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Interview: Experte über Querdenker-Szene: "Esoterik kann höchst gefährlich sein"

Interview

Experte über Querdenker-Szene: "Esoterik kann höchst gefährlich sein"

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    Demonstrant mit Aluhut bei einer „Querdenken“-Veranstaltung.
    Demonstrant mit Aluhut bei einer „Querdenken“-Veranstaltung. Foto: Tino Plunert, dpa (Symbolbild)

    Herr Pöhlmann, sind Sie empfänglich für Esoterik?

    Matthias Pöhlmann: Nein, gar nicht.

    Was zählen Sie eigentlich dazu? Unter Esoterik fällt ja so vieles: Traumfänger, „belebtes“ Wasser ...

    Pöhlmann: Ihr besonderes Kennzeichen ist ihr Anspruch auf höhere Erkenntnis. Es geht um ein höheres, absolutes Wissen, das nur sensitiven oder erleuchteten Menschen zugänglich sei. Daraus werden ganze Weltbilder entwickelt oder konkrete Ratschläge abgeleitet.

    Man könnte sagen: Wenn jemand Freude daran hat, wenn es ihm gar hilft – dann ist es doch wunderbar!

    Pöhlmann: Man muss in der Tat differenzieren. Problematisch wird es immer, wenn zum Beispiel Heilungsangebote gemacht werden und gleichzeitig empfohlen wird, auf fachärztliche Hilfe zu verzichten. Esoterik bewegt sich zwischen den Polen Alltagsphänomen und Krisensymptom. In den vergangenen Jahren ist Esoterik verstärkt politisch geworden.

    Sie schreiben in Ihrem neuen Buch über „rechte Esoterik“. Es geht unter anderem um die „Querdenken“-Bewegung oder die Sekte OCG, der – juristisch erfolglos – vorgeworfen wurde, „Freundes- und Feindeslisten“ über Politikerinnen und Politiker erstellt zu haben. Beide verbreiten Verschwörungserzählungen. Ist Esoterik das verbindende Element?

    Pöhlmann: Esoterik und Verschwörungserzählungen stellen ein Zwillingspaar dar, und das lässt sich bei vielen Gruppierungen oder Bewegungen beobachten. Esoterik ist überdies ein Einfallstor für problematische politische Überzeugungen. Schon Mitte der 90er Jahre tauchten in Deutschland Bücher auf, die Esoterik zum Beispiel mit antisemitischen Inhalten verknüpften – bis zur Behauptung, die Juden seien selbst am Holocaust schuld gewesen.

    Matthias Pöhlmann befasst sich seit Jahren mit dem Thema "rechte Esoterik" und beschäftigte sich intensiv mit Verschwörungserzählungen und der "Querdenken"-Bewegung.
    Matthias Pöhlmann befasst sich seit Jahren mit dem Thema "rechte Esoterik" und beschäftigte sich intensiv mit Verschwörungserzählungen und der "Querdenken"-Bewegung. Foto: Michael McKee/Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern/dpa

    Gibt es auch Esoterik mit linksextremen Inhalten?

    Pöhlmann: Das habe ich nicht beobachten können. Ich habe dagegen festgestellt, dass Rechtsextreme Esoterik als Trojanisches Pferd benutzen. Es gibt hier zahlreiche Verbindungen und auch personelle Vernetzungen. Es ist ja immer noch die Vorstellung verbreitet, dass Esoterik eine harmlose Spinnerei sei. Aber das ist sie nicht. Sie kann höchst gefährlich sein.

    Was war die gefährlichste Gruppierung oder Bewegung, die Ihnen bislang begegnet ist?

    Pöhlmann: Ich denke da an die Anastasia-Bewegung, die auch im Allgäu – in Unterthingau im Kreis Ostallgäu – mit einem Projekt vertreten ist. Sie stützt sich auf die gleichnamige zehnbändige Buchreihe. Darin gibt es antisemitische Überzeugungen und antidemokratische Einstellungen. Unter dem Stichwort „Familienlandsitz“ verfolgt die Anastasia-Bewegung ökologische, naturnahe landwirtschaftliche Projekte. Eigentlich aber will sie ein innerweltliches Paradies schaffen. Sie schottet sich ab, und einzelne Wortführer sind mit der rechtsextremen Szene verbunden. Der Betreiber des Anastasia-Projekts im Ostallgäu kam übrigens auch schon in einem Film aus dem „Querdenken“-Umfeld vor.

    Sektenbeauftragter Pöhlmann musste einmal einen Vortrag unter Polizeischutz halten. Es ging um die Anastasia-Bewegung

    Wurden Sie persönlich schon einmal angegangen?

    Pöhlmann: Ich habe mal im Harz einen Vortrag über die Anastasia-Bewegung gehalten, dort hat sie ein größeres Siedlungsprojekt. Ich musste den Vortrag unter Polizeischutz halten.

    In all diesen Bewegungen herrscht auch eine Wissenschaftsfeindlichkeit. Dabei macht die Forschung in immer kürzeren Zeiträumen immer größere Fortschritte. Dennoch wird sie regelrecht verteufelt.

    Pöhlmann: Menschen haben keine Probleme damit, sich in unterschiedlichen Weltbildern zu bewegen. Sie nutzen also die Errungenschaften der Wissenschaft und moderne Technologien, zugleich tauchen sie tief in Gegenwelten ein. Früher hat man gedacht, das sei ein großer Widerspruch, doch das ist es ganz offensichtlich nicht mehr.

    Für wie groß halten Sie die Zahl derjenigen, die empfänglich sind für „rechte Esoterik“?

    Pöhlmann: Das kann man schlecht erfassen. Aber ein rechter Esoteriker wie Erich Hambach zum Beispiel hatte kein Problem, Ende 2019 die Erdinger Stadthalle mit 800 Besucherinnen und Besuchern voll zu bekommen.

    Pöhlmann über "Querdenken": "Mich besorgt, dass die Bewegung sich sehr stark radikalisiert."

    Bei „Querdenken“-Demonstrationen gegen die staatlichen Anti-Corona-Maßnahmen gingen Tausende in ganz Deutschland auf die Straßen. Darunter Eltern mit Kindern, Grünen-Wähler, Verschwörungsgläubige – aber auch Rechtsextreme.

    Pöhlmann: Das war in dieser Form tatsächlich neu. Doch zuvor bereits hatte es Verbindungslinien gegeben – und auch die Verschwörungserzählungen, die diese bunte Misstrauensgemeinschaft teilt, gab es. Michael Ballweg, eine der Führungsfiguren der „Querdenken“-Bewegung, sagte von sich selber, dass er bestimmte esoterische Ansätze gut finde. Im Januar 2020 besuchte er ein Esoterik-Retreat, eine esoterische Veranstaltung, in Dubai. Im Juli 2021 war er Überraschungsgast bei einer Hambach-Veranstaltung.

    Allerdings kann die „Querdenken“-Bewegung offensichtlich nicht mehr so mobilisieren wie noch im vergangenen Jahr. Hat sie ihren Zenit überschritten?

    Pöhlmann: Ja, das sieht man unter anderem an den Teilnehmer-Zahlen von Demonstrationen. Mich besorgt jedoch, dass die Bewegung sich sehr stark radikalisiert. Demos werden verboten, Facebook löschte jüngst „Querdenken“-Konten – dadurch steigt die Frustration. Der Druck im Kessel wird größer. Und viele sind wütend.

    Experte: "Als nächstes könnte das Thema Klimawandel dran kommen. Klimawandel-Leugner gibt es ja zuhauf."

    Das würde bedeuten, dass nach „Querdenken“ eine neue Bewegung entstehen könnte, die der Wut und den Wütenden Ausdruck verleiht.

    Pöhlmann: Das stimmt. Die vorhandene diffuse Wut und Frustration wird sich neue Kanäle und Sprachrohre suchen. Es gibt in unserer Gesellschaft ein gewisses Wutpotenzial und Wütende. Das hat man schon bei Pegida gesehen, wo es um die Flüchtlingspolitik ging. Als nächstes könnte das Thema Klimawandel und seine Folgen dran kommen. Klimawandel-Leugner gibt es ja zuhauf. Und die sogenannte Neue Rechte und Rechtsextreme versuchen bereits, sich da dranzuhängen. Auf dem Instant-Messaging-Dienst Telegram lassen sie alle ihrer Wut freien Lauf. Politik, Justiz und Anbieter müssten stärker gegen Hetze und verbreiteten Menschenhass in diesen sozialen Medien vorgehen.

    Würden Sie sagen, all das hatte einen Einfluss auf den Bundestagswahlkampf und die

    Pöhlmann: Das ist noch genauer zu analysieren. Aber man kann davon ausgehen, dass es ein enormes Wut- und Protestpotenzial gibt. Im Vorfeld der Wahl hat man ja gesehen, dass die AfD versuchte, an „Querdenken“-Positionen anzudocken. Es ist sogar eine Partei aus dem „Querdenker“-Umfeld entstanden, die „Basis“.

    Wie soll man mit Verschwörungsgläubigen oder "Querdenkern" in Familie oder Freundeskreis umgehen? Das rät der Experte

    Sind Verschwörungsgläubige, „Querdenker“, rechte Esoteriker überhaupt noch empfänglich für Fakten? Sollte man den Dialog suchen?

    Pöhlmann: Viele werden Menschen in Familie, Freundes- oder Bekanntenkreis kennen, die Verschwörungserzählungen verbreiten. Bei Personen, die einem nicht so nahestehen, ist es sicher leichter, auf Distanz zu gehen. In der Familie oder im Freundeskreis dagegen ist es wichtig, den Kontakt zu halten – aber zugleich rote Linien zu benennen, etwa bei antisemitschem oder rassistschem Gedankengut. Man sollte sich fragen: Warum ist meinem Gegenüber eine Verschwörungserzählung oder ein Thema so wichtig? Gibt es ein mögliches Motiv, ein Lebensthema?

    Die Frage also nach den Ursachen...

    Pöhlmann: Manche suchen nach Anerkennung, andere verlieren sich auf der Suche nach Wahrheit in den Echokammern sozialer Medien, bis hin zu suchtähnlichem Verhalten. In besonders schweren Fällen kann es hilfreich sein, der Beziehung eine Auszeit zu gönnen, um sich verschwörungsideologischen „Bekehrungsversuchen“ zu entziehen. Es ist erfahrungsgemäß sehr schwer. Den Kontakt zu halten, im Dialog zu bleiben – das ist gleichwohl wie Ausdauersport.

    Buch und Person: Matthias Pöhlmann: Rechte Esoterik. Wenn sich alternatives Denken und Extremismus gefährlich vermischen. Verlag Herder, 304 Seiten, 22 Euro. Das Buch erscheint am 12. Oktober.

    Matthias Pöhlmann: Rechte Esoterik. Wenn sich alternatives Denken und Extremismus gefährlich vermischen. Verlag Herder, 304 Seiten, 22 Euro. Das Buch erscheint am 12. Oktober. 
    Matthias Pöhlmann: Rechte Esoterik. Wenn sich alternatives Denken und Extremismus gefährlich vermischen. Verlag Herder, 304 Seiten, 22 Euro. Das Buch erscheint am 12. Oktober.  Foto: Verlag Herder

    Matthias Pöhlmann, geboren 1963 in Hof/Saale, ist Sektenbeauftragter der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Er befasst sich seit Jahren mit dem Thema "rechte Esoterik" und beschäftigte sich intensiv mit Verschwörungserzählungen und der "Querdenken"-Bewegung.

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