Herr Kuhlicke, gibt es den perfekten Hochwasserschutz?
CHRISTIAN KUHLICKE: Den perfekten Hochwasserschutz gibt es theoretisch schon – aber er wäre so teuer, dass er nicht zu bezahlen ist. Das besonders gefährdete Holland zum Beispiel hat Maßnahmen ergriffen, die das Land vor einem Hochwasser mit der Wahrscheinlichkeit eins in 10.000 Jahren schützen. Das ist sehr kostspielig. In Deutschland strebt man den Schutz vor einem Hochwasser mit einer statistischen Wiederkehr-Wahrscheinlichkeit von 100 Jahren an. Es gibt also in Wirklichkeit nie den perfekten Hochwasserschutz, sondern er steht immer in einem Kosten-Nutzen-Verhältnis.
Wie ist es um den Hochwasserschutz in Bayern bestellt?
KUHLICKE: Was den Hochwasserschutz betrifft, ist der Freistaat recht gut aufgestellt. Bayern hat nach dem Hochwasser 2002 und auch 2013 relativ viel Geld dafür in den Haushalt eingestellt und das zeigte auch Wirkung. Eine Studie, die zwei Hochwasserereignisse an der Donau verglichen hat, hat zum Beispiel festgestellt, dass beim zweiten die Schäden geringer waren. Das schreibt man dem Hochwasserschutz zu, der nach dem ersten installiert wurde. Allerdings hat man auch wichtige Maßnahmen, wichtige Polder, wieder von der Liste runtergenommen. Inwiefern sich das jetzt gerächt hat, dazu steht die Analyse noch aus.
Worauf kommt es beim Hochwasserschutz in Zukunft an?
KUHLICKE: Fest steht, dass die Wetterdynamik zunimmt und deswegen diese Ereignisse wahrscheinlicher werden. Man steht in Zukunft mehr denn je vor der riesigen Herausforderung, dass sehr viel Wasser in sehr kurzer Zeit durch die Landschaft geleitet werden muss, möglichst ohne, dass es Schäden anrichtet. Dafür braucht man Rückhaltebecken und Polder, die man gezielt fluten kann. Und ein Fluss braucht Raum. Alles andere wird nur bedingt helfen.
Gibt es darüber hinaus noch Optionen?
KUHLICKE: Man hat drei Möglichkeiten: Die erste ist eben, dass man Polder schafft und Rückhaltebecken, dass man Flüssen mehr Raum gibt. Die zweite ist, gefährdete Gebiete nicht weiter zu besiedeln. Und dort, wo weiter gesiedelt wird, muss man sehr viel mehr ans Hochwasser angepasst bauen oder sanieren. Die dritte ist ein technischer Schutz, dass man die Deiche höher baut. Aber das ist schon in vielen Teilen ausgereizt. Daher wird man nicht umhinkommen, vor allem auf Polder und Rückhaltebecken sowie angepasstes Bauen zu setzen. Die letzte Möglichkeit ist natürlich: Rückzug aus stark gefährdeten Bereichen. Viele dieser Optionen lassen sich nur langfristig umsetzen. Das sind Generationenaufgaben.
Was kann man kurzfristig tun?
KUHLICKE: Kurzfristig kann man in eine verbesserte Hochwasserprognose investieren, in die Verbesserung der Warnsysteme. Das hat jetzt in Bayern schon recht gut funktioniert. Viele der betroffenen Kommunen waren relativ früh informiert und konnten ihre Kräfte zusammenziehen. Und man muss solche Hochwasserereignisse kartieren. Gerade zu den kleinen Flüssen hat man meist wenige Daten. Oft kennt man nicht einmal die normalen Pegelstände, geschweige denn das Verhalten der Flüsse bei Hochwasser.
Hochwasserschutzmaßnahmen umzusetzen, dauert teils Jahrzehnte. Oft wehren sich die Menschen, deren Grundstücke von den Baumaßnahmen betroffen sind. Wie sollte man da vorgehen?
KUHLICKE: Beim Bau von Poldern und Rückhaltebecken müssen Menschen ihr Land abgeben. Das geht nur, wenn man Lösungen findet, die auf Augenhöhe sind. Man muss die Bedürfnisse, Ängste und Verluste dieser Menschen ernst nehmen und das so lösen, dass alle davon profitieren. Man muss sagen: Wir sehen deinen Verlust als Landwirt oder als jemand, der aus einer Aue rausziehen muss – und wir versuchen ihn so zu kompensieren, dass es auch für dich ein Gewinn ist. Es geht um Kompensation von Verdienstausfall, Ernteausfall, um Alternativliegenschaften. Da wird man sehr viel pragmatischer herangehen müssen. Mit Zwang und Anordnungen funktioniert das nicht.
Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?
KUHLICKE: Ich möchte hier noch mal die Holländer nennen. Sie haben ein großes Programm aufgelegt, „room for the river“, und große Teile ihres Landes umgebaut, um Flüssen im Zuge des Hochwasserschutzes mehr Raum zu geben. Dabei ging es immer um zwei Prinzipien: Sicherheit steigern und Lebensqualität steigern. Die politisch Verantwortlichen haben die Menschen eingebunden. Die Frage war: Wie können wir in den Gebieten, die wir stark verändern, die Lebensqualität erhöhen? Die Bürgerinnen und Bürger einer Kommune haben sich gewünscht, dass dafür ihr Ortskern saniert wird. Und das passierte auch.
Zur Person
Christian Kuhlicke ist Leiter der Arbeitsgruppe Umweltrisiken und Extremereignisse am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig. Er hat zudem eine Professur für Umweltrisiken und Nachhaltigkeit an der Universität Potsdam.