Frau von Welser, Ihr neues Buch trägt den Titel "Die Unbestechliche". War da der Filmtitel eines großartigen US-Spielfilms über die Watergate-Affäre Inspiration?
MARIA VON WELSER: Nein. Der Titel war viel mehr ein Teamergebnis des Verlags, meiner Co-Autorin Waltraud Horbas und mir. Er hat uns am Ende einfach gut gefallen.
Wie viel der eigenen Biografie ist in die Figur der Hauptprotagonistin Alice eingeflossen, einer jungen Journalistin in München, die bei einem Lokalblatt 1968 ihre Karriere startet?
WELSER: Da ist schon eine ganze Menge von meiner eigenen Geschichte drin – sicherlich mehr als die Hälfte.
Sie sind 1969 in den Beruf bei der Regionalzeitung Münchner Merkur gestartet. Wie war die Zeit damals. Oder besser: Wie nahmen Sie sie wahr?
WELSER: Ich hatte damals gerade ein kleines Kind, war frisch verheiratet und habe einen neuen Job angefangen. Da ging es schon sehr lebhaft zu. In dem Buch kommt ja auch vor, wo mich die Redaktion damals als Erstes hinschickte: zu einer Leiche an einer Autobahnbrücke. Ich war seit Langem das einzige weibliche Wesen in der Redaktion. Männer, Männer, Männer … und dann nur wenige Volontärinnen. Das hat sich heute erfreulicherweise sehr geändert.
Über die Abendzeitung und den Bayerischen Rundfunk kamen Sie dann an eine Stelle, die Sie in der Republik bekannt machte: 1988 wurden Sie Gründerin und Moderatorin des ersten Frauenjournals im deutschen Fernsehen "ML Mona Lisa". Wie wichtig war das für Sie?
WELSER: Logischerweise sehr wichtig. Denn ich habe gewusst, dass ich beim Bayerischen Rundfunk nicht weitergekommen wäre.
Wieso?
WELSER: Erstens war ich eine Frau, zweitens geschieden. Ich hatte mich für eine Korrespondentenstelle in Rom beworben, weil ich Italienisch sprach, wurde aber nicht genommen. Ich hatte ja schon Hörfunk gemacht und eine Redaktion geleitet. Aber im Hinterkopf hatte ich immer die Idee, ein eigenes Magazin zu haben. Das war schon ein Wunschtraum. Und als das Angebot des ZDF kam, habe ich zugepackt.
Mit Ursula von der Leyen, der heutigen Präsidentin der Europäischen Kommission, haben Sie vor 16 Jahren das Buch veröffentlicht: "Wir müssen unser Land für die Frauen verändern". Ist die Veränderung denn so eingetreten, wie Sie es sich gewünscht haben?
WELSER: Nein. Schauen Sie, es gibt heute Gesetze, die regulieren sollen, dass in den Aufsichtsräten oder Vorständen mindestens 30 Prozent Frauen sitzen. Aber wir haben schon lange nicht mehr so wenige Frauen im Bundestag wie heute. Das ist doch abenteuerlich! Wir haben zwar Frauen im Kabinett, was wir auch Kanzler Scholz zu verdanken haben. Doch insgesamt gibt es viel zu wenig Frauen in Führungspositionen. Ich bin überzeugt, dass die Welt eine bessere wäre, wenn mehr Frauen das Sagen hätten. Von 193 Ländern werden aktuell nur 16 von Frauen regiert. Das sagt viel aus.
Was müsste sich ändern?
WELSER: Ich glaube, Frauen fehlt manchmal der Mut zuzupacken. Ich habe in meinem beruflichen Leben und später auch beim Fernsehen als Direktorin des Landesfunkhauses Hamburg Frauen Jobs angeboten. Die antworteten: "Was, das trauen Sie mir zu? Da muss ich doch erst einmal mit meinem Mann reden." Oder: "Es passt nicht in meine Lebensplanung." Ich würde mir wünschen, dass Frauen mutiger sind. Vor allem aber ist meiner Meinung nach immer noch der Staat gefordert: Es fehlen Kita-Plätze, Ganztagsbetreuungen, obwohl die per Gesetz jetzt Plicht sind im ganzen Land. Nur dann hängt nicht alles an den Frauen: Kinder, Haushalt und der Beruf.
Sie sagten in einem Interview, Bildung sei weltweit das einzige Rezept, damit Frauen "Gleichwertigkeit, Gleichberechtigung und ein menschenwürdiges Leben" erfahren. Reicht das aus?
WELSER: Bildung und mehr Mut, die Dinge auf den Weg zu bringen – das wäre wichtig. Es gibt mindestens genauso viele Frauen wie Männer, die ähnlich begabt sind. Das ist also keine Geschlechtersache, sondern hat mit Erziehung und Sozialisation zu tun. Es ist doch verrückt: Es machen mehr Frauen als Männer das Abitur, und trotzdem gibt es viel mehr Männer in Führungspositionen! Da fehlt irgendwo was. Nur weil Frauen die Kinder bekommen, kann es nicht sein, dass sie den Job aufgeben.
Wodurch sind Sie politisiert worden?
WELSER: Ich war als kleines Kind schon renitent und habe mich gegen Unrecht gewehrt. Meine Mutter soll gesagt haben, ich bräuchte Papi nur schön zu tun, um alles von ihm zu bekommen. Angeblich habe ich darauf geantwortet, ich sei nicht prostituierbar, obwohl ich damals wahrscheinlich noch gar nicht wusste, was das bedeutet. Aber es war das richtige Wort.
Lassen Sie uns zu einem anderen wichtigen Thema wechseln: Sie haben auch schon im Gazasteifen gearbeitet. War für Sie die Explosion der Gewalt erwartbar?
WELSER: Es war nicht erwartbar, dass die Hamas diesen Terroranschlag auf Israel zwei Jahre vorbereitet. Wer hätte das ahnen können? Aber die Lage im Nahen Osten hat sich seit der Ermordung des früheren israelischen Ministerpräsidenten Jitzchak Rabin 1995 wieder verschärft, das konnte man wahrnehmen. Es braucht eine Zweistaatenlösung, sonst wird es in diesem Raum keinen Frieden geben.
Zur Person
Maria von Welser wurde 1946 in München geboren. Ihre Mutter war Modejournalistin, ihr Vater Kaufmann und Kaiserlich-Japanischer Konsul. 1996 erhielt sie für ihre Berichterstattung über Frauen weltweit das Bundesverdienstkreuz. Ihr Roman "Die Unbestechliche" (432 Seiten, 21,99 Euro) erscheint am Donnerstag bei List Hardcover. In ihm geht es um die junge Alice, die Reporterin werden will – und für die damit "eine abenteuerliche Reise durch die deutsche Medienlandschaft" beginnt, wie es heißt.