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Interview: Gerhard Polt und Michael Well: „Die Toten Hosen und wir sind Brüder im Geiste“

Interview

Gerhard Polt und Michael Well: „Die Toten Hosen und wir sind Brüder im Geiste“

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    Gerhard Polt: "Die Volksmusik, die wir in Bayern haben, gibt es im restlichen Deutschland nicht."
    Gerhard Polt: "Die Volksmusik, die wir in Bayern haben, gibt es im restlichen Deutschland nicht." Foto: Sven Hoppe, dpa

    Seit Mitte der Achtzigerjahre sind Sie mit den Toten Hosen eng verbandelt, nachdem Sie sich beim Anti-WAAhnsinns-Festival gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf kennenlernten. Wie wichtig war Punk für Sie persönlich?

    Michael Well: Das erste Mal von Punk gehört habe ich 1978 in England. Mein Bruder Stofferl trug immer kurze Lederhosen. Da haben ihm Kinder hinterhergerufen: „O, it’s Punk!“ Was wir machen, hat etwas Unangepasstes, Nonkonformes, Anarchistisches und Unberechenbares. Die Toten Hosen und wir sind Brüder im Geiste.

    Sind Sie denn die „bösen Jungs“ der bayerischen Volksmusik, die mit ruppiger Musik und rüdem Auftreten als Gegenspieler zu den adretten Volksmusikanten wahrgenommen werden wollen?

    Gerhard Polt: Die Volksmusik, die wir in Bayern haben, gibt es im restlichen Deutschland nicht. Das ist eine eigenständige alpenländische Musik mit einer unheimlichen Tiefe. Von ihr waren nicht zuletzt Komponisten wie Mozart beeinflusst. Der Bayerische Rundfunk hat viele Jahre lang die traditionelle Musik gepflegt. Und plötzlich kamen Leute wie die Well-Brüder daher und machten auf diese Klänge, die sie mit der Muttermilch aufgesogen hatten, neue rebellische, sozialkritische und freche Texte. Der Bayerische Rundfunk, der damals fest in der Hand der CSU war, reagierte darauf sehr empfindlich. Dieser Umstand machte diese Musiker bekannt bei Leuten, die nicht mit dem Mainstream einverstanden waren. Dazu kam Wackersdorf, ein Politikum ersten Ranges.

    Markus Söder und Alexander Dobrindt von der CSU und Alice Weidel von der AfD kriegen von Ihnen ihr Fett weg. In „Ekzem-Gstanzl“ heißt es: „Manche Frauen habe Haare auf den Zähnen, das liegt in ihrer Natur. Aber bei Alice Weidel hat jeder Zahn eine eigene Frisur“. Lebt das Kabarett von Feindbildern wie diesen?

    Polt: Gstanzl singen ist eine eigene Kunstform und gehört zur alpenländischen Tradition. Das gibt es nur hier. Dabei singt man aus dem Stand etwas Spöttisches zu einer bekannten Melodie. Je ironischer, desto besser.

    Kabarettist Gerhard Polt und Volksmusiker Michael Well (im Bild) traten jahrzehntelang gemeinsam auf.
    Kabarettist Gerhard Polt und Volksmusiker Michael Well (im Bild) traten jahrzehntelang gemeinsam auf. Foto: Maria Schmid (Archiv)

    Der Mensch sei ein Paradies für Schädlinge aller Art, behaupten Sie auf Ihrem Jubiläumsalbum: für Waffenhändler, Religionen oder Fußpilz. Wieso ist der Mensch denn so anfällig für so etwas?

    Polt: Wenn ich das wüsste, dann wüsste ich viel. Es gibt eine Parabel über Buddhisten, die in Tibet sitzen und meditieren. Dem Lehrbub wird’s langweilig und er fragt: „Was ist jetzt eigentlich der Mensch?“ Und schon hat er eine Ohrfeige weg. Die Frage, was ein Mensch ist, hat noch nicht einmal Sophokles gelöst. Und Söder auch nicht. Der Mensch ist ein Ozean. Ein Universum.

    Kabarett ist auch immer wieder eine Form des Widerstandes gegen undemokratische Verhältnisse gewesen, zum Beispiel damals im Dritten Reich, in Polen, in der Tschechoslowakei und in der DDR.

    Polt: Ich habe mit Werner Finck noch einen klassischen, großen Kabarettisten kennengelernt. Er hat das Dritte Reich mit Müh und Not überlebt. Das deutschsprachige Kabarett gab es eigentlich nur in drei Städten: Berlin, Wien und München. Wobei ich nicht zum Kabarett gehöre, ich würde mich als Brettlkünstler bezeichnen.

    Wie steht es heute um die Demokratie in Deutschland?

    Polt: Um unsere Demokratie habe ich keine Angst. Aber ich habe Angst vor der Entwicklung auf dieser Erde. Wo wir hinschauen, sehen wir Typen schlimmer als in der Geisterbahn.

    Zurück zu den Toten Hosen: Wenn Sie mit der Band spielen, kommen zu Ihnen dann auch Leute mit martialischen Tattoos und Nasenringen?

    Polt: Den ersten größeren Auftritt mit den Toten Hosen hatten wir im Wiener Burgtheater. Da sind sich zwei Menschengattungen begegnet, die gar nicht für möglich gehalten haben, dass es so was überhaupt gibt. Wie Aliens. Aber diese Entweihung des deutschsprachigen Theatertempels schlechthin verlief verrückterweise harmonisch.

    Tote-Hosen-Sänger Campino ist bekannt für sein halsbrecherisches Stagediving. Beneiden Sie ihn darum?

    Polt: Ich sicher nicht!

    Well: Wir machen ja auch sowas. Wir haben mal einen Schuhplattler gemacht, der in Taekwondo überging. Da ist mir der Meniskus gerissen.

    Ab Oktober wollen Sie wieder auf Tour gehen. Unter welchen Voraussetzungen werden die geplanten Auftritte stattfinden?

    Polt: Ob wir die geplanten Konzerte auch spielen, steht in den Sternen. Eines spielen wir aber mit Sicherheit. An einem Sonntag treten wir um 11, 15 und 19 Uhr auf. Zwischendurch muss alles desinfiziert werden. Würden wir nicht auftreten, würden die Veranstalter pleite gehen mit allen Konsequenzen.

    Sind freischaffende Künstler systemrelevant?

    Polt: Das ist ein Thema, wo es sich lohnt zu rebellieren. Ich finde den Ausdruck „systemrelevant“ ungeheuerlich. Noch dazu vorgetragen von höheren Stellen. Spielen hat für die nicht den Wert von Arbeit. Systemrelevante Solidarität ist ein Paradoxon in sich. Nicht nur Künstler und Musiker, es gibt so viele Leute, die von der Politik als nicht systemrelevant eingeschätzt werden.

    Well: Wir haben seit dem 1. März keinen Auftritt mehr gehabt. Die Kultur wurde in den ersten fünf, sechs Wochen von der Politik überhaupt nicht erwähnt. Wenn in Deutschland Regeln aufgestellt werden, dann wüten die. Seit der Katastrophe in Duisburg ist der Brandschutz bei Veranstaltungen extrem verschärft worden. Das gleiche passiert gerade mit Corona.

    Was wünschen Sie sich jetzt von der Politik?

    Polt: Ich würde Künstler in jeder Hinsicht finanziell unterstützen, so dass sie ihre Mieten zahlen können. Und man müsste die bisherigen Maßnahmen überdenken. Wenn ich mit einem vollen Flugzeug nach Mallorca fliegen darf, wieso dürfen in ein großes Theater nur 100 Leute rein? Hier in München treffen sich regelmäßig 2000 junge Leute ohne Mundschutz am Gärtnerplatz, um bis morgens um drei Bier zu trinken. Die Maßnahmen sind zum Teil absurd.

    Lesen Sie dazu auch: Gerhard Polt tritt gleich dreimal in Gersthofen auf

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