden. Jeden Tag sterben 20.000 Menschen, weil sie nicht genug zu essen oder Medizin haben. Und dieser Hunger in der Welt, der könnte bis 2030 mit 39 bis 50 Milliarden Euro pro Jahr überwunden werden. Wenn ich mir diese Zahlen anschaue, wie viel Geld für Rüstung, für Waffen ausgegeben wird und auf der anderen Seite, dass wir nicht bereit sind, dieses Geld aufzubringen, um den Hunger zu überwinden, dann macht mich das wahnsinnig.

    Unser Land ist natürlich von Wohlstand geprägt, mit Afrika gar nicht vergleichbar. Aber gerade mit Blick auf den Herbst machen sich doch viele Leute Sorgen und fragen sich, wie sie ihre Heizkosten noch bezahlen sollen.

    Bedford-Strohm: Deutschland ist ungeheuer reich – der Reichtum ist eben nur sehr ungleich verteilt. In unserem Land gibt es ein Barvermögen von 6,8 Billionen Euro. Das kann doch nicht wahr sein, dass es in diesem Land nicht möglich sein soll, mit dieser Herausforderung umzugehen und die Menschen, die jeden Euro umdrehen müssen und Angst haben, ob sie es schaffen, ihre Energiekosten zu bezahlen, zu unterstützen. Natürlich können wir das als Land, wir müssen es nur wollen.

    Es heißt ja immer, mit dem Verlust der Kirchenmitglieder schwindet auch die Relevanz der Kirchen. Dringen Sie noch durch?

    Bedford-Strohm: Da kann ich jetzt, was die Politik betrifft, noch keinen Unterschied sehen. Mehr bei den Medien, muss ich sagen. Bei der wo man Masken tragen muss – das war auch alles richtig. Aber die seelische Inzidenz, die kam fast nicht vor, insbesondere in den ersten Monaten. Dass wir mal Gelegenheit hatten zu sagen, warum wir glauben, dass es ganz starke Resilienz-Kräfte gibt, das konnte ich nicht in einer dieser Sendungen machen, weil ich da schlicht nicht eingeladen wurde.

    Merken Sie in den Gemeinden noch Nachwirkungen der Pandemie? Gerade die Kirchen waren ja mitunter lahmgelegt.

    Bedford-Strohm: Natürlich ist diese Erschöpfung, diese Verzagtheit, diese Verwundung, die wir in diesen Jahren innerlich erlitten haben, noch spürbar. Und auch ein bisschen die Angst, die Sorge: Wie wird es jetzt werden im Herbst? Können wir wieder nicht zusammen feiern, Gemeinschaft haben? Das Schlimmste ist ja, wenn die Dinge, die eigentlich gerade in der Kirche Ausdruck von Liebe, von Zuneigung, von Gemeinschaft sind, also sich zu begegnen, sich anzufassen, sich zu umarmen, plötzlich zum Feind der Liebe werden. Das ist natürlich noch da; aber ich sehe auch viel Ermutigendes.

    Eines müssen Sie noch verraten: Fahren Sie wieder nach Mecklenburg Vorpommern in den Urlaub?

    Bedford-Strohm: Ja, da haben wir einen Schäferwagen stehen. Meine Schwester hat einen Biohof, und da sind ganz viele Tiere. Wenn du morgens aufwachst, dann schaust du erst mal auf einen Schimmel, der draußen grast, und dann kommt Miss Moni vorbei. Das ist ein Hängebauchschwein. Und dann setze ich mich hin, vor diesen Bauwagen. Und da ist meine Seele frei. Da hab ich Frieden.

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